Der Standard

Zwei Frauen an der Spitze

Hennig-Wellsow und Wissler führen deutsche Linke

- Birgit Baumann

Berlin – Politisch liegen sie meilenweit auseinande­r, organisato­risch hingegen musste die deutsche Linksparte­i am Wochenende den gleichen Weg beschreite­n wie schon vor ihr die CDU.

Die Wahl der Parteispit­ze konnte Corona-bedingt auch bei der Linken nicht auf einem Präsenzpar­teitag, sondern musste bei einem digitalen Treffen stattfinde­n. Dieses verlief wie erwartet. Gewählt wurden die 39-jährige Janine Wissler aus Hessen und die 43-jährige Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen.

Die beiden lösen nach acht Jahren Katja Kipping und Bernd Riexinger an der Spitze ab. Die Linke ist somit die erste aller im Bundestag vertretene­n Parteien, die eine weibliche Doppelspit­ze hat.

Allerdings verfolgen die beiden neuen Chefinnen nicht den gleichen Kurs. Hennig-Wellsow, die Pragmatike­rn aus dem Osten, machte in ihrer Bewerbungs­rede kein Hehl daraus, dass sie die Linken auch in eine Bundesregi­erung führen möchte. In Hennig-Wellsows Thüringer Heimat stellt die Linke mit Bodo Ramelow – in einem rot-rot-grünen Bündnis – den einzigen Ministerpr­äsidenten Deutschlan­ds.

„Lasst uns nicht mehr warten“rief Hennig-Wellsow den Delegierte­n zu und erklärte: „Ich werbe dafür, dass wir die CDU und CSU aus der Bundesregi­erung vertreiben. Ob Schwarz-Grün kommt oder Rot-RotGrün liegt auch an uns.“

Wissler, die eine Regierungs­beteiligun­g ablehnt, rief zum „Aufbegehre­n gegen die Verhältnis­se“auf: „Es geht nicht nur um ein größeres Stück vom Kuchen, es geht um die Bäckerei, es geht ums Ganze.“Auch Reimar Pflanz, der sich ebenfalls um den Parteivors­itz bewarb, warnte vor einer Regierungs­beteiligun­g: „Wir werden nicht umgestalte­n, sondern umgestalte­t werden.“(bau)

Man soll aus Wahlergebn­issen keine (falschen) Rückschlüs­se ziehen. Mit 84,2 Prozent wurde Janine Wissler vom linken Flügel zur neuen Chefin der Linksparte­i gewählt, ihre Co-Vorsitzend­e, die pragmatisc­he Susanne Hennig-Wellsow, bekam nur 70,5 Prozent.

Allerdings: Wissler trat allein auf der sogenannte­n Frauenlist­e an. Wissler, auf der „gemischten Liste“, hatte zwei Gegenkandi­daten. So gesehen ist auch ihr Ergebnis recht überzeugen­d.

Und Hennig-Wellsow freute sich ohnehin sichtbar, schließlic­h gelang am Samstag der thüringisc­hen Linken-Politikeri­n der erste, wichtige Schritt von Erfurt nach Berlin. Die 43-Jährige will dort aber nicht nur Bundeschef­in der Linken sein, sondern nach der Wahl im September auch in den Bundestag.

Glattes Eis kennt sie gut, sie begann als Achtjährig­e mit dem Eisschnell­lauf. Ursprüngli­ch stammt Hennig-Wellsow aus Demmin in Mecklenbur­g-Vorpommern. Ihre Mutter war in der DDR Standesbea­mtin und arbeitete nach der Wende im Thüringer Innenminis­terium. Der Vater gehörte der Nationalen Volksarmee an, später arbeitete er als Polizist.

Im Elternhaus war die Zeit des Nationalso­zialismus oft Thema, sagt HennigWell­sow, deshalb kämpfe sie seit Jahren gegen „alte und neue Nazis“. Am Sportgymna­sium Erfurt absolviert­e sie ihre Matura als Eisschnell­läuferin. Willensstä­rke und Disziplin aus ihrer Zeit des aktiven Spitzenspo­rts helfen ihr heute auch in der Politik, sagt sie.

Nach dem Pädagogiks­tudium begann sie im Thüringer Landtag als Referentin der PDS-Fraktion zu arbeiten. Mit 26 Jahren wurde sie jüngste Abgeordnet­e im Landtag, heute ist sie dort Fraktionsv­orsitzende, die Landespart­ei führt sie ebenfalls. Mit Mann und Kind lebt sie nach wie vor in Erfurt.

„Ich weiß, wie Regieren geht“, sagte sie im Herbst, als sie ihre Bewerbung für das Amt der Linken-Chefin im Bund bekanntgab. Sie gilt als eine der Architekti­nnen des rot-rot-grünen Bündnisses in Thüringen, der linke Ministerpr­äsident Bodo Ramelow nennt sie seine „Vorsitzend­e“.

„Bodo oder Barberei“, gab sie im Thüringer Wahlkampf als Losung aus – mit einer Schärfe, die viele erstaunte.

Bei der AfD allerdings kennt sie auch wenig Pardon. Nie bekam jemand einen Blumenstra­uß verächtlic­her vor die Füße geworfen als FDP-Mann Thomas Kemmerich von Hennig-Wellsow, nachdem er sich im Thüringer Landtag mit AfDStimmen zum Ministerpr­äsidenten hatte wählen lassen. Damit wurde sie bundesweit bekannt.

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Foto: EPA Susanne Hennig-Wellsow will die deutsche Linke in eine Koalition führen.

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