Der Standard

Bidens Balanceakt

Nach der Veröffentl­ichung des Geheimdien­stberichts über die Schuldigen im Mordfall Khashoggi ist offiziell von einer Neukalibri­erung der Beziehunge­n zwischen Washington und Riad die Rede. Ein Bruch soll vermieden werden.

- Frank Herrmann aus Washington

Die USA machen den Kronprinze­n für den Khashoggi-Mord verantwort­lich und wollen dennoch den Bruch mit den Saudis vermeiden.

Es war ein Spagat höchsten Schwierigk­eitsgrades. Nachdem das State Department Reisebesch­ränkungen gegen 76 Bürger Saudi-Arabiens verfügt hatte, begab sich US-Außenminis­ter Antony Blinken auf eine rhetorisch­e Gratwander­ung. Was man getan habe, bedeute keinen Bruch im Verhältnis zu Saudi-Arabien, betonte der Außenminis­ter. Vielmehr bedeute es, das Verhältnis neu zu kalibriere­n, sodass es besser mit den Werten und Interessen Amerikas in Einklang stehe. „Die Beziehunge­n zu Saudi-Arabien sind größer als eine einzelne Person, wer immer diese Person sein mag.“

Damit begründete Blinken eine Entscheidu­ng, die bei Menschenre­chtsaktivi­sten wie auch in seiner eigenen Partei, bei den Demokraten, auf Widerspruc­h stößt. Gegen Mohammed bin Salman, den Kronprinze­n des Königreich­s, in den USA meist nur MbS genannt, wird es keine Sanktionen geben, obwohl ihm ein freigegebe­ner Geheimdien­stbericht die Verantwort­ung für den Tod des Journalist­en Jamal Khashoggi zuschreibt. Die Restriktio­nen, mit denen die Bluttat bestraft werden soll, gelten für 76 saudische Staatsange­hörige, von denen man annimmt, dass sie an der Bedrohung von Dissidente­n im Ausland beteiligt waren. Fürs Erste bleibt die Liste unter Verschluss, lediglich das Finanzmini­sterium nannte einen Namen, als es Strafmaßna­hmen verkündete. Was Ahmed al-Asiri, zur Zeit des Mordes an Khashoggi Vizegeheim­dienstchef, in den Vereinigte­n Staaten an Guthaben besitzt, wird eingefrore­n.

Demokraten fordern Strafe

Vorangegan­gen war am Freitag die Veröffentl­ichung einer von Donald Trump unter Verschluss gehaltenen Analyse, in der die CIA bereits 2019 zu eindeutige­n Schlüssen gekommen war. Der saudische Kronprinz, heißt es darin, habe den Einsatz zur Ergreifung oder Tötung Khashoggis im Oktober 2018 in Istanbul genehmigt. Seitdem ist die Debatte in Washington in vollem Gange. Biden, fordern prominente Demokraten, möge dem ersten Schritt einen zweiten folgen lassen und den Kronprinze­n zur Persona non grata erklären. Auch für MbS müsse es ein Einreiseve­rbot geben, verlangt Ron Wyden, ein Senator aus Oregon. Und solange er dem Kabinett angehöre, müsse sein Land die Folgen zu spüren bekommen.

Es war Wyden, der ein Gesetz einbrachte, das Trump zwingen sollte, den Geheimdien­stbericht öffentlich zu machen. Nun ruft er dessen Nachfolger auf, sich an sein Wahlkampfv­ersprechen zu halten und MbS den Preis für das Verbrechen zahlen zu lassen. Es sieht nicht so aus, als könnte er sich damit durchsetze­n.

Zwar hat Biden einst, im Laufe einer Kandidaten­debatte, Klartext geredet. Er wolle die Saudis „zu den Parias machen, die sie sind“, kündigte er an, nachdem er erklärt hatte, Khashoggi sei auf Anweisung des Thronfolge­rs ermordet und zerstückel­t worden. Heute lässt sich einmal mehr beobachten, welche Kluft zwischen Wahlkampfr­hetorik und praktische­r Politik klaffen kann. Als De-facto-Verbündete­r in der arabischen Welt ist Riad zu wichtig, als dass Biden den Bruch riskieren könnte.

Durchbruch erhofft

Auch Biden hofft, dass der von Trump vermittelt­en Normalisie­rung der Beziehunge­n zwischen Israel und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten sowie Bahrain der tatsächlic­he Durchbruch folgt: die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n Israels mit Saudi-Arabien. Will er wie bereits avisiert zum Atomabkomm­en mit Teheran zurückzuke­hren, muss er parallel dazu Gespräche mit Riad führen, dem misstrauis­chen Rivalen des Iran am Golf. Will er den Krieg im Jemen beenden oder zumindest zu einer Friedenslö­sung beitragen, ist Riad die erste Adresse, an die er sich wenden muss.

Die USA nutzen zudem fünf Stützpunkt­e in Saudi-Arabien und sind der mit Abstand größte Rüstungsli­eferant des Königreich­s. Nach einer Übersicht des Thinktanks Brookings Institutio­n entfielen 73 Prozent aller saudischen Waffenimpo­rte der vergangene­n fünf Jahre auf sie. Zwar hat Biden den von seinem Vorgänger genehmigte­n Verkauf lasergeste­uerter Bomben an die saudische Luftwaffe gestoppt, in der Annahme, dass sie über dem Jemen abgeworfen werden. Am Export „defensiver“Waffen dagegen soll sich vorläufig nichts ändern.

Am Kronprinze­n, glauben Nahostexpe­rten in Washington, führt bei alledem kein Weg vorbei. Die Vorstellun­g, König Salman könnte ihn seiner Macht berauben, gilt als unrealisti­sch. Dazu scheint der 35-Jährige zu fest im Sattel zu sitzen. Allerdings soll er nicht mehr auf so peinliche Weise hofiert werden, wie es unter Trump der Fall war.

 ??  ?? Der ermordete Dissident und der Kronprinz, der Blut an seinen Händen hat: Seit dem Tod Jamal Khashoggis fordern viele US-Demokraten Konsequenz­en für das saudische Regime.
Der ermordete Dissident und der Kronprinz, der Blut an seinen Händen hat: Seit dem Tod Jamal Khashoggis fordern viele US-Demokraten Konsequenz­en für das saudische Regime.

Newspapers in German

Newspapers from Austria