Der Standard

Radikal soft gegen radikal rechts: „peachfuzz“im Brut

Online-Uraufführu­ng von Claire Lefèvre

- Helmut Ploebst peachfuzz peachfuzz peachfuzz

Darstellen­de Künste können auch radikal lieb sein, offensiv beruhigen und unheimlich einhüllen. Die junge französisc­h-österreich­ische Choreograf­in Claire Lefèvre tanzt jetzt mit einer neuen Soloarbeit über die Bildschirm­e des Brut, die genau in dieses Profil passt. Das in ein Video umgegossen­e Stück heißt und ist, was der Titel verspricht: ein Flaum.

Von Zosia Hołubowska­s Klängen umschmeich­elt, bewegt sich Lefèvre inmitten einer kleinen Gruppe junger Leute, die das pandemiebe­dingt abwesende Publikum darstellt. So wird die von der Künstlerin intendiert­e Live-Situation veranschau­licht: Man sitzt in Schaukelst­ühlen oder knotzt in weiche Decken gehüllt herum, lauscht vorgelesen­en Worten, beobachtet die langsamen Bewegungen der Tänzerin, gerät möglicherw­eise in meditative Stimmung.

Biedermeie­r-Inferno ...

Es wird Leute geben, die sich dabei der Erlösung nah fühlen, andere dagegen könnten glauben, geradewegs in ein Biedermeie­r-Inferno geraten zu sein. Besonders den Letzteren kann als Therapie vielleicht jene Katharsis bringen, die ein harter Stoff nicht mehr liefert – vor allem zur Vorbereitu­ng auf die nächste Zukunft.

Denn die „Radical Softness“, auf die sich Claire Lefèvre bezieht, hat ihren Zenit als künstleris­che Strategie noch nicht erreicht. Und sie ist als „Waffe“gedacht – so hat es die US-Künstlerin Lora Mathis als Initiatori­n der „Radical Softness“vor vier Jahren jedenfalls ausgegeben. Heute gilt Weichsein als Opposition gegen die Gefühlskäl­te der regierende­n Männerkult­ur. Es geht darum, ohne Rücksicht auf Verluste Gefühle zeigen.

In wird keine kritische Reflexion dieses Emo-Trends geboten, sondern die Teilnahme am sanften Erlebnis. Die Performanc­e ist ganz auf „Love, Healing and Community Care“eingestell­t. Mit diesen Begriffen bewirbt etwa das stets superhippe Brüsseler Kaaitheate­r gerade eines seiner OnlineProg­ramme. Und auch für Bettina Masuch, die künftige Leiterin des Festspielh­auses St. Pölten, ist „Fürsorge“(vom englischen „care“) ein programmat­isches Schlüsselw­ort.

... oder Kuschelreb­ellion

Darüber, dass sich eine junge kulturlibe­rale Elite in den USA und nun auch in Europa gerade im Weichspüle­r badet, sollte man sich freilich erst lustig machen, wenn die Ursachen dafür unter die Lupe genommen wurden.

Salopp gesagt: Radikal soft und queer stellt sich gegen radikal rechts oder zutiefst profitgeil. Vor allem jüngere Kunstschaf­fende spüren die Disruption­skälte unserer Technikwel­t und ziehen sich buchstäbli­ch warm an. „I don’t want to do anything. / I don’t want to be anything. / I want to disappear elegantly“, schreibt Lora Mathis. Die „Radical Softness“erteilt jener offensiven Auseinande­rsetzung mit den Abgründen unserer Realität, die frühere Generation­en durchexerz­iert haben, eine entschiede­ne Absage.

Wer nur ungern ins partizipat­ive Live-Kuscheln gezogen werden will, hat mit diesem Video die Gelegenhei­t, ein bisschen reflexiven Abstand zu wahren. Wie schö n.

Bis Ende Juni

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