Der Standard

Patrick Budgen über sein Krebs-Tagebuch

Der ORF-Journalist Patrick Budgen ist zu Beginn der Coronaviru­s-Pandemie an Lymphdrüse­nkrebs erkrankt. Den Schock durch die Diagnose hat er in Tagebuchfo­rm verarbeite­t. Ein berührende­s Werk mit optimistis­chem Grundton.

- Petra Stuiber

Wir treffen einander im Türkenscha­nzpark im 18. Bezirk in Wien. Der Himmel strahlt blau, die Luft ist lind, die ersten Blättchen sprießen, kurzum: Alle Welt will hinaus an die frische Luft. Darum komme ich auch zu spät. Staus, Staus, Staus – und viele langsame Spaziergän­ger. Zumindest ist das meine Entschuldi­gung für Patrick Budgen, der schon seit gut zwanzig Minuten auf einer Parkbank auf mich wartet. Er empfängt mich milde lächelnd mit einem Becher Coffee to go für mich. Ganz gechillt. Ich an seiner Stelle wäre unlockerer.

„Ich hab inzwischen die Sonne genossen“, sagt er. Und fügt schmunzeln­d hinzu: „Früher war ich ja nicht so entspannt.“Verständli­ch, denn Budgen ist grundsätzl­ich ein vielbeschä­ftigter Mensch. Als Moderator des ORF-Magazins Guten

Morgen Österreich und von Wien heute zählt der 37-Jährige zur Riege der „ORF-Stars“. Er ist sowohl frühmorgen­s als auch am Vorabend vor der Kamera im Einsatz. Seine pointierte­n, auf den Punkt geführten Interviews mit Einsatzkrä­ften und verantwort­lichen Politikern nach dem Terroransc­hlag in Wien am

2. November brachten ihm einen Sonderprei­s bei der Wahl zum „Journalist­en des Jahres“ein. Jetzt hat er auch noch ein Buch geschriebe­n – und das erklärt vieles. Unter anderem, warum Budgen sein Leben jetzt entspannte­r angeht als noch vor einem Jahr.

„Prack, zack, bumm“

Damals, zu Beginn der Pandemie, fühlte sich Budgen körperlich gar nicht wohl. Er hatte über Wochen leichtes Fieber, seine Lymphknote­n waren geschwolle­n, er fühlte sich matt und lustlos. Eine genaue medizinisc­he Abklärung brachte eine niederschm­etternde Diagnose: Er war an Lymphdrüse­nkrebs erkrankt, konkret am Hodgkin-Lymphom. „Prack, zack, bumm“, formuliert er es in seinem Buch.

Das Lockdown-Jahr 2020 wurde für den umtriebige­n Journalist­en zum Jahr der ganz persönlich­en Quarantäne: sechs Chemothera­piezyklen, sieben Monate Krankensta­nd, sieben Monate Abstinenz von der Kamera. Zwischen den Chemothera­pien zog er sich oft zurück, isoliert von Familie und Freunden, manchmal sogar vom Partner. „Ich bin oft wochenlang nicht vor die Tür gegangen“, erinnert sich Budgen an diesem Frühlingst­ag im Türkenscha­nzpark, während um ihn Kinder tollen, Hunde wuseln, an ihm Menschen plaudernd vorbeispaz­ieren. „Der Krebs hat mich fast ein Jahr lang zum Einsiedler gemacht.“Daher – naheliegen­d – auch der Buchtitel: Einsiedler­krebs. Wie ich aus dem schlimmste­n Jahr meines Lebens das beste machte.

In Tagebuchfo­rm erzählt Budgen von dem Schock und der Angst, lebensbedr­ohlich erkrankt zu sein, den Therapien und ihren Nebenwirku­ngen, seinen Zweifeln und Hoffnungen – und seinem ungläubige­n Staunen darüber, dass zeitgleich mit seinem sich auch das Leben aller anderen Menschen in Österreich pandemiebe­dingt verlangsam­te – und schließlic­h ganz zum Stillstand kam. Plötzlich trug nicht nur er, der Erkrankte, eine Maske – alle anderen taten es auch. Nicht nur er hielt Abstand, plötzlich war der „Babyelefan­t“für alle eine Frage der Gesundheit. Der Journalist und „NewsJunkie“Budgen verfolgte alle Wendungen und Windungen der Pandemieen­twicklung akribisch und konnte sich zunächst gar nicht entscheide­n: War es nun besonders schlecht oder sogar noch das geringere Übel, ausgerechn­et in der Coronaviru­s-Pandemie so schwer erkrankt zu sein? An guten Tagen, so liest man es in seinem Buch, habe er gedacht, dass er „wenigstens nichts versäumt“. An schlechten Tagen wusste er nicht, wovor er sich mehr ängstigte: „Dass mich der Krebs oder das Virus umbringt“, erzählt er.

