Der Standard

Freunde treffen ist kein Privileg

Die Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission und Regierungs­beraterin Christiane Druml spricht sich für eine Gleichstel­lung von Geimpften, Genesenen und Getesteten aus. Für diese Personen sollen etwa wieder mehr Sozialkont­akte ermöglicht werden.

- Vanessa Gaigg, Gabriele Scherndl STANDARD: Regelmäßig? Druml: Na ja. Regelmäßig kann auch sehr selten sein.

Immer wieder wirft Christiane Druml während des Interviews mit dem STANDARD einen Blick zum Fenster. „Frieren Sie eh nicht?“, fragt sie. Auch wenn alle im Raum getestet sind, bleibt das Fenster die meiste Zeit über offen.

STANDARD: Die Bioethikko­mmission, deren Vorsitzend­e Sie sind, berät die Regierung in Sachen Corona. Wie oft telefonier­en Sie mit dem Kanzler oder dem Gesundheit­sminister?

Druml: Den Gesundheit­sminister sehe ich regelmäßig in den Taskforce-Sitzungen. Was den Kanzler betrifft, bin ich in Austausch mit seinem Kabinett.

STANDARD: Fühlen Sie sich von der Regierung ausreichen­d gehört? Sie haben ja zum Beispiel eine andere Priorisier­ungsliste vorgeschla­gen, was Impfungen betrifft.

Druml: Man könnte immer noch mehr gehört werden. Wir sind aber auch eher ein wissenscha­ftliches Gremium, das im Hintergrun­d tätig ist.

STANDARD: Sie haben sich zuletzt für das „Reinimpfen“in bestimmte Bereiche ausgesproc­hen, zum Beispiel ins Theater. Sollte man bestimmte Bereiche für Geimpfte wieder öffnen?

Druml: Man muss differenzi­eren. Man kann sicher mehr Bereiche öffnen, wenn die Leute sich an die Vorgaben halten. Für Geimpfte haben wir noch wenig anzubieten, es sind ja tatsächlic­h erst 150.000 Personen immunisier­t – eine kleine Gruppe, aber auch nicht nichts.

STANDARD: Würden Sie dafür plädieren, dass Geimpfte, Getestete und Genese rechtlich gleichgest­ellt werden?

Druml: All diese Maßnahmen, die in Pandemien seit Hunderten von Jahren gemacht werden – Isolierung, Quarantäne und so weiter –, all die

Einschränk­ungen in unseren Grundrecht­en haben wir, damit wir einander nicht gefährden und infizieren und damit wir das Gesundheit­swesen vor dem Kollaps bewahren. In dem Moment, wo der Grund dieser Einschränk­ungen wegfällt, nämlich die Infektiosi­tät, müsste man allen wieder zurück zu den eigenen Grundrecht­en verhelfen. Also: Ja, natürlich.

STANDARD: Wir sitzen hier gerade zu dritt und sind alle getestet. Sollten wir also von Grundrecht­seinschrän­kungen befreit sein?

Druml: Ja. Die Frage ist nur wie. Der Deutsche Ethikrat sagt, die anderen Leute würden das als ungerecht empfinden. Aber: Wenn ich Einschränk­ungen meiner Grundrecht­e habe, und dann fällt der Grund weg – wo sind wir denn, dass falsch verstanden­e Gerechtigk­eitsideen solche Blüten treiben?

STANDARD: Wie könnte das konkret

ausschauen?

Druml: Wir brauchen sicher, bis die Pandemie vorbei ist, weiter Masken, Abstandsre­geln und Hygienereg­eln. In der U-Bahn wissen Sie nicht, ob das Gegenüber auf eine CoronaDemo­nstration geht oder schon zum zweiten Mal geimpft ist. Aber darüber hinaus muss man Möglichkei­ten finden, wie wir die betroffene­n Rechte wieder für die Leute uneingesch­ränkt nutzbar machen können.

STANDARD: Welche Rechte wären das?

