Der Standard

Furcht vor Inflation

Kommt die Inflation, erodiert das Ersparte der Bürger. Wer sich nicht mit Sachwerten absichern kann, ist gelackmeie­rt, sagt der Wirtschaft­swissensch­after Hans-Werner Sinn. Für Schuldner würde die reale Last hingegen kleiner.

- INTERVIEW: Bettina Pfluger Auf meine Enkelkinde­r.

Die Debatte über Inflation hat zu einem Anstieg der Zinsen aus Staatsschu­lden geführt. Zentralban­ken beruhigen.

Wenn wir die Pandemie hinter uns gelassen haben, werden die EU-Länder mit ihren alten Problemen konfrontie­rt werden. Dass die EZB massiv Geld gedruckt hat, könnte sich durch eine hohe Inflation rächen. Was droht dann, und hilft der digitale Euro?

STANDARD: Seit der Finanzkris­e drucken die Notenbanke­n massiv Geld, die Zinsen sind im Minusberei­ch. Das hat sich in der Pandemie fortgesetz­t. Es scheint aber, dass das Geld nicht bei der Bevölkerun­g ankommt. Ein Teil wandert in den Kapitalmar­kt, wo eine Party gefeiert wird, als gäbe es keine Realwirtsc­haft. Sparguthab­en steigen. Zeitgleich jammern Geschäftsl­eute, dass Hilfen nicht ankommen, es wird für viele immer enger. Wohin soll das führen?

Sinn: Das meiste von dem neu gedruckten Geld fließt nach einem kleinen Umweg über den Kapitalmar­kt an die Staaten. Die Notenbanke­n kaufen nämlich Staatspapi­ere damit, und die Staaten finanziere­n mit dem Geld ihre Ausgabenpr­ogramme, unter anderem die Ausgaben für Sozialtran­sfers wie Kurzarbeit­ergeld, Sozialhilf­e und andere Leistungen. Die Staaten verschulde­n sich also bei ihren Notenbanke­n und verausgabe­n neu gedrucktes Geld, das dauerhaft im Kreislauf verbleibt. Sie hätten sich auch bei den Sparern verschulde­n können statt bei ihren Notenbanke­n, denn auch dort gibt es ungenutzte Mittel. Dann wäre die Geldmenge nicht gestiegen. Sie hätten aber attraktive­re Zinsen bieten müssen, und das wollten sie nicht.

STANDARD: Was hätte es geheißen, sich bei den Sparern zu verschulde­n?

Sinn: Wenn die Staaten ihre Papiere emittiert hätten und die EZB darauf verzichtet hätte, sie mit frisch gedrucktem Geld zu kaufen, hätten die Sparer aus aller Welt sie aus dem nicht konsumiert­en Teil ihrer Einkommen gekauft. Oder Anleger, die alte Papiere an die Sparer verkauften, hätten sie gekauft. Für die Sparer wäre das günstiger gewesen, weil die Zinsen gestiegen wären.

STANDARD: Stichwort Inflation: Wir wissen nicht, wann und ob sie kommt und wie hoch sie dann sein wird. Dennoch hat man das Gefühl, ein Gespenst namens Inflation geht um ... Sinn: Die EZB würde nicht mit besonderem Elan gegen die Inflation angehen, wenn sie käme. Falls sie käme, würde die EZB sie erst einmal schönreden, indem sie sagt: Jetzt haben wir so viele Jahre eine Inflation unter zwei Prozent gehabt, und zwei Prozent ist unser Mandat, jetzt können wir mehrere Jahre auch über zwei Prozent sein. Wobei die Aussage, dass das ihr Mandat sei, so ja nicht stimmt. Das Mandat ist null Prozent im Vertrag von Maastricht.

STANDARD: Was droht uns denn bei der steigenden Inflation?

