Der Standard

Divers? Hauptsache Mainstream!

Die Initiative #ActOut fordert die Sichtbarma­chung von Diversität in den Erzeugniss­en der Kulturindu­strie. Doch die Aufrechter­haltung des schönen Scheins ist eine Frage des Profits, nicht des guten Willens.

- Süddeutsch­en Zeitung Ronald Pohl

Viele Unterzeich­ner der Initiative #ActOut sind Betroffene einer Bornierthe­it, die anno 2021 niemand zu akzeptiere­n braucht. Immer noch werden Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er deshalb in die Schranken gewiesen, weil sie schwul, lesbisch, bi, queer, trans oder nichtbinär sind. Einige der Betroffene­n haben jüngst in der vielfach demütigend­e Erfahrunge­n preisgegeb­en. Deklariert wurde die gängige Praxis von Film- und TV-Produktion­sfirmen. Die ziehen Erkundigun­gen über die sexuelle Orientieru­ng ihrer Protagonis­ten ein. Das lässt allerdings an den investigat­iven Eifer von milde erregten Beichtväte­rn denken.

Gefordert wird nicht nur der offene Umgang mit dem eigenen Privatlebe­n. „Wir müssen nicht sein, was wir spielen. Wir spielen, als wären wir es – das ist unser Beruf“: Dieser Appell bezeichnet nichts Geringeres als die Geschäftsg­rundlage jedes darstellen­den Künstlers, jeder darstellen­den Künstlerin. Sein Ethos, ihr ganzer Stolz liegen in ihrer vielbeschw­orenen Wandlungsf­ähigkeit. Jeder von ihnen muss, was die Handhabung schauspiel­erischer Mittel betrifft, ganz bei sich sein. Nur so streifen er oder sie die Fesseln seiner, ihrer Privatexis­tenz auch wirklich zuverlässi­g ab.

Hang zur Übersteige­rung

Dieser Verpflicht­ung zur Verwandlun­g wohnt ein Zauber inne: Ihm verdankt die Schauspiel­erei ihren Hang zur Übersteige­rung, manchmal auch den Zwang zur Verhaltens­auffälligk­eit. Ihre Adepten sind sowohl Geheimnisk­rämer als auch Geheimnist­räger. Sie erscheinen mithin wie weitläufig­e Verwandte der Schamanen und Hohepriest­er: im Dienst unerreichb­arer Mächte stehend. Immerzu außer sich, Verwalter von Ekstasen, die ihnen andere – Autoren, Intendante­n, Regisseure – auf den Leib schneidern.

Die Aktivistin­nen von #ActOut wollen „nicht nur die Wirklichke­it in ihrer Vielfalt abgebildet“sehen, sondern gleich überhaupt in ihrer „sexuellen Diversität“. Dieses honorige Anliegen verkennt freilich die Maximen der Industrie. Die kümmert sich schon allein deshalb nicht um Quotierung­en, weil ihr die Verwertung von Kulturgüte­rn vordringli­ch ist.

Die Aufhebung von Benachteil­igung würde für sie erst dann zum Thema, wenn sich die Verbreitun­g heterosexu­eller Normvorste­llungen („Boy meets Girl“) plötzlich als Kassengift erwiese. Solange die HeteroNorm die Zuschauer „in ihrer Lebensreal­ität abholt“, wird sie sich vom Klischee häufig gar nicht unterschei­den lassen.

Die Kulturindu­strie lebt von der Standardis­ierung ihrer Produkte. Dasjenige, was sie als bunte Vielheit verkauft, unterliegt von vornherein gnadenlose­r Vereinheit­lichung. Immer schon durfte sich der Mainstream in der Gewissheit wiegen, er bilde, um den Preis gesteigert­er Grobheit, den Massengesc­hmack verlässlic­h ab.

Schnöder Reklamezwe­ck

Wer nun den Darsteller, die Darsteller­in mit seiner oder ihrer Rolle verwechsel­t, geht dem Sachverhal­t auf den Leim. Der progressiv­e Impetus, seinen schwulen, lesbischen etc. Partner auch über den roten Teppich führen zu wollen, um sich ein für alle Mal, vor aller Augen, zu deklariere­n: Er tut leider Gottes nichts zu Sache. Der Auftrieb der Stars und Sternchen in ihren Glitzerrob­en dient einzig und allein dem schnöden Reklamezwe­ck.

Der rote Teppich ist eher kein Umschlagpl­atz für Authentizi­tät. Er bildet die künstliche Verlängeru­ng ein- und derselben Illusion. Der Star tritt aus dem Film heraus, aber nur, um die Fiktion möglichst bruchlos in die Wirklichke­it zu überführen. Für eine Deklaratio­n seiner privaten Gefühle fände sich nur unter einer Bedingung Platz: wenn durch sie die Erwartunge­n, die der Massengesc­hmack an ihn richtet, nicht irritiert werden. Jeder und jede möchte sich von allen anderen möglichst grundlegen­d unterschei­den. Hauptsache, alles bleibt sich gleich.

Somit ist der Darsteller in der Kulturindu­strie der Enteignete. Ein Image wird ihm oder ihr zugeschrie­ben; doch steht es kaum jemals zu seiner Verfügung. Authentizi­tät ist dann gefragt, wenn sie rentabel ist.

Natürlich wäre es erfrischen­d, würden fiktionale Werke die wachsende Diversität in den spätmodern­en Gesellscha­ften zusehends besser, das heißt, skrupulöse­r und – warum nicht? – voller Empathie abbilden. Unklar erscheint derweil, wie Aktivisten wie diejenigen von #ActOut den Spagat hinbekomme­n wollen: auch sexuell ganz und gar sie selbst (und sichtbar) zu sein, um als die ganz anderen ihrer selbst zu reüssieren. Die Wahrheit in unserer Gesellscha­ft lautet derweil unveränder­t: Auch als Künstlerin oder Künstler hast du vor allem Dienstleis­terin zu sein.

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Boy meets Girl: Lily James und Richard Madden bei der Vorstellun­g von „Cinderella“.

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