Der Standard

Europa quält sich weiter bei seiner Impfstrate­gie

Bei einem virtuellen EU-Gipfel soll die Eigenprodu­ktion von Impfstoff gegen Covid-19 angekurbel­t werden. Österreich klinkt sich ein in eine Gruppe, die sich für EU-Impfpässe starkmacht.

- Thomas Mayer

Nicht nur die Bürger quer durch Europa verspüren angesichts der für diese Jahreszeit sehr hohen Temperatur­en Frühlingsg­efühle. Auch beim einen oder bei der anderen im Kreis der 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU-Staaten ist der Blick in diesen Tagen stark auf Sommer und Sonne gerichtet – und die daran geknüpften Hoffnungen der Tourismusw­irtschaft.

Das Leben möge EU-weit bald wieder „normal“werden, die Grenzen unbehinder­t offen für jene, von denen keine unmittelba­re Gefahr einer Corona-Infektion ausgeht. Eine solche politische Zielsetzun­g lässt sich aus der Agenda des nächsten EU-Gipfels ablesen, der am Donnerstag­nachmittag beginnt.

Wie schon vor sechs Wochen wird es aber wieder nur ein „virtuelles Treffen der Mitglieder des Europäisch­en Rates“sein, sprich: Man redet, so gut es geht, per Videokonfe­renz aus den Hauptstädt­en, nicht physisch in Brüssel. Dort sitzen nur der Gastgeber, der Ständige Ratspräsid­ent Charles Michel, und Ursula von der Leyen, Chefin der EU-Kommission.

Das hat einerseits den Nachteil, dass die Lösung komplexer Probleme der Pandemie mit allen wirtschaft­lichen Folgen kaum konkret vorankommt. Für heikle Kompromiss­e und „Deals“der Premiers fehlen die dafür meist nötigen Gespräche in kleineren Kreisen am Rande, die vertraulic­hen Runden.

Anderersei­ts kann es im virtuellen Raum gar keine formellen Beschlüsse geben, da sind die Regeln vor. Dennoch hat Michel seinen Kollegen eine ehrgeizige Themenstel­lung vorgegeben. Weil die EU-Institutio­nen und die Länder seit Wochen in der Kritik stehen, dass Europa im Vergleich mit Israel, Großbritan­nien und den USA weit in Verzug geraten ist (siehe Bericht Seite 7), soll der Gipfel das ganze Corona-Bouquet abarbeiten.

Freies Reisen als Ziel

Wie kann die „heimische“– also die EUinterne – Produktion von Impfstoff vorangetri­eben werden, durch neue Fabriken, Stärkung der Lieferkett­en, mehr Geld für Pharmakonz­erne? Wann lässt sich ein EU-weit gültiger Impfpass umsetzen, der weitgehend unbehellig­tes Reisen und Konsumiere­n innerhalb Europas, auch bei EU-Partnern, erlaubt?

Und wann werden endlich die Regeln bei Tests und Quarantäne­regeln vereinheit­licht, damit eine Fahrt oder ein Flug zum Meer oder in die Berge oder zu Städtereis­en wieder leicht möglich ist? Damit Arbeitnehm­er in Grenzgebie­ten ohne Verzögerun­g an ihre Arbeitsplä­tze gelangen können, Warenverke­hr im Binnenmark­t wieder funktionie­rt? Für all das wurden der Kommission bereits Arbeitsauf­träge erteilt. Bei alldem sei noch „viel Arbeit im Detail nötig“, hieß es Mittwoch aus Ratskreise­n.

In Zeiten von Corona sind Kommission­schefin Ursula von der Leyen und Ratspräsid­ent Charles Michel bei EU-Gipfeln die Einzigen, die physisch in Brüssel auftreten.

Aber es werde aus einer Erklärung deutlich werden, dass zwischen den Regierungs­chefs „der feste Konsens besteht“, dass der Prozess zur besseren Verfügbarm­achung von Impfstoffe­n beschleuni­gt werden müsse. Tags zuvor hatte eine Reuters-Meldung unter Berufung

auf einen EU-Beamten für Aufregung gesorgt, wonach die britisch-schwedisch­e Firma Astra Zeneca ihre Lieferverp­flichtunge­n im zweiten Quartal nicht einhalten werde können. Das gleiche „Spiel“hatte es Ende Jänner bereits einmal gegeben. Der Konzern dementiert­e. Man werde in der Lage sein, fehlende Dosen durch Lieferung aus anderen Teilen der Welt zu ersetzen.

Präsidenti­n von der Leyen hatte in einem Zeitungsin­terview unabhängig davon erklärt, dass es bis zum Sommer gelingen werde, 70 Prozent der EU-Bürger zu impfen. Sie berief sich darauf, dass andere Hersteller wie Pfizer/Biontech ihren Output erhöhen könnten und Johnson & Johnson dazukäme.

Risikofakt­or Virenmutat­ionen

In der Gipfelvorb­ereitung von Ratspräsid­ent Michel ist die Rede davon, dass eine neue „Taskforce“unter der Führung von Industriek­ommissar Thierry Breton der Eigenprodu­ktion neuen Schwung geben soll. Die Kommission macht ein paar Hundert Millionen Euro zusätzlich frei zur Förderung der Forschung. Die Zulassung von verbessert­en Impfstoffe­n, die in Zukunft gegen mutierte Viren wirken, soll in Schnellver­fahren erfolgen. All das und noch mehr werden „die Chefs“abnicken.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz wird einen eigenen Vorschlag zum Projekt eines CoronaImpf­passes einbringen (siehe Bericht Seite 6), der als grüne Karte in Österreich eingeführt werden soll und ähnlich auch auf EU-Ebene strukturie­rt werden könnte. Er knüpft damit an einen Vorstoß des griechisch­en Premiers Kyriakos Mitsotakis an, der das im Jänner angeregt hatte, unterstütz­t von Spanien, Italien, Kroatien, den „klassische­n“Sommertour­ismusstaat­en, und Frankreich. Wer geimpft ist (oder nach einer Covid-Erkrankung immun ist),

soll nach einem negativen Test binnen 48 Stunden volle Reisefreih­eit haben und Restaurant­s, Theater und Museen besuchen können.

Vor allem aus Deutschlan­d gibt es Vorbehalte, solange nicht geklärt ist, ob und wie Impfungen gegen mutierte Coronavire­n wirken. Die Kommission drängt dennoch, dass mehrere EU-Staaten ihre strengen Grenzkontr­ollen überdenken. Dieses Thema hat laut Michel hohe Priorität, wenngleich der Rat wie auch die Kommission anerkennen, dass die Nationalst­aaten die Letztentsc­heider sind, sobald es um Gesundheit­sschutz und Sicherheit der eigenen Bevölkerun­g geht. Im März soll es wieder einen regulären EU-Gipfel geben: dann vielleicht mit ersten konkreten Beschlüsse­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria