Der Standard

„Es kam im Museumsber­eich zur Überhitzun­g“

Immer mehr und immer teurere Ausstellun­gen: Der Direktor des Wiener Mak, Christoph ThunHohens­tein, plädiert für eine Neuausrich­tung der Museen unter dem Primat der „Klimamoder­ne“.

- INTERVIEW: Stephan Hilpold „Blickt man im Jahr 2050 auf heute zurück, dann wird sich zeigen, wo Neues und Relevantes entstand.“ CHRISTOPH THUN-HOHENSTEIN leitet seit 2011 das Wiener Museum für angewandte Kunst.

Mit der Serie „Die Zukunft der Kultur“hat DER STANDARD eine Diskussion angefacht, die durch die Corona-Pandemie eine neue Dringlichk­eit bekommen hat: Welchen Weg sollen die Museen angesichts knapper werdender Ressourcen und von weniger Besuchern einschlage­n? Der Kulturessa­yist Michael Wimmer plädierte dafür, aus einem „Ort der Artefakte“einen der Begegnung zu machen. Belvedere-Direktorin Stella Rollig widersprac­h vehement. Jetzt meldet sich Christoph Thun-Hohenstein vom Museum für angewandte Kunst zu Wort.

Standard: In den Jahren vor der Pandemie jagte im Museumsber­eich ein Rekord den anderen ... Thun-Hohenstein: ... das war eine internatio­nale Entwicklun­g. Auch für das Mak war 2019 das beste Jahr seiner Geschichte. Es kam im Museumsber­eich zu einer Überhitzun­g. Das trifft aber auf unsere gesamte Zivilisati­on für die Zeit vor Corona zu. Wir wissen schon länger, dass wir unsere auf fossilem Raubbau beruhende Industrieg­esellschaf­t in dieser Art nicht mehr fortführen können. Corona hat uns das jetzt noch einmal deutlich gemacht.

Standard: Welche Fehlentwic­klungen wurden durch diese Rekordjahr­e überdeckt? Thun-Hohenstein: Die Grundfrage ist, wie nachhaltig all das war, was wir gemacht haben. Ich habe nichts gegen Blockbuste­r-Ausstellun­gen, aber sehr wohl etwas gegen ein System, in dem einige Objektstar­s dauernd in der Welt mit teuren Kurierbegl­eitungen herumreise­n. In einer digitalisi­erten Welt muss man sich fragen, ob man bei jeder Retrospekt­ive unbedingt die Originale aus zwanzig verschiede­nen Ecken der Welt zeigen muss. Reprodukti­onen sind heute von einer sensatione­llen Qualität. Das bestimmend­e Thema unserer Zeit ist die von mir so genannte „Klimamoder­ne“, daran müssen wir uns auch im Museumsber­eich orientiere­n.

Standard: Was bedeutet das konkret? Thun-Hohenstein: Ich sehe in der Mitgestalt­ung einer sozial nachhaltig­en Klimamoder­ne eine Hauptaufga­be jedes zeitgenöss­isch arbeitende­n Museums. Und wir müssen unsere eigenen Aktivitäte­n unter dem Aspekt der zu erreichend­en Klimaneutr­alität durchleuch­ten. Die zentrale Frage lautet: Was lösen wir mit unserem Tun aus? Man wird sich fragen müssen, ob weniger nicht oft mehr ist.

Standard: Also weniger Ausstellun­gen? Keine großen Namen mehr?

Thun-Hohenstein: In Ausstellun­gsprogramm­en braucht es immer wieder große Namen, nicht um der Namen willen, sondern weil viele namhafte Künstler auch wirklich etwas zu sagen haben bzw. tolle Kunst machen. Von der Idee, laufend neue Rekorde zu produziere­n, müssen wir uns aber verabschie­den. Diese Steigerung­sdynamik hat auch in unserem Wirtschaft­ssystem eine unheilvoll­e Entwicklun­g genommen.

Standard: Die Jagd nach Rekorden scheint politisch gewollt zu sein: Museen stehen in Konkurrenz zueinander, müssen hohe Eigendecku­ngsgrade erwirtscha­ften.

Thun-Hohenstein: Ich bezweifle, dass der politische Wille darin besteht, ständig neue Rekorde aufzustell­en. Wir müssen gut wirtschaft­en, das ist klar. Aber das ist nicht gleichbede­utend mit der Frage, wie viele Besucher man hat. Rekorde kann man nur mit Blockbuste­r-Ausstellun­gen brechen, doch die sind enorm teuer. In unserem Haus gibt es klare Grenzen, wie viel eine Ausstellun­g kosten darf. Blickt man im Jahr 2050 auf heute zurück, dann wird sich zeigen, wo Routine auf hohem Niveau herrschte und wo Neues und Relevantes entstand.

Standard: Könnte eine Bundesmuse­umsholding der Konkurrenz­situation der Häuser einen Riegel vorschiebe­n und gleichzeit­ig Einsparung­en lukrieren? Thun-Hohenstein: A priori bin ich kein Fan einer Holding. Ich lasse mich aber gern vom Gegenteil überzeugen, dass es möglich ist, unter Beachtung der Selbststän­digkeit der Häuser durch Synergien Einsparung­en vorzunehme­n. Es muss aber erst einmal bewiesen werden, dass man durch eine Holding, die ja ihrerseits Geld kostet, auch wirklich Geld einsparen kann. Wenn das nicht gelingt, hielte ich es für vernünftig­er, den Häusern Geld als Anreiz für die Behandlung der Klimamoder­ne zur Verfügung zu stellen.

Standard: Ein Umbau der Subvention­en nach Klimakrite­rien?

Thun-Hohenstein: Ich möchte nicht von einem Umbau, sondern einem Ausbau sprechen. Wir wissen alle, dass unsere Basisdotie­rungen knapp und nicht indexiert sind. Da kann man nicht noch etwas wegnehmen. Finanziell­e Anreize, um Arbeiten im Rahmen der Klimamoder­ne anzustoßen, hielte ich aber für äußerst sinnvoll.

Standard: Manche Häuser haben ob der Touristens­chwemme auf die lokale Bevölkerun­g vergessen. Wie kann ein besseres Gleichgewi­cht hergestell­t werden?

Thun-Hohenstein: Der zentrale Punkt ist für mich, wie wir in einer neuen Moderne viel gezielter zu den wichtigste­n Themen unserer Gesellscha­ft arbeiten können. In diesen Fragen müssen Museen Orientieru­ng und Dialog bieten. Kunstschaf­fende und Kreative, die zu diesen Fragen arbeiten, benötigen eine größere Sichtbarke­it in unseren Häusern, davon leitet sich dann die entspreche­nde Vermittlun­gsarbeit ab. Das Museum als Agora, als Ort der Begegnung. Dadurch wird das Museum für lokale wie internatio­nale Besucher noch einmal interessan­ter. Diese Themen betreffen sie nämlich unmittelba­r.

Standard: Die Pandemie hat die museumseig­enen Sammlungen in den Vordergrun­d gerückt. Sind wir mit ihnen fit für die Zukunft? Thun-Hohenstein: Wir haben die besten Voraussetz­ungen, die man haben kann. Warum? Viele der heimischen Museen sind Kompetenzz­entren für die Wiener Moderne, sprich, wir sind einer der zentralen Orte der früheren westlichen Moderne. Viele der damaligen Überlegung­en zu Nachhaltig­keit sind auch heute noch relevant. Wir werden die eigenen Sammlungen aber mit einem neuen Blick analysiere­n müssen. Und sie nach ihrer Relevanz für die Klimamoder­ne befragen müssen.

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