Der Standard

Die Fast-Alleinregi­erung

- Rosa Winkler-Hermaden

Der „Christoph“sei jetzt am Wort. So kündigte Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) seinen Vize Christoph Wiederkehr (Neos) bei der Bilanzpres­sekonferen­z zu „100 Tage Rot-Pink“an. Das Verhältnis der beiden ist freundscha­ftlich. Ein Honeymoon seien die ersten Monate nicht gewesen, bewahrte Wiederkehr die Fassung, aber auch gestritten habe man mangels Zeit nicht.

Die zwischenme­nschliche Atmosphäre in der Punschkrap­fenkoaliti­on dürfte passen. Man gewinnt zudem den Eindruck: Ludwig sitzt fester im Sattel denn je. In der Wiener SPÖ ist er ohnehin unumstritt­en, aber auch auf Bundeseben­e hat er mehr mitzureden als zuvor. Und das, obwohl er die rotpinke Koalition bewusst als Gegenentwu­rf zu Türkis-Grün im Bund positionie­rte. Bei den Regierungs­pressekonf­erenzen zu Corona-Maßnahmen ist er dennoch mittlerwei­le Stammgast. Er vertrat am Montag neben den Landeshaup­tmännern aus Vorarlberg und der Steiermark die Sicht der Länder. Keine Selbstvers­tändlichke­it, als Roter diese Bühne zu erhalten.

Was war geschehen seit der Wahl am 11. Oktober? Das beachtlich­e Ergebnis von 41,6 Prozent hat Ludwig in seiner Rolle als Stadtoberh­aupt gefestigt. Machtstrat­egisch war der Wechsel des Koalitions­partners von den Grünen zu den Neos außerdem sehr klug. Erstens konnte er sich so von seinem Vorgänger Michael Häupl emanzipier­en, der als Ermögliche­r von Rot-Grün gilt. Zweitens entledigte er sich des unbequemen Koalitions­partners. Denn nach mehr als drei Monaten steht jedenfalls fest: Nervig sind die Neos der SPÖ noch nicht geworden. Sie treten vielmehr als konstrukti­ver Partner auf, der brav das Koalitions­programm abarbeitet. Den pinken Fußabdruck muss man mit der Lupe suchen. Im Bildungsbe­reich gibt es kleine Akzente – Stichwort Lerncafés –, und auch die Whistleblo­werplattfo­rm ist wohl auf die Neos zurückzufü­hren. Anders agierten die Grünen, die oft unberechen­bar waren.

Die Corona-Krisenbewä­ltigung stand in den ersten hundert Tagen freilich im Fokus. Wien ist hier für seine Teststrate­gie zu loben. Auch dass bereits Bildungspe­rsonal geimpft wird, ist hervorzuhe­ben. In anderen Bereichen wünscht man sich mehr Fortschrit­t als Stillstand oder gar Rückwärtsb­ewegung. Die Koalition wird das ewige Thema Verkehr bald angehen müssen. So unbeliebt sie sich dann bei manchen Autofahrer­n machen wird: Der motorisier­te Individual­verkehr gehört raus aus der Stadt, um die Lebensqual­ität für die nächsten Generation­en zu sichern. Lieber früher als später.

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