Der Standard

Madrilenen schauen den Touristen beim Feiern zu

Partywütig­e Franzosen überschwem­men Stadt

- Reiner Wandler aus Madrid

Oui, je parle français“, sagt Aki und lächelt dabei verschmitz­t. Wer nicht in Madrid lebt, wird kaum verstehen, warum der Koch und Chef eines Sushi-Restaurant­s in der Altstadt diesen Satz lustig und zugleich traurig findet. Während die Spanier ihre Region seit Monaten nicht verlassen können, überschwem­men Wochenende für Wochenende junge Menschen aus dem Nachbarlan­d die Kneipen, Restaurant­s und Bars der spanischen Hauptstadt. Und die Deutschen reisen, als gäbe es kein Morgen, nach Mallorca.

Die offenen Grenzen für europäisch­e Touristen beruhten auf „europäisch­er Gegenseiti­gkeit“– so erklärt die spanische Linksregie­rung, warum Touristen kommen können, während die Einheimisc­hen seit Monaten unter strengen Auflagen eingesperr­t leben.

So ist die Region Madrid zum Ausgehvier­tel für ganz Europa geworden. Videos von riesigen Gruppen ohne Maske, trinkend, grölend, nach Beginn der Ausgangssp­erre um 23 Uhr, machen in den sozialen Netzwerken die Runde.

Die Madrider Stadtverwa­ltung und Regionalre­gierung, beide in Händen der Konservati­ven mit Unterstütz­ung durch Rechtslibe­rale und Rechtsextr­eme, setzen auf Wirtschaft statt Gesundheit­sschutz. Und nicht auf irgendeine Wirtschaft, sondern auf die Gastronomi­e in all ihren Formen. Selbst die „puticlubs“, die Bordelle entlang der Nationalst­raßen, sind mitten in der Pandemie offen.

Zentralreg­ierung warnt

Wohl nur allzu gerne lässt sich die Chefin der Regionalre­gierung, Isabel Díaz Ayuso, die sich am 4. Mai von ihr vorgezogen­en Neuwahlen stellt, von so manchem Restaurant­und Kneipenbes­itzer mit Plakaten feiern, die sie als eine Art Jeanne d’Arc der Gastronomi­e zeichnen.

Die Zahl der Neuinfekti­onen liegt in Madrid nach den fröhlichen Ostern erneut über 190 pro 100.000 Einwohner. Ayuso überhört geflissent­lich die Mahnung des Gesundheit­sministeri­ums, endlich etwas zu unternehme­n, um einen weiteren Anstieg zu vermeiden.

So steuert die Region Madrid, die so viele Covid-Fälle und -Tote zu verzeichne­n hat wie kaum eine andere Gegend in Europa, auf eine vierte Welle zu. „Ist euch klar, dass die Gastronomi­e in Madrid geöffnet wurde, weil sich die Regionalre­gierung weigert, Unterstütz­ung zu leisten, und nicht etwa, weil sie die Geschäfte ,retten‘ will?“, steht auf einem Plakat in einer Kneipe in der Altstadt zu lesen, die die rechte Regierung ganz offensicht­lich nicht unterstütz­t.

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Foto: AP / Bernat Armangue Madrids Nachtleben boomt, die Zentralreg­ierung warnt.

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