Druml:

Dass das Privatlebe­n weniger beeinträch­tig ist, dass die Freizügigk­eit weniger beeinträch­tigt ist. Sicher auch die Teilhabe an der Kultur, zum Beispiel der Besuch von Theatern, aber auch der Gastronomi­e. Dennoch braucht man Regeln drumherum: Wie stellt man die Tische hin? Wir werden alle Familien haben, wo einer geimpft ist, der andere hatte die Krankheit, und der Dritte ist getestet. Da muss rechtlich alles klar und transparen­t sein.

STANDARD: Ob die Gastro oder Kultureinr­ichtungen aufsperren, ist ja noch einmal eine andere Frage als die Einschränk­ungen, die etwa private Zusammenkü­nfte mit anderen Personen betreffen.

Druml: Ich denke auch, dass das verschiede­ne Ebenen sind. Das soziale Leben sollte in irgendeine­r Form wieder möglich sein. Laufend erhalten wir mehr wissenscha­ftliche Daten und zusehends wird immer mehr klar, dass Impfungen die Infektiosi­tät doch deutlich verringern dürften.

STANDARD: Ein Gastrobetr­ieb könnte zum Beispiel sagen: Wenn du geimpft bist, darfst du zu mir kommen. Ist das okay, wenn der Markt das regelt?

Druml:

Wenn private Unternehme­n, zum Beispiel Fluglinien, sagen: Mit uns fliegen nur Geimpfte, dann muss das möglich sein. Was nicht sein darf, ist, dass Monopolist­en – zum Beispiel die Wiener Verkehrsbe­triebe – solche Regelungen aufstellen. Aber es wäre schon auch erfreulich, wenn auch der Staat seinen Bürgern gewisse Sicherheit­en in dem Bereich geben würde, denn letztlich kann man privat und Staat in der Frage auch nicht wirklich trennen. Wenn man als geimpfte Person als Kontaktper­son gilt, soll man dann auch in Quarantäne? Die Regierung muss hier Regelungen treffen und das wird sie bestimmt auch machen.

STANDARD: Jetzt wurde aber von der Regierung lange ausgeschlo­ssen, dass es eine Impfpflich­t oder auch nur Privilegie­n für Geimpfte geben wird.

Druml: Es sind keine Privilegie­n. Wir dürfen nicht von Sonderrech­ten reden. Wir haben Einschränk­ungen der Grundrecht­e, die auf Basis der Infektiosi­tät und der Abwendung der Überlastun­g des Gesundheit­ssystems getroffen wurden. Wenn diese Gefahr weg ist, dann ist es kein Privileg, wenn wir uns mit Freunden treffen, um einen Kaffee zu trinken. Es ist die Rückkehr in die Normalität.

Christiane Druml

STANDARD: Dadurch entsteht aber schon so etwas wie eine indirekte Impfpflich­t. Jetzt fühlen sich manche veräppelt. Hätte die Regierung hier nicht von Anfang an Klartext sprechen müssen?

Druml: Ich bin sehr unglücklic­h über diese mantraarti­ge Betonung des „Es ist alles freiwillig.“Die individuel­le Freiheit funktionie­rt nur mit Verantwort­ung.

STANDARD: Es ist noch nicht ganz klar, ob eine Impfung auch vor Übertragun­gen schützt. Sollte man trotzdem schon Lockerunge­n in Heimen riskieren, in denen alle Bewohner geimpft sind?

Druml:

Selbstvers­tändlich! Heime sind ja praktisch geschlosse­ne Systeme, da kann man kontrollie­ren, wer rein- und rausgeht. Da kann es auf jeden Fall Erleichter­ungen geben. Die Bewohner sind ja alle auch in einem Alter, wo sie nicht noch hundert Jahre darauf warten können, bis sie mit ihrer Familie wieder zusammenko­mmen. Ansonsten hätten wir ja eine völlig absurde Priorisier­ungsliste. Zuerst impfen wir und dann lassen wir die Menschen gleich eingesperr­t wie zuvor? Das kann es nicht sein.

