Männer, Frauen und das Coronavirus
Frauen werden häufiger getestet, Männer sterben häufiger an einer Covid-19-Infektion. Das hat soziale Ursachen, aber auch biologische. Daten zu Geschlechterunterschieden sind dennoch rar.
Männer first!“, lautete der Aufruf in einem Gastbeitrag der deutschen Wochenzeitung Die Zeit, und löste mit dem Anstoß, Männern den Vorzug bei der Impfung gegen Corona zu geben, einige Aufregung aus. Schließlich haben Männer ein höheres Risiko, an einer Corona-Infektion zu sterben, haben eher einen schweren Krankheitsverlauf und benötigen öfter intensivmedizinische Behandlung.
Die Reaktionen reichten von einer Replik in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Sollen sie doch die Hände waschen“bis zu Hinweisen darauf, dass Frauen gleich häufig oder sogar häufiger an Corona erkranken – und andere Faktoren wie Alter, Vorerkrankungen und Arbeitsumfeld bei der Priorisierung der Impfungen eine gewichtigere Rolle spielen als das Geschlecht.
Doch inwiefern sind Männer und Frauen tatsächlich unterschiedlich von Covid-Erkrankungen betroffen? Und welche Geschlechterunterschiede gibt es, sowohl was die körperliche Immunabwehr als auch soziale Faktoren betrifft? Während die Geschlechts- und Altersverteilung bei Todesfällen gut dokumentiert ist, ist die Forschungslage, was das Risiko von Männern und Frauen angeht, sich zu infizieren, sehr dünn.
Das fängt damit an, dass es kaum Daten darüber gibt, wie die Testangebote von Männern und Frauen angenommen werden. Laut der Forschungsinitiative Global Health 50/50, die internationale Daten zu Geschlechterunterschieden in Bezug auf Covid-19 sammelt, geben gerade 14 Länder weltweit geschlechterspezifische Daten zu Testungen bekannt. Demnach kommen auf zehn Tests von Frauen acht von Männern.
In Österreich konnte von insgesamt knapp 15 Millionen Testungen nur aus rund 4,5 Millionen eine Geschlechterverteilung erhoben werden, heißt es auf STANDARD-Anfrage beim Gesundheitsministerium. Demnach waren 55 Prozent der Getesteten Frauen. Ein ähnliches Bild zeigt auch eine extra durchgeführte Auswertung der Stadt Wien. Demnach lag der Frauenanteil bei den von der Stadt Wien angebotenen Antigentests im Jänner ebenfalls bei 55 Prozent. Bei den PCR-Gurgeltests, die seit kurzem vor allem in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden, liegt der Frauenanteil derzeit bei 72 Prozent.
Das ungleiche Verhältnis rühre vor allem daher, dass das Personal aus dem Gesundheitsbereich, der Pflege und im Bildungssektor, das gezielt getestet wird, zum Großteil weiblich ist, sagt die Soziologin Raya Muttarak vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg.
Höheres Risikobewusstsein
Neben der Beschäftigung könnten aber auch Unterschiede in den Einstellungen eine Rolle spielen, wie eine Studie im Fachblatt PNAS nahelegt. Eine Befragung unter rund 22.000 Personen aus acht Industrienationen, darunter Österreich, ergab, dass Frauen Covid-19 eher als ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko ansahen und eher Maßnahmen wie Masken, Abstand und häufiges Händewaschen akzeptierten als Männer. Dieses höhere Problembewusstsein könnte auch dazu führen, dass Frauen unabhängig von Symptomen eher einen Test durchführen, vermutet Muttarak.
