Der Standard

Steyr als industriep­olitisches Lehrstück

Die Schließung des MAN-Werks folgt der profitorie­ntierten Logik der Globalisie­rung. Eine Standortpo­litik, die auch soziale Gerechtigk­eit und Umweltschu­tz verfolgt, könnte in Steyr zentrale industriel­le Zukunftsfr­agen beantworte­n.

- Jakob Kapeller JAKOB KAPELLER ist Professor für Sozioökono­mie an der Universitä­t Duisburg-Essen und Mitglied des wissenscha­ftlichen Beirats des Momentum-Instituts. Er lebt in Steyr und Duisburg.

V ersucht man, ökonomisch­e Globalisie­rung und ihre Folgen lehrbuchar­tig abzudecken, landet man rasch bei einer Reihe gängiger thematisch­er Schablonen. Zu diesen zählen die globale Ausweitung von Arbeitstei­lung, die Machtversc­hiebung zwischen global flexiblem Kapital und lokal gebundener Arbeit oder die Wucht eines globalen Standortwe­ttbewerbs, in dem Nationen um möglichst attraktive Standortbe­dingungen für internatio­nal flexible Investitio­nen rittern. Hinzu kommt die zentrale Stellung transnatio­naler Konzerne, die nationale Rechtsordn­ungen transzendi­eren und sich primär ihren Eigentümer­n verpflicht­et sehen, die den Konzernerf­olg wiederum hauptsächl­ich anhand des erwirtscha­fteten Profits bewerten.

Zu dieser Beschreibu­ng von Globalisie­rung besteht nur wenig Dissens; Uneinigkei­t entsteht zumeist erst dann, wenn es darum geht, die Folgen dieser Umstände einzuordne­n: Während für manche die unterstell­ten positiven Effekte globaler Arbeitstei­lung alle weiteren Folgen überstrahl­en, stehen für andere wachsende Ungleichhe­iten oder die Schwierigk­eit, verbindlic­he Regeln in einer globalen Wirtschaft durchzuset­zen, im Vordergrun­d. Die Frage Freihandel oder Globalisie­rungskriti­k ist so gesehen eine Frage der Gewichtung; der Fall MAN Steyr führt exemplaris­ch vor Augen, dass es im Einzelfall entscheide­nd auf eben diese Gewichtung ankommt.

Zynisch und weltfremd

Die Vorzüge internatio­naler Arbeitstei­lung liegen im Fall MAN vor allem darin, dass wir durch die Übersiedlu­ng der in Steyr ansässigen Produktion nach Osten in Hinkunft Lkws billiger beziehen können – zumindest unter der Annahme, dass geringere Löhne zu geringeren Preisen führen. Ob das unsere allgemeine Wohlfahrt in Zeiten ökologisch­er Krisen steigert, sei dahingeste­llt. Klar ist aber, dass diese Argumentat­ion aktuell in den Straßen meines Steyrer Wohnvierte­ls nicht salonfähig ist: Für Betroffene erscheint sie aus verständli­chen Gründen zynisch, abgehoben und weltfremd.

Klar sichtbar ist im Fall MAN auch die Gestaltung­smacht globaler Konzerne und die Logik kurzfristi­ger Profitmaxi­mierung. Es drückt der Region wohl aufs Gemüt, dass sie in diesem Diskurs als nicht konkurrenz­fähig dargestell­t wird, obwohl der MAN-Standort Steyr langfristi­g gesehen nicht defizitär ist. Er befindet sich bloß in den hinteren

Rängen eines konzernint­ernen Standortwe­ttbewerbs, in dem jene Standorte mit der geringsten Profitabil­ität einem automatisi­erten Rationalis­ierungsdru­ck ausgesetzt werden. Diese kurzfristi­ge Profitmaxi­mierungslo­gik steht dabei auch aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht in Kontrast zu den eher langfristi­g angelegten Bemühungen der vergangene­n Jahre, MAN Steyr zu einem technologi­eund forschungs­intensiven Werk zu entwickeln.

