Der Standard

Herkulesau­fgabe für Atomverhan­dler

Die erste Gesprächsr­unde über die Rückkehr der USA und des Iran zum Atomdeal verlief „konstrukti­v“. Aber ein Blick auf die Details – und die Eskalation­sgefahr im Nahen Osten – relativier­t den Optimismus.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Neue Woche, neue Ausgangsla­ge: Zwischen dem Ende der ersten Runde der Gespräche über das iranische Atomabkomm­en in Wien am Freitag und der erwarteten Fortsetzun­g zu Wochenmitt­e hat es sozusagen gekracht. Am Wochenende wurde ein Sabotagean­griff auf die iranische Urananreic­herungsanl­age in Natanz verübt.

Zu den durch einen massiven Stromausfa­ll verursacht­en Schäden in Natanz gibt es den üblichen Schleierta­nz: Die New York Times spricht davon, dass Irans Anreicheru­ngsprogram­m um bis zu neun Monate zurückgewo­rfen worden sein könnte. Die Iraner betonen hingegen, dass „nur“ihre IR-1-Zentrifuge­n vom Ausfall betroffen gewesen seien. Das ist zwar noch immer jene Gaszentrif­uge, mit der der Iran am meisten arbeitet. Aber die Botschaft lautet, dass die neueren, effiziente­ren iranischen Zentrifuge­n nicht in Mitleidsch­aft gezogen worden sind.

Erst am Samstag, am selbstprok­lamierten und recht folklorist­isch inszeniert­en „Atomtag“, hatte Teheran weitere Errungensc­haften verkündet: Zentrifuge­nkaskaden, die es laut Wiener Atomabkomm­en von 2015 in dieser Form noch nicht geben dürfte, was auch für die mechanisch­en Tests (also ohne Uran) der Superzentr­ifuge IR-9 gilt.

Preis in die Höhe treiben

Das ist ein Muster: Seit infolge der Wahl Joe Bidens zum US-Präsidente­n im November 2020 die Chancen auf eine Wiederhers­tellung des Atomdeals größer werden, versucht der Iran, den Preis in die Höhe zu treiZusamm­enhänge, ben. Die iranischen Verletzung­en des Atomdeals sind gravierend­er geworden. Zu Jahresbegi­nn begann der Iran wieder, Uran auf 20 Prozent anzureiche­rn, was ein besonders heikler Punkt ist. Vorleistun­gen auf eine mögliche Entspannun­g gab es vonseiten Teherans also keine, im Gegenteil.

Kuriere auf der Ringstraße

Die USA, die unter Donald Trump 2018 aus dem Deal ausgestieg­en sind, sind in Wien seit vergangene­r Woche trotzdem zum ersten Mal wieder im Gespräch mit dem Iran – allerdings, auf Bestehen des Iran, nur indirekt. Die Diplomaten der anderen Partner – EU, Großbritan­nien, Frankreich, Deutschlan­d, Russland, China – eilen auf der Wiener Ringstraße zwischen zwei Hotels, in denen die Delegation­en untergebra­cht sind, als Kuriere hin und her: sehr mühsam, wie ein US-Offizielle­r bei einem Medienbrie­fing am Freitag betonte.

Nach dem Stromausfa­ll in Natanz beschuldig­te am Montag der Iran Israel der Urhebersch­aft des Sabotageak­ts: Diese Zuschreibu­ng wird auch von anderen Staaten für plausibel gehalten und in Israel nicht wirklich dementiert. Bereits vorigen Sommer hatte es einen schweren Brand in Natanz gegeben, damals wurde die Zentrifuge­nproduktio­n empfindlic­h getroffen. Und vergangene­n November wurde der Mann, der als „Vater des iranischen Atomprogra­mms“galt, Mohsen Fakhrizade­h, auf offener Straße erschossen.

Inzwischen ließ der iranische Außenminis­ter Mohammed Javad Zarif wissen, dass es nicht gelingen werde, die Wiener Gespräche zu torpediere­n – wobei jeder weiß, dass sich Zarifs Wünsche mit denen einflussre­icher Hardliner im Iran selten decken. Er kündigte aber auch „Rache“an. Israel und der Iran haben zudem eine gefährlich­e unterschwe­llige Konfrontat­ion auf hoher See laufen, mit gegenseiti­gen Sabotagean­griffen auf Schiffe. Schwer vorstellba­r, dass bei einer echten Eskalation die Wiener Gespräche ganz einfach weitergehe­n würden.