Bei den bestätigten Infektionen ist das Verhältnis von Frauen und Männern generell ausgeglichen. In Österreich beispielsweise liegt das Verhältnis bis dato bei 51 zu 49 Prozent, was der Geschlechterverteilung in der Bevölkerung entspricht. Weltweit gebe es aber je nach Ländern große Unterschiede, sagt Muttarak. Und: „Nur auf das Geschlecht zu schauen zeigt nicht das richtige Bild. Der springende Punkt ist, die Zahlen auf Alter und Geschlecht herunterzubrechen.“
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom Wittgenstein-Zentrum für Demografie in Wien hat sie die geschlechts- und altersspezifischen Unterschiede bei Infektionen zwischen März und Dezember 2020 in neun europäischen Ländern analysiert. „Frauen haben bis zum Alter von 60 Jahren durchwegs ein höheres Risiko, sich zu infizieren“, fasst Muttarak zusammen. „Nur von 60 bis 79 Jahre dominieren Männer.“
Frauen sind häufig in exponierten Berufen, wie eben in der Pflege oder im Handel tätig und daher einem größeren Infektionsrisiko ausgesetzt, schlussfolgern die Studienautoren und -autorinnen. Welche Rolle die sozialen Bedingungen spielen, zeige auch, dass in Ländern wie etwa Katar, Pakistan und Bangladesch, wo Männer den Arbeitsmarkt dominieren und Migranten in beengten Quartieren leben, bis zu 90 Prozent der bestätigten Infektionen auf Männer zurückgehen.
Fest steht, dass eine Corona-Erkrankung bei Männern häufiger zum Tod führt als bei Frauen. Global haben Männer ein fast dreifach höheres Risiko, auf eine Intensivstation zu kommen, und sterben rund 1,5-mal so häufig an Covid-19 als Frauen. In Österreich stellten laut Statistik Austria Männer im Jahr 2020 52 Prozent der mit Covid-19 assoziierten Todesfälle. Allerdings war der Anteil der Männer zwischen 50 und 79 Jahre zum Teil mehr als doppelt so hoch als jener der Frauen in diesen Altersgruppen.
Über die Gründe für die erhöhte Vulnerabilität von Männern herrscht noch wenig Klarheit. Männer achten weniger auf ihre Gesundheit, rauchen häufiger, ernähren sich schlechter, haben häufiger Vorerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkreislauferkrankungen, lautet eine Erklärung. Auf der anderen Seite scheint das weibliche Immunsystem besser gegen SarsCoV-2 gerüstet zu sein. So beginnt die angeborene Immunantwort auf virale Infektionen bei Männern ab etwa 60 Jahren massiv abzufallen, während dieser Rückgang bei Frauen erst circa sechs Jahre später einsetzt, wie die Immunologin Akiko Iwasaki von der Yale University im Jänner in einer Studie über biologische Geschlechterunterschiede in Bezug auf Covid-19 in Science darlegte.
Auch das weibliche Sexualhormon Östrogen scheint eine Schutzfunktion gegen Sars-CoV-2 zu erfüllen. Zudem enthält das X-Chromosom viele Gene, die die Immunantwort regulieren und insbesondere in der Frühphase der Infektion eine bedeutende Rolle spielen. „Frauen haben eine stärkere initiale Immunantwort und können daher eher eine hohe Viruslast bewältigen“, erläutert die Infektionsbiologin Sylvia Knapp von der Med-Uni Wien. „Bei Männern dauert die Antwort länger, was eher zu überschießenden Immunreaktion und schweren Lungenschädigungen führen kann.“
Möglicher Impfvorteil
Doch inwieweit wirken sich diese Unterschiede auf die Impfung gegen Corona aus? „Klinische Untersuchungen an anderen Impfstoffen haben gezeigt: Frauen zeigen eine stärkere Immunantwort, die die Wirksamkeit des Impfstoffs erhöhen kann. Sie zeigen aber auch häufigere und schwerwiegendere Nebenwirkungen“, sagt die Impfstoffexpertin Christina Nicolodi.
„Wir wissen noch nicht, ob Frauen auch auf Sars-CoV-2-Impfungen besser ansprechen und ob das auch einen besseren Schutz bedeutet“, sagt Sylvia Knapp. Die großen Impfstoffstudien lassen bisher noch keinen Schluss darauf zu oder gehen nicht genau auf Geschlechterunterschiede ein. Es bleibe zu hoffen, dass die Pandemie dazu führt, dass die weltweiten Aufrufe von Wissenschafterinnen gehört werden – für mehr geschlechterspezifische Daten und einen besseren Zugang dazu.