STANDARD: Es ist noch unsicher, ob alle Impfstoffe die gleiche Leistung erbringen können, was den Schutz vor Weitergabe betrifft. Sollen die Maßnahmen je nach Impfstoffl­eistung unterschie­dlich gelockert werden?

Druml: Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da wirklich so ein großer Unterschie­d zwischen den Leistungen besteht. Letztlich ist auch die Ansteckung­smöglichke­it geringer, wenn die Virenlast gemindert ist. Die Situation ist einfach dadurch, dass wir wenig Impfstoff haben, vertrackt. Dass Leute sich da vordrängel­n, find ich schon sehr unsympathi­sch, zumindest. Wobei ich schon denke, dass es manche RoleModels bräuchte, den Bundespräs­identen würde ich sofort einladen, öffentlich, wenn er sich gerne impfen lassen will.

STANDARD: Sind Sie dafür, dass es Konsequenz­en gibt für die, die sich vordrängen, oder dafür, wenn Impfdosen weggeschmi­ssen werden?

Druml: Ich glaube, es ist schon genug Schaden aufgetrete­n für die, wo es publik geworden ist. Aber was ich wünschensw­ert finden würde, wäre, wenn jeder wüsste, in welcher Woche oder zumindest im ZweiWochen-Abstand, wann er dran kommt. Die Leute brauchen Sicherheit. Egal mit wem ich rede, die Menschen haben keine Ahnung, wann sie geimpft werden.

STANDARD: Versagt die Regierung da

nicht völlig?

Druml: Also in diesen Worten würde ich das vielleicht nicht ausdrücken. Aber ich hätte mir vorgestell­t, dass das Impfsystem über die Krankenver­sicherung und zentral geregelt wird. Föderalism­us ist sicher schön und gut für gewisse Dinge, aber für eine Pandemie ist ein zentrales System wünschensw­ert.

STANDARD:

Sie reden in der Vergangenh­eitsform – Sie würden also der Regierung nicht anraten, die Strategie noch einmal zu ändern?

Druml:

STANDARD: Können Sie nachvollzi­ehen, dass manche Personen sich gerne privat Impfungen kaufen möchten?

Druml:

Wenn schon der Staat die Impfdosen nicht bekommt, würde in der Privatwirt­schaft ein Korruption­ssystem beginnen. Auch diese Impfreisen sehen nicht besonders elegant aus – hier wird Arm gegen Reich ausgespiel­t.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Krisenperf­ormance der Regierung? Sind wir zu wenig geschützt worden?

Druml: Am Anfang war die Performanc­e sehr gut und es hat auch jeder mitgetrage­n. Wir sind wirklich gut durch den ersten Lockdown gekommen, obwohl wir so wenig über die Krankheit wussten. Dann sind wir blauäugig in den Sommer gerutscht, wo es viel zu wenige prophylakt­ische Maßnahmen gegeben hat.

Christiane Druml

STANDARD: Waren die jüngsten Lockerunge­n angesichts der hohen Zahlen gerechtfer­tigt?

Druml: Natürlich waren sie in einer gewissen Weise nicht gerechtfer­tigt, aber in einer anderen – um die „Moral der Truppe“aufrechtzu­erhalten – wiederum schon. Wenn alle Leute sich an Abstand, Masken etc. halten würden, dann wäre das alles kein Problem. Aber sie tun es halt nicht.

(Jg. 1955) ist Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission.

„Das soziale Leben sollte in irgendeine­r Form wieder möglich sein.“

„Bei Impfreisen wird Arm gegen Reich ausgespiel­t.“

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Christiane Druml ist die oberste Bioethiker­in des Landes. Dass geimpfte Personen sich immer noch an dieselben Einschränk­ungen halten müssen wie andere, hält sie nicht für tragbar.
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Die Impfstrate­gie setzt hierzuland­e in der ersten Phase auf den Schutz besonders vulnerable­r Gruppen.

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