Der Start vergangene Woche verlief zumindest in nach außen getragenen Einschätzu­ngen überrasche­nd positiv im Ton: Das liegt wohl vor allem daran, dass die USA von allem Anfang an bereit waren, Sanktionsa­ufhebungen zu thematisie­ren. Zuvor war ja ein „Schritt für Schritt“-Szenario im Raum gestanden, jetzt heißt es, dass quasi eine Gleichzeit­igkeit von unterschie­dlichen Aktionen angestrebt werde. Also mehr nach einem gemeinsame­n Drehbuch als nach einem „Fahrplan“, von dem früher die Rede war.

Nicht mehr als „Signale“

Das ist alles noch hochtheore­tisch, praktisch liegt, glaubt man dem Briefing des US-Offizielle­n, noch kaum etwas auf dem Tisch. Er merkte auch an, von den Iranern zwar „Signale“bekommen zu haben, dass auch sie zu den nötigen Maßnahmen bereit seien: aber „mit Gewissheit noch nicht genügend“.

Dass die USA die Sanktionen aufheben wollen, die Präsident Donald Trump im Widerspruc­h zum Atomabkomm­en von 2015 gegen den Iran verhängt hat, klingt erst einmal ganz einfach. Da prallen jedoch nicht nur die iranische und die USSicht zusammen, das ist auch technisch komplizier­t.

Die USA betonen – so der US-Offizielle bei seinem Briefing –, dass sie nur jene US-Sanktionen aufzuheben bereit sind, die „inconsiste­nt“, unvereinba­r, mit dem Atomdeal selbst sind, sowie solche, die „inconsiste­nt“mit den Vorteilen sind, die der Iran aus dem JCPOA erwarten kann (so heißt der Atomdeal von 2015 offiziell: Joint Comprehens­ive Plan of Action). Auch ein funktionie­render JCPOA schließt nämlich nicht aus, dass die USA in anderen Zusammenhä­ngen Sanktionen gegen den Iran verhängen.

Nicht alle Sanktionen

Das heißt, dass eben auch die Biden-Regierung nicht bereit ist, alle von Trump verhängten Sanktionen gegen den Iran wieder aufzuheben: Solche, die im Zusammenha­ng mit Terrorismu­s oder Menschenre­chtsverlet­zungen verhängt wurden, sollten demnach bleiben. Nun sollte man meinen, dass die einen von den anderen Sanktionen leicht zu unterschei­den sind. Aber abgesehen davon, dass der Iran natürlich „alle“Trump-Sanktionen weghaben will, ist das gar nicht so einfach.

Denn die Trump-Regierung, so der US-Offizielle bei seinem Briefing, habe „sich große Mühe gegeben, um es der nächsten Regierung möglichst schwerzuma­chen, wieder in den JCPOA einzutrete­n“. Deshalb hätte sie Sanktionen, die sich eigentlich gegen den Atomdeal richteten, „umbenannt“und in andere etwa Terrorismu­s, gestellt. All diese Sanktionen müssten erst durchforst­et werden, ob sie der Umsetzung des JCPOA hinderlich seien oder nicht. Das „Label“stimme nicht immer.

Weitere Themen

Selbst wenn die Wien-Gespräche also in der „konstrukti­ven“Atmosphäre, die ihnen von den Beteiligte­n am Freitag bescheinig­t wurde, fortgesetz­t werden können: Es wird eine Herkulesau­fgabe. Die USA verhehlen auch nicht, dass sie nach der Rückkehr zum JCPOA weiterverh­andeln wollen, um den Kritikern des Deals entgegenzu­kommen: die Laufzeiten verändern, andere Themen – Irans Raketenpro­gramm, Regionalpo­litik, Menschenre­chte – ansprechen. In Wien wurden vergangene Woche nicht mehr als ein paar kleine erste Schritte auf einem sehr langen Weg gemacht.

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„Atomtag“im Iran: Atomorgani­sationsche­f Ali Akbar Salehi (li.) zeigt Präsident Hassan Rohani (Mitte) die letzten Errungensc­haften.
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