Der Standard

Strategiew­echsel

- Eja Kapeller

Es war irgendwann im Herbst, da hat sich in Österreich im Kampf gegen die Coronaviru­s-Pandemie ein Ziel durchgeset­zt: Es dürfe nur zu so vielen Infektione­n kommen, dass das Gesundheit­ssystem nicht überlastet wird.

Dieser Strategie gemäß müssen strenge Maßnahmen erst erlassen werden, wenn die Überlastun­g der Intensivst­ationen droht. Gibt es genügend freie Betten, wie etwa jetzt in den westlichen und südlichen Bundesländ­ern, dann kann man auf einen harten Lockdown verzichten oder sogar – wie immer noch in Vorarlberg – die Gastronomi­e aufsperren.

Wer aber erst dann handelt, wenn die Lage in den Krankenhäu­sern dramatisch wird, kann dem Virus nur hinterherh­inken. Infizierte schlagen mit drei bis vier Wochen Verspätung in der Krankenhau­sstatistik auf. Das hat schon im vergangene­n November dazu geführt, dass schneller als erwartet das eintritt, was man eigentlich verhindern wollte: Die Intensivst­ationen sind am Limit, nicht lebensnotw­endige Operatione­n müssen verschoben werden.

Wie fatal diese Strategie gesundheit­spolitisch ist, zeigt sich aber nicht nur in den überlastet­en Intensivst­ationen. Viele Erkrankte leiden auch Monate nach ihrer Infektion an sogenannte­n Long-Covid-Symptomen, darunter auch zahlreiche Jüngere. Es sind Patientinn­en mit einem milden Verlauf, die gar nicht in Spitälern behandelt werden mussten. Nun sind sie so erschöpft, dass sie ihren Alltag nicht mehr bewältigen können.

Laut Schätzunge­n betrifft Long Covid rund zehn Prozent aller Covid-19-Erkrankten. Angesichts dieser Zahl wäre es höchste Zeit, den Zielwert der Pandemiebe­kämpfung zu ändern: weg von einer Kennzahl, die sich daran orientiert, wie viele Intensivpa­tienten unser Gesundheit­ssystem gerade noch aushält, hin zu einer Niedrig-Inzidenz-Strategie, die so wenige Infizierte in Kauf nimmt wie möglich.

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