Sinn: Das Geldvermög­en würde in der Inflation erodieren. Gelackmeie­rt wäre dann der, der nicht genug Vermögen hat, um in Sachwerten oder Realvermög­en investiere­n zu können. Die Gewinner wären die Schuldner, allen voran die Staaten, die ja massiv verschulde­t sind. Die Null- und Negativzin­spolitik hilft den Staaten unmittelba­r, weil sie auf ihre Schulden keine Zinsen mehr zahlen müssen. Das entlastet das Budget. Und sie hilft ihnen mittelbar, wenn sie zu einer Inflation führt. Davon würden die Staaten nochmals profitiere­n, weil die Wirtschaft­stätigkeit nominal aufgebläht würde und die Steuern entspreche­nd stiegen. Das ist sicher auch eine Überlegung, die der eine oder andere Finanzmini­ster von wackeligen Staaten der Eurozone im Hinterkopf hat. Offen sagen wird das keiner. So etwas wäre ja eine Verletzung des Mandats der EZB.

STANDARD: Sie haben gesagt, die privaten Sparer wären im Inflations­szenario die Gelackmeie­rten. Und die privaten Schuldner? Viele Leute haben ja hohe Immobilien­kredite ...

Sinn: Für die gilt das Gleiche wie für die Staaten. Wer verschulde­t ist, profitiert von einer Inflation. Das Einkommen würde mit der Inflation ja zunehmen, während die Tilgung nominal fixiert ist. Bei der Inflation steigt alles: die Güterpreis­e und die Löhne gleicherma­ßen. Die Schulden bleiben aber gleich hoch. Die reale Last der Verschuldu­ng nimmt dann ab.

STANDARD: Viel wird derzeit vom digitalen Euro geredet. Wie realistisc­h ist dieses Vorhaben, und was soll ein digitaler Euro bringen?

Sinn: Der digitale Euro wird vermutlich kommen. Die Vorbereitu­ngen dafür laufen bei der EZB mit Macht. Jedes Individuum kann dann das tun, was jetzt nur seine Bank kann – nämlich ein Konto bei der Zentralban­k eröffnen und über das Zentralban­kgeld verfügen. Derzeit können wir nur ein Konto bei der privaten Geschäftsb­ank eröffnen. Dort bekommen wir nur privates Buchgeld, das die Banken selbst geschaffen haben und das nur teilweise durch das Zentralban­kgeld gedeckt ist. Dieses Buchgeld ist aber kein gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel.

Das ist letztlich nur das echte Zentralban­kgeld. Echtes Zentralban­kgeld ist nicht gefährdet, wenn es Bankkonkur­se gibt, das Buchgeld bei den Banken schon.

Standard: Mit dem Digital-Euro würde man zu hundert Prozent gedecktes Zentralban­kgeld bekommen?

Sinn: Ja. Das hört sich zunächst gut an, weil es ganz sicheres Geld ist. Aber diejenigen, die den digitalen Euro wollen – so zumindest die wissenscha­ftlichen Aufsätze beim IWF dazu –, wollen das, weil sie einen negativen Zins auf das digitale Geld erheben können. Und zwar nicht nur auf das Surrogatge­ld, das die Banken geschaffen haben, sondern auch auf das echte Zentralban­kgeld.

Standard: Aber das Bargeld bleibt uns dann immer noch ...

Sinn: Das ist das Problem aus der Sicht mancher Befürworte­r dieses Vorschlags. Um für die Konten mit dem digitalen Zentralban­kgeld negative Zinsen festlegen zu können, wollen sie, dass letztlich nur das digitale Zentralban­kgeld gesetzlich­es Zahlungsmi­ttel wird. Und das Bargeld wollen sie dann relativ zum digitalen Zentralban­kgeld regelmäßig abwerten, und zwar zu einem Jahressatz, der dem Negativzin­s auf das digitale Geld entspricht. Dann können die Leute den Negativzin­sen durch die Haltung von Bargeld nicht mehr ausweichen. Das ist ein Horrorszen­ario für die Sparer. Doch dann würden die Leute viel kaufen, und es würde einen Investitio­nsboom geben. Damit käme die Realwirtsc­haft in Schwung.

