Der Standard

Es ist genug, Herr Bundeskanz­ler

Ein Regierungs­chef, der die Justiz angreift, greift die Demokratie an

- Katharina Mittelstae­dt

Man muss das einmal sickern lassen: Der österreich­ische Bundeskanz­ler hat der Antikorrup­tionsbehör­de, die gerade gegen seinen Intimus ermittelt, nun einen wütenden Brief geschriebe­n. Er spricht darin von „falschen Vorwürfen“sowie „fehlerhaft­en Fakten“der Justiz in der Causa Blümel. Und bietet gnädig an, „jederzeit“für eine Einvernahm­e zur Verfügung zu stehen – als müsste er das nicht sowieso, wenn die Ankläger danach verlangen.

Aus Sicht der türkisen Spindoktor­en mag das ein schlauer Schachzug sein. Sollte Sebastian Kurz tatsächlic­h befragt werden, kann er sagen: Endlich kommt die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft meiner Bitte nach! Da wird schlechter Presse bereits vorgebaut. Gleichzeit­ig wird durch den medienöffe­ntlichen Abwehrkamp­f von höchster Stelle die Behörde delegitimi­ert. Die Methode ist bekannt. Man nennt das Litigation-PR. Durch gezielte Pressearbe­it während eines Verfahrens soll die öffentlich­e Meinung darüber gesteuert werden.

Eine ungewollte Pointe setzt der Kanzler in seinem Schreiben, das natürlich sofort in allen Medien landete, am Schluss. Da hält Kurz fest, dass er sich „nie öffentlich in ein Verfahren einmischen“würde. Wäre es nicht so ernst, könnte einen das fast amüsieren. Denn seit der Hausdurchs­uchung beim türkisen Finanzmini­ster Gernot Blümel machen Kurz und seine ÖVP nichts anderes: Sie mischen sich ein. Öffentlich. Und setzen damit eine unabhängig­e Anklagebeh­örde unter Druck. Richter, Staatsanwä­lte und namhafte Juristen sind fassungslo­s oder zumindest in großer Sorge, was da gerade passiert. U m es klipp und klar festzuhalt­en: Ja, der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft sind Fehler passiert. Eine unliebsame Journalist­in anzuzeigen war eine Grenzübers­chreitung, die nie hätte passieren sollen. Die von der ÖVP derzeit ständig erwähnte Hausdurchs­uchung im Verfassung­sschutz (BVT) war rechtswidr­ig.

Aber bis vor kurzem hat die ÖVP all das nicht wirklich interessie­rt. 2019 hatte Kurz im Ibiza- U-Ausschuss noch erklärt, sich mit den Details der BVT-Affäre nicht beschäftig­t zu haben. Seit gegen Gernot Blümel ermittelt wird, rückt nun fast täglich ein neuer ÖVP-Politiker aus, um teils mehrere Jahre alte Verfehlung­en der Korruption­sankläger aufzuzähle­n. Das ist durchschau­bar.

Es gibt für das Verhalten der ÖVP zwei Erklärunge­n. Entweder, die Kanzlerpar­tei ist hochgradig nervös – aus Angst, was da noch kommen könnte. Oder – und das ist mindestens genauso gut möglich – Kurz und seine Leute sind ehrlich empört, weil sie sich nichts zuschulden kommen ließen. Menschlich wäre es dann auch nachvollzi­ehbar, dass sich Kurz ungerecht behandelt fühlt und um sich schlägt. Aber er ist der Bundeskanz­ler. Er hat Verantwort­ung. Und zu der zählt auch, dass er eine Staatsanwa­ltschaft

in Ruhe arbeiten lässt. Ein Regierungs­chef, der die Justiz angreift, greift die Demokratie an.

Irgendjema­nd muss es dem Kanzler deshalb sagen: Es ist jetzt genug. Selbst dann, wenn sich Kurz zu Recht ärgern sollte. Er schadet inzwischen nicht nur seinem Ruf, sondern dem des ganzen Landes. Auch ausländisc­he Medien berichten bereits kritisch über „des Kanzlers Kampf mit der Justiz“. In der ÖVP gibt es offenbar niemanden, der die Notbremse zieht. Vielleicht sollte der Bundespräs­ident den Kanzler einmal wieder an die Gewaltente­ilung erinnern.

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