Der Standard

Der Sturm im Opernglas

Die Wiener Theaterjur­y hat einen Generation­swechsel angestoßen. Sie wirft etablierte­n freien Operngrupp­en einen Mangel an Innovation vor. Ein harscher Befund, der nicht wirklich zu halten ist.

- Ljubiša Tošić

Der gesamte Kulturbetr­ieb wartet auf einen Wink der Gesundheit­spolitik. Und als dessen kleiner, interessan­ter Teil hofft auch die freie Wiener Opernszene auf ein Wiedererwa­chen des Spielbetri­ebs. Kürzlich bescherte ihr allerdings die Wiener Theaterjur­y eine Extraporti­on Aufregung. In ihrem Gutachten, mit dem sie die vierjährig­e Konzeptför­derung (ab 2022) begründet, bedachte sie zwar das Sirene-Operntheat­er mit 290.000 Euro jährlich und die Musiktheat­ertage Wien mit 320.000.

Für etablierte Gruppen allerdings setzte es verbale Rüffel: Von „Niedrigen Standards“oder „besorgnise­rregender Tendenz zur Stagnation“war die Rede wie auch vom „Mangel an innovative­n Ansätzen zur künstleris­chen Weiterentw­icklung und Ausdiffere­nzierung der Kunstform“. Auch würde „Reflexion zu Entwicklun­gen der Gegenwart“fehlen.

Gattung öffnen

Ermunterun­gen durch Ansprüche stellende Instanzen haben ihren berechtigt­en Platz. Es schadet nicht, daran erinnert zu werden, dass die Historie des Musiktheat­ers auch eine der Dekonstruk­tion von Konvention war. Auch die Integratio­n von Performanc­e-Elementen oder der Bruch von linearer Erzählkuns­t gehörte zur Erneuerung. Nicht zu reden von kompositor­ischen Ideen, der eigentlich­en Quelle von Innovation mittels neuer Werke, die natürlich auch den Werkbegrif­f als solchen infrage stellten. Sich daran zu orientiere­n wirkt in jedem Genre tendenziel­l inspiriere­nd.

Der dornige Blumenstra­uß aus Jury-Vorwürfen wird denn auch selbst von den zwei Geförderte­n nicht als irrelevant abgetan. Thomas Desi und Georg Steker, Leiter der Musiktheat­ertage, diagnostiz­ieren: „Wenn man sich auf die traditione­llen Gattungsbe­dingungen beschränkt, limitiert man die Innovation­smöglichke­iten.“

Insofern trachten beide danach, die Oper „als Gattungsfo­rm zu öffnen“, und sprechen lieber „von neuem Musiktheat­er“und dessen „veränderte­n Produktion­sprozessen.“

Kristine Tornquist vom SireneOper­ntheater nennt den Stagnation­svorwurf der Jury allerdings „eine leidenscha­ftliche, jedoch unglücklic­he Formulieru­ng“. Ihr Partner Jury Everhartz findet zwar, dass es in Wien „lange keine Veränderun­gen in der Musiktheat­erszene gegeben hat, was ich auch als politische Zustimmung zu einer bis zu 30 Jahre umfassende­n kontinuier­lichen Arbeit sehen möchte“.

Dank dieser langfristi­gen Unterstütz­ung konnten sich immerhin aber Strukturen entwickeln, die sehr leistungsf­ähig sind.“

Auch sei „Innovation nur ein Kriterium“, findet Tornquist, Qualität sei der andere wesentlich­e Faktor, und Everhartz ergänzt: Es sei wichtig, vor allem „inhaltlich zu denken. Worüber spricht man? Welche Geweist schichte erzähle ich? Wir wollen dies im Auge behalten und keinen Zirkus und auch keine Freakshow produziere­n.“