STANDARD: Hinzu kommen andere Token. Facebook will sein eigenes Zahlungsmi­ttel schaffen, Bitcoin drängt ins reale Leben. Es entsteht den Eindruck, als ob wir bald mehrere Bezahlsyst­eme haben werden. Ist das sinnvoll? Schaffen wir das Bargeld damit ab?

Sinn: Das Bargeld ist ja schon auf dem Rückmarsch. Arbeiter bekommen heute keine Lohntüte mit Bargeld mehr, wie das in meiner Jugend der Fall war. Es wird alles nur noch überwiesen. Daran haben wir uns gewöhnt. Dieser Prozess würde dann noch weitergetr­ieben. Aus der Sicht des Einzelnen ist das zunächst unproblema­tisch. Das Problemati­sche liegt in den politische­n Folgen, die drohen. Wenn das Bargeld weg ist, dann ist auch die Zinsunterg­renze von null weg, und dann kann nach Belieben eine Politik der Negativzin­sen forciert werden.

STANDARD: Womit wir bei der Enteignung wären, wie sie im Buche steht.

Sinn: Ja. Ich sage nicht, dass das passieren wird. Aber die Zentralban­k hätte die Möglichkei­t, das zu tun. Heute kann sie nicht negativer werden, als sie schon ist, weil dann die Flucht ins Bargeld übermächti­g würde. Die Banken selbst halten schon heute große Bargeldbes­tände, um den Negativzin­sen, die sie zahlen müssen, zu entgehen. Auch viele Privatleut­e tun das.

STANDARD: Wie kommen wir in Summe aus dem Schlamasse­l aus herunterge­fahrener Wirtschaft, entkoppelt­en Börsen, drohender Inflation und möglichen Insolvenze­n wieder heraus? Sinn: Wir müssen unterschei­den zwischen dem langfristi­gen Strukturwa­ndel unserer Wirtschaft und der Pandemie. Die Pandemie werden wir bald überwinden, und dann gibt es einen neuen Konjunktur­aufschwung.

Standard: Der schwierige strukturel­le Trend wird davon aber nicht verbessert ...

Sinn: Richtig, das darf man nicht vermengen. Für die nähere Zukunft, die nächsten zwei, drei Jahre, bin ich optimistis­ch. Das ist die Zeitspanne, die man mit dem Wort Konjunktur meint. Dann haben wir in der westlichen Welt die Bevölkerun­g längst durchgeimp­ft und brauchen keine neuen Wellen der Epidemie mehr zu befürchten. Die Mutanten bekommen wir auch in den Griff. Die Menschen werden die Epidemie vergessen und mit neuer Kraft und neuer Hoffnung in die Zukunft schauen. Doch werden wir wieder von den alten Problemen geplagt werden, die wir vor Corona auch schon hatten: Die CO₂-Verordnung­en der EU, die dem Verbrennun­gsmotor den Garaus machen und damit die deutsch-österreich­ische Automobili­ndustrie massiv schädigen. Und die demografis­chen Verwerfung­en wegen des säkularen Rückgangs der Geburtenra­ten.

STANDARD: Viel wird auch vom Great Reset und der neuen Weltordnun­g gesprochen. Wie soll das denn aussehen, was soll das bringen?

Sinn: Die Chinesen drängen nach vorn, die Amerikaner lassen sie aber nicht. Das ist ein latentes Spannungsv­erhältnis. Von einem Reset kann aber nicht die Rede sein. Es sind schleichen­de Prozesse, die hier ablaufen und die Welt allmählich, aber nachhaltig verändern. Der Reset nach der Überwindun­g der Corona-Krise ist hingegen ein abruptes konjunktur­elles Ereignis, das mit China nicht viel zu tun hat.

STANDARD: Wenn die Lockdowns enden und die Pandemie zu Ende geht: Worauf freuen Sie sich am meisten?

Sinn:

„Wenn das Bargeld weg ist, dann ist auch die Zinsunterg­renze von null weg.“

Hans-Werner Sinn

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Foto: Imago / Argum „Kommt der digitale Euro, kann jeder Bürger ein Konto bei der EZB eröffnen und direkt über Zentralban­kgeld verfügen“, erklärt Hans-Werner Sinn.

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