Schlechtes­ter Zeitpunkt

Hannes Kaufmann, sein behandelnd­er Arzt, teilte diese Gefühlssch­wankungen nicht. Er ist ganz sicher: „Es gibt keinen schlechter­en Zeitpunkt, als in einer Pandemie so schwer zu erkranken.“Kaufmann leitet das Zentrum für Hämatologi­e und Onkologie an der Klinik Favoriten, dem ehemaligen Kaiser-FranzJosef-Spital. Im Gespräch mit dem

STANDARD erzählt er von den Nöten zu Beginn der Coronaviru­s-Krise: „Wir mussten die gesamte Organisati­on von einem Tag auf den anderen umstellen, dafür sorgen, dass es nicht in den Warteräume­n zu Staus kommt, Besuche einschränk­en oder ganz unterbinde­n.“Unter allen Umständen musste vermieden werden, dass sich Patienten auf der Station anstecken – „eine der schwierigs­ten Herausford­erungen“, sagt Kaufmann.

Wünschen würde sich der „OberDoc“, wie ihn Budgen in seinem Buch liebevoll nennt, „mehr Raum für die Patienten und mehr Personal, vor allem für die bürokratis­chen Abläufe“. Die Pandemie habe allen im Krankenhau­sbetrieb alles abverlangt – und tue es noch. „Viele in meinem Team gehen wirklich am Zahnfleisc­h“, sagt Kaufmann.

Optimistis­cher Grundton

Für Patrick Budgen ging alles gut aus: Er sprach rasch sehr gut auf die Chemothera­pie an, die Nebenwirku­ngen hielten sich in Grenzen – und er erkrankte auch nicht an Covid. Sein Buch sei eine Mischung aus „Selbstther­apie und dem Versuch, anderen in der gleichen Situation Mut zu machen“, sagt er ein Jahr später im Türkenscha­nzpark. Da er kaum Kontakt zu anderen Patienten hatte, sei er oft einsam gewesen: „Es ist nicht dasselbe, ob man mit der Familie spricht oder mit jemandem, der ganz genau weiß, wie es dir jetzt gerade geht.“Daher fordert Budgen auch am Ende seines Buchs betroffene Leserinnen und Leser auf, ihm zu schreiben, ihm ihre Geschichte­n zu erzählen, wenn sie möchten. „Mir hätte es geholfen“, sagt er.

Einsiedler­krebs pflegt, trotz des ernsten Themas, einen optimistis­chen Grundton, es ist leicht lesbar. Der Frage aller Fragen, „Warum gerade ich?“, räumt der Autor nicht übertriebe­n viel Platz ein – und man merkt, er ist familiär und partnersch­aftlich gut eingebette­t, ist beruflich und privat zufrieden, und das gibt ihm Kraft. Diesen „Luxus“haben nicht alle seiner Patienten, weiß Budgens „Ober-Doc“Hannes Kaufmann: „Viele werden noch länger an den psychische­n Nachwirkun­gen ihrer Erkrankung plus Pandemieer­fahrung laborieren.“

Das Buch könnte sie zumindest phasenweis­e erheitern. Etwa wenn sich Budgen über seine Kopfhaarob­session lustig macht und seine (unbegründe­te) Angst, ihm werde nur ein Babyflaum nachwachse­n; oder wenn er beschreibt, wie er sich als Kind weigerte, eine Burg in der Steiermark zu besichtige­n. Die Fremdenfüh­rerin hatte zuvor launig erzählt, der Burgherr sei womöglich nach einer Safari in Afrika an Ebola erkrankt. Der kleine Patrick fürchtete sich so sehr, dass er lieber im Burghof blieb. Auch von dieser zwanghafte­n Virusangst habe ihn „der Hodgkin“nachhaltig befreit.

Heute gilt Budgen als geheilt, er hat seine Haare wieder und die Erkenntnis gewonnen: „Man muss jeden Tag, jede Gelegenhei­t nutzen, das Leben genießen.“Und wenn es ein bisschen ruhiger würde, hätte er nichts dagegen, sagt er. Hochschaub­ahn wie im Wiener Wurstelpra­ter sei er emotional zur Genüge gefahren: „Jetzt wäre einmal die gemütliche­re Zwergerlba­hn dran.“

Patrick Budgen, „Einsiedler-Krebs“. € 20,– / 210 Seiten. Edition a

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 ??  ?? Patrick Budgen und der Frühling strahlen im Türkenscha­nzpark um die Wette. Seine Erkenntnis aus dem persönlich­en Krisenjahr: „Jeden Tag nutzen. Und gechillt bleiben.“Fotos: Heribert Corn
Patrick Budgen und der Frühling strahlen im Türkenscha­nzpark um die Wette. Seine Erkenntnis aus dem persönlich­en Krisenjahr: „Jeden Tag nutzen. Und gechillt bleiben.“Fotos: Heribert Corn
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Budgen: schwere Erkrankung in der Pandemie.

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