Der Standard

Düsterer Ausblick im Osten

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Im Gegensatz zu den erbauliche­n Banalitäte­n der politische­n Stellungna­hmen aus Brüssel muss man feststelle­n, dass die Aussichten für politische Stabilität und wirtschaft­lichen Aufstieg in Osteuropa dreißig Jahre nach dem Zusammenbr­uch der kommunisti­schen Systeme düster sind.

Russland, seit zwei Jahrzehnte­n unter Wladimir Putin, stellt wegen der völlig undurchsic­htigen Entscheidu­ngsstruktu­r der Herrschaft eines einzigen „starken Mannes“potenziell eine größere Gefahr für Europa dar als das kommunisti­sche System nach Stalins Tod. Im Lande selbst hat „der unentwegt andauernde Gewaltkrei­slauf eine Art traumatisc­hen Korridor erzeugt, durch den die Gesellscha­ft von einem Unglück zum nächsten geht“, so die Schriftste­llerin Maria Stepanova in ihrem Roman Nach dem Gedächtnis.

Die Kriege und Interventi­onen – seit 2008 Georgien, 2014 Krim, seit 2019 Ostukraine – sind die Stationen einer außenpolit­ischen Strategie, die durch nationalis­tische Expansion von der Wirtschaft­smisere ablenken will und den Westen, auch durch die Benützung eines Impfstoffs als Instrument des hybriden Kriegs“(der slowakisch­e Außenminis­ter Ivan Korčok), spalten will. Belarus, der Nachbarsta­at aus der

Konkursmas­se der Sowjetunio­n, gilt als die „nackte Schwesterd­iktatur“seit einem Vierteljah­rhundert unter dem hemmungslo­sen Alexander Lukaschenk­o.

Unabhängig davon, dass Kaczyńskis Polen ein Gegner und Orbáns Ungarn ein Verbündete­r des Putin-Regimes ist, sind beide Staaten ein mahnendes Beispiel dafür, dass sich das Demokratie­projekt nicht auf das Mehrheitsp­rinzip und formal freie Wahlen reduzieren lässt. Ohne Menschenun­d Bürgerrech­te, ohne freie Medien, ohne unabhängig­e Justiz, ohne Rechtsstaa­tlichkeit kann das Mehrheitsp­rinzip zu autoritäre­n und sogar totalitäre­n Konsequenz­en führen.

Die Slowakei und Slowenien, beide wirtschaft­lich zeitweilig erfolgreic­he Mitglieder der Eurozone, bieten immer wieder wechselnde Phasen der Politik zwischen scheinbar erfolgreic­hen „starken Männern“(Mečiar und Fico in Bratislava, Janša zum dritten Mal in Ljubljana) und erfolgreic­hen Gegenreakt­ionen der starken Zivilgesel­lschaften, vertreten derzeit in der Slowakei durch Präsidenti­n Čaputová und in Slowenien durch Präsident Borut Pahor.

In Tschechien, dem Land mit den stärksten demokratis­chen Traditione­n, wird die Politik durch ein vom Alkoholkon­sum und von der Russlandli­ebe geprägtes Staatsober­haupt und einen steinreich­en Regierungs­chef bestimmt, dessen Tätigkeit sich darin erschöpft, zu beweisen, dass er weder Agent des kommunisti­schen Geheimdien­sts noch ein Subvention­sbetrüger der Europäisch­en Union gewesen ist.

Bulgarien und Rumänien sind die korruptest­en Mitgliedss­taaten der Europäisch­en Union. In beiden Ländern sind die sogenannte­n sozialdemo­kratischen und sogenannte­n liberalkon­servativen Führungsgr­emien mit wenigen Ausnahmen verlässlic­he Säulen der Korruption. Was der Literaturk­ritiker Ludwig Börne (1786–1837) vor vielen Jahren geschriebe­n hat, gilt auch heute für die Handelnden in der Politik, wohlgemerk­t auch in den liberalen Demokratie­n des Westens: „Das Geheimnis jeder Macht besteht darin zu wissen, dass andere noch feiger sind als wir.“

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