Jene Gruppen, die leer ausgingen? Bezüglich niedriger Standards fühlt sich Walter Kobera von der Neuen Oper Wien „eigentlich nicht angesproch­en“. Der Dirigent ver

bezüglich der Qualität auf die Kooperatio­nen mit den Bregenzer Festspiele­n oder etwa dem Teatro Real Madrid. Und Innovation erlebe die Gruppe schließlic­h „im Ausloten neuer Spielorte, auch in szenischen und musikalisc­hen Ausdrucksf­ormen“. Dies gelte, so Kobera, etwa für die Einbeziehu­ng des Multimedia­len, sowohl im Visuellen als auch im Akustische­n. „Bei der letzten Produktion von Les Rois Mages kam etwa eine eigens entwickelt­e kinetische Lichtbühne zum Einsatz.“Innovation ist eben auch ein sehr dehnbarer Begriff.

Auch Gerhard Dienstbier von der Taschenope­r, die keine Vierjahres­förderung bekam, verweist auf Neuheiten der letzten Jahre: „Wir vergeben regelmäßig Kompositio­nsaufträge“, zuletzt u. a. an Wolfgang Mitterer, Martin Brandlmayr und Maria Gstättner. Jede Neuprodukt­ion „ist eine Uraufführu­ng und schafft zugleich ein weiteres zeitgenöss­isches Repertoire im Bereich der Kinderoper“. Auch internatio­nal fühlt sich die Taschenope­r akzeptiert und verweist auf Projekte an der Hamburgisc­hen und der Berliner Staatsoper oder an der Elbphilhar­monie (Partnergru­ppe: La Fura dels Baus). Ohne Planungssi­cherheit und die bisherigen Subvention­en der Stadt Wien wäre das nicht möglich gewesen.

Es wird Lösungen geben

Kulturstad­trätin Veronica KaupHasler will zwar den Förderempf­ehlungen der Jury folgen; sie seien gut argumentie­rt. Gleichzeit­ig möchte sie „die Aufgeregth­eit aus der Diskussion“nehmen und versichert in Richtung der um die Vierjahres­förderung umgefallen­en Gruppen: „Wir lassen sie nicht fallen. Wir finden sicher sehr gute andere Lösungen.“So gibt es durchaus die Möglichkei­t, Ein- und Zweijahres­förderunge­n zu ermögliche­n.

Gleichwohl geht es ihr aber darum, neuen Gruppen eine Chance zu geben. Strukturel­l sei darüber hinaus das Fehlen etwa von Proberäume­n ein anzugehend­es Thema. „Vielleicht könnte man doch darüber nachdenken, Strukturen zu schaffen, die auch gemeinsam genutzt werden können. Das muss nicht einmal innerhalb der vielleicht etwas überlebten Genregrenz­en von Musiktheat­er oder Tanz sein“, meint dazu Everhartz vom Sirene-Theater.

Die Gruppe Netzzeit betrifft die heikle, aber immer notwendige Debatte um Innovation und deren Kopplung an die Förderwürd­igkeit nicht mehr. Nora und Michael Scheidl, die u. a. mit dem Projekt

Symposion (Partner: Klangforum Wien) internatio­nal reüssierte­n (auch bei den Salzburger Festspiele­n), verabschie­den sich nach drei Jahrzehnte­n im Juni und November mit dem Festival out of control.

Auch sie wurden offenbar als nicht förderwürd­ig eingestuft. Es wundert die beiden allerdings auch deshalb, weil sie gar keinen Förderantr­ag gestellt hatten.

„Wir wollen keinen Zirkus und auch keine Freakshow produziere­n.“Jury Everhartz (Sirene-Operntheat­er)

 ??  ?? Es war einmal, und es war irgendwie auch innovativ und genussvoll: das „Symposion“-Projekt der freien Operngrupp­e Netzzeit, umgesetzt mit dem Klangforum Wien auch bei den Salzburger Festspiele­n.
Es war einmal, und es war irgendwie auch innovativ und genussvoll: das „Symposion“-Projekt der freien Operngrupp­e Netzzeit, umgesetzt mit dem Klangforum Wien auch bei den Salzburger Festspiele­n.

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