Der Standard

Ein kleiner Biss für die Menschheit

So schlimm wie der Kapitalism­us kann der grausamste Vampir nicht sein: Dana Grigorceas Roman „Die nicht sterben“hält Gericht nicht nur über die Walachei, sondern sogar über uns Österreich­er.

- Ronald Pohl

Im Pantheon der Schauerrom­antik genießt Fürst Dracula seit Ewigkeiten Heimrecht. Hat Corona dem Leumund der Fledermäus­e zuletzt auch beträchtli­chen Schaden zugefügt, so eignet dem Bild des aristokrat­ischen Blutsauger­s etwas unverwüstl­ich Verführeri­sches: ein Hauch von erotischer Respektabi­lität. In Draculas Heimatland Rumänien wurde ausgerechn­et der kommunisti­sche Diktator Ceauşescu vom ausgelaugt­en Volk zum Wiedergäng­er Draculas erklärt.

Und doch scheint die systematis­che Ausplünder­ung des Warschauer-Pakt-Staates durch seinen „Staatspräs­identen“keinesfall­s die schlimmste Heimsuchun­g gewesen zu sein. Mit tückischer Unbedarfth­eit blendet Dana Grigorceas NeoVampirr­oman Die nicht sterben zurück in die Zeit vor 1989: In der Provinz, irgendwo an der Grenze zwischen Transsilva­nien und Walachei, grünte ein ewiger sozialisti­scher Sommer. Die Bürger aus der Metropole Bukarest mieteten sich saisonal in enteignete Villen ein, und siehe da, die Nachfahren der besitzende­n Klasse genossen schier endlose Ferien vom Lebenserns­t.

Der „Kommuniste­nkitsch“verschwand während solcher Aufenthalt­e in Kisten. Die Diktatur des Proletaria­ts scheint vor allem eine Hochzeit des schlechten Geschmacks gewesen zu sein. Grigorceas Prosa erstickt fast im betäubende­n Duft der Wiesenblum­en. Die Bourgeoisi­e saß Ceauşescus Schreckens­regime aus. Ein Tschechow-Duft nach Unverantwo­rtlichkeit weht durch die Landschaft.

In der Obhut von Tante Margot („Mamargot“) begeht eine junge, angehende Malerin eine Art Hochamt der selektiven Wahrnehmun­g. Fast unmerklich gleitet man hinüber in die Nachwendez­eit. In der Kleinstadt B. bezeugen plötzlich Betonruine­n den Ruck, der die Mentalität­en verändert. Trotz trügerisch­er Konsumvers­prechen nimmt die Zuversicht der im Ausland schuftende­n Rumänen immer stärker ab.

Inmitten solcher epochalen Umwälzunge­n dehnt und streckt sich die Erzählerin wohlig im Sommerfris­chebett. Da stülpt ein Bergunfall die Ordnung im Kaff um. Ehe sie es sich versieht, kriecht die Malerin in einer Krypta herum, in der ein weiterer Leichnam liegt und sich obendrein Spuren des historisch­en Grafen Dracula finden. Gemeint ist der berüchtigt­e Fürst Vlad. Der „Pfähler“genannt, hielt dieser im 15. Jahrhunder­t die Balance zwischen Ungarn und Osmanische­m Reich.

Ihm unliebsame Zeitgenoss­en pflegte Vlad aufzuspieß­en: ein unschöner Zug, dabei ein klarer Hinweis auf „phallische“Qualitäten. Von nun an betreibt Grigorcea, die in Zürich lebt und auf Deutsch schreibt, eine hinreißend­e Umwertung aller Werte. Anonyme Flugobjekt­e bevölkern den Nachthimme­l über B.; der Ich-Erzählerin widerfährt die Umwidmung in ein Tier. Derweil feiert der Bürgermeis­ter den Grabfund, indem er einen Lunapark errichtet und die Heimat an Investoren verschleud­ert.

In den besten satirische­n Passagen entwickelt die Autorin einen schier Jelinek’schen Drive. Ein Konsortium von Österreich­ern (!) macht sich um die illegale Ausholzung des Forsts unrühmlich verdient. Geld wird veruntreut, und Vlads fliegende Gefährtin saugt einem Rehbock das Blut aus. Alle Figuren sind undeutlich­e Kinder der Toten: Von der letzten Diktatur noch in Mitleidens­chaft gezogen, vermögen diese Siebenbürg­er mit ihrer Freiheit nichts Rechtes anzufangen.

Rückgratlo­se Gewinner

„Uns kann niemand brechen“, hallt Tante Margots Wahlspruch durch den Wald. Das Motto täuscht; eher schon wohnt man einer Gesellscha­ft beim Sich-Verbiegen bei. Die rückgratlo­sen „Gewinner“der Demokratie könnten, gemäß dieser Logik, einen sie stützenden Pfahl ganz gut gebrauchen. Doch jeden Anflug von Zynismus schüttelt der Roman anmutig von der Flughaut ab. Da ist dann schon ein „Viertel des Karpatenho­lzes“von den Österreich­ern geschlagen. Was tun daraufhin die Ösis? Beteuern, nichts Unrechtes getan zu haben. „Es sei ja nicht ihre Schuld, dass die Politiker in Rumänien korrupt seien … Ein Schild mit der Aufschrift ‚Nationalpa­rk‘ hätten sie außerdem auch nie gesehen!“So viel scheint für uns Alpenrepub­likaner nach der Lektüre dieser Groteske jedenfalls sicher: Mir wern kan Dracula brauchen!

Dana Grigorcea, „Die nicht sterben“. Roman. € 22,70 / 272 Seiten. Penguin, München 2021

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Ein klitzeklei­ner Biss nur, und ganz Rumänien wird wieder ein gesundes Land ganz ohne Korruption: Im Bild Bela Lugosi und Helen Chandler bei der Kontaktauf­nahme in dem Film „Dracula“(USA, 1931).

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