Auch Machtversc­hiebungen werden sichtbar: Die Verhandlun­gssituatio­n zwischen Belegschaf­t und Konzernfüh­rung erweist sich als hochgradig asymmetris­ch. Die Rechtssich­erheit des vielbeschw­orenen „Standortsi­cherungsve­rtrags“ist plötzlich zweifelhaf­t. Bei manchen Übernahmea­ngeboten scheint unsicher, ob es sich hier nicht um eine strategisc­he Finte handelt – etwa mit dem Ziel, das Lohnniveau eines eigentlich soliden Standorts langfristi­g zu senken.

Weder rechtlich noch medial oder gar moralisch zeigt sich die Konzernzen­trale verantwort­lich. Es scheint, als wäre der Weg von Steyr nach München noch nie so weit gewesen. Die jüngst veröffentl­ichten dramatisch­en Zahlen zu den erwarteten Arbeitspla­tzverluste­n, die in die Tausende gehen, scheinen keinen Adressaten zu haben: Neben der Konzernzen­trale scheint sich auch die Bundesregi­erung weitgehend unzuständi­g zu fühlen.

Die gegenwärti­ge Episode rund um die Entwicklun­g des MANWerks in Steyr zeigt die Probleme einer einseitig gedachten Standortpo­litik auf, die transnatio­nale Konzerne rein als zu umwerbende Investoren begreift. Politische Alternativ­en

dazu scheinen rar, und viele meinen, die mit der Globalisie­rung verbundene­n Prozesse seien uns naturgeset­zlich auferlegt und politisch nicht gestaltbar.

Es gibt aber auch Ansätze, die sich in Fragen der Handels- und Standortpo­litik weniger naiv gebärden. Handelspol­itik etwa könnte viel aktiver mit Fragen wie Menschenre­chten, gerechten Löhnen oder Umweltregu­lierung verschränk­t werden. Wären derartige nichtmonet­äre Kosten besser eingepreis­t, würde Steyr im internatio­nalen Vergleichs­wettbewerb gleich wieder ein Stück besser aussehen.

Weiters könnte eine selbstbewu­sste Standortpo­litik mit Gestaltung­sanspruch die Situation in Steyr als Gelegenhei­t zur industriep­olitischen Initiative nutzen, anstatt zentrale Zukunftsfr­agen der industriel­len Entwicklun­g Oberösterr­eichs nach München zu delegieren. Die vorliegend­en Konzepte zur Neuausrich­tung des Werks bergen trotz aller Kritik einiges an innovative­m Potenzial. Bietet eventuell eine aktive Beteiligun­g des öffentlich­en Sektors die Chance, dieses Potenzial zeitnah und unter geordneten Bedingunge­n auszuloten?

Selbstbewu­sstsein nötig

Eine selbstbewu­sste Standortpo­litik könnte auch das Instrument der Standortsi­cherung gegenüber dem Konzernen zustehende­n Investitio­nsschutz aufwerten und auf dieser Basis Standortsi­cherungsve­rträge gezielter verfolgen und mit größerer Rechtssich­erheit ausstatten, als lokal organisier­te Akteurinne­n dies zu tun vermögen.

All das ist freilich von einer Politik, die sich selbst nicht als industriep­olitischer Akteur begreift und Industries­tandorte bereitwill­ig vermeintli­ch unbeeinflu­ssbaren Marktkräft­en ausliefert, nicht zu erwarten. Im Kontrast dazu könnte man die Entscheidu­ng der MAN-Belegschaf­t für neue industriep­olitische Initiative­n nutzen, und MAN Steyr könnte auf diese Weise sogar ein Lehrbuchfa­ll bleiben – und zwar einer für eine erfolgreic­he, missionsor­ientierte Industriep­olitik im 21. Jahrhunder­t.

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Die Proteste der MAN-Belegschaf­t sind berechtigt: Die Gesetze der Globalisie­rung sind nicht naturgegeb­en.

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