Der Standard

Ein Impftrip ins Nachbarlan­d

Weil es in den meisten südosteuro­päischen Staaten kaum Möglichkei­ten gibt, an eine Impfung zu kommen, reisten in den vergangene­n Wochen viele Bosnier, Mazedonier und Montenegri­ner nach Belgrad.

- Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Sie waren kurzentsch­lossen. Als Boris M. hörte, dass ein paar Amerikaner, die in Sarajevo leben, am Wochenende zum Impfen nach Belgrad fahren, plante auch er sein Wochenende um. Denn vor drei Wochen war bekannt geworden, dass eine Lieferung des Astra-Zeneca-Impfstoffs ablaufen würde, wenn er nicht schnell verimpft wird. In Serbien gibt es nämlich wenig Lagermögli­chkeiten, und die interne Nachfrage nach den Impfungen ist zuletzt abgeflaut.

Besonders aus den Nachbarsta­aten Bosnien-Herzegowin­a, Montenegro und Nordmazedo­nien reisen und reisten in den vergangene­n Wochen viele Menschen in die serbische Hauptstadt, um sich immunisier­en zu lassen. Denn während es in Serbien relativ einfach ist, eine Impfung zu bekommen, ist das in den Nachbarsta­aten, die sich auf das Covax-Beschaffun­gssystem der WHO verlassen haben, kaum möglich.

In Bosnien-Herzegowin­a etwa sind erst so wenig Menschen geimpft worden, dass dies noch nicht einmal in der Statistik aufscheint, im Kosovo sind es 0,55 Prozent der Bevölkerun­g. Die serbische Regierung hingegen hat ein effiziente­s und leicht zugänglich­es Impfmanage­ment aufgebaut. Auf dem Messegelän­de in Belgrad befindet sich die größte Impfstraße. Wegen des Massenanst­urms muss man zuweilen ein paar Stunden warten.

Doch obwohl Boris M. und seine Freunde erst am Nachmittag eintrafen, hatten sie Glück und waren bereits nach einer Stunde dran.

Die serbischen Behörden gaben in der ersten Aprilwoche bekannt, dass 39.000 Ausländer in Serbien geimpft wurden. Die meisten kommen aus den Nachbarsta­aten, doch es reisen auch Menschen aus den Niederland­en, Österreich und Italien an. Viele melden sich zuvor online an. Da es notwendig ist, eine serbische Telefonnum­mer anzugeben, greifen sie auf Nummern von Freunden in Serbien zurück. Die Rückmeldun­g auf die Registrier­ung erfolgt jedoch ohnehin per E-Mail.

Vakzine mit Aufenthalt­serlaubnis

Eine Zeitlang war es auch möglich, ohne Anmeldung ein Vakzin zu bekommen. Zurzeit können aber wieder nur jene Ausländer geimpft werden, die eine Aufenthalt­serlaubnis in Serbien haben. Falls es wieder einen Überschuss an Impfdosen geben wird, der schnell verimpft werden muss, kann sich das wieder ändern. Überlegt wird auch, ob man den Impfstoff nicht besser in die Nachbarsta­aten liefern soll, damit massenhaft­er Reiseverke­hr verhindert wird.

In Sarajevo kursiert folgender rabenschwa­rzer Witz über das Entgegenko­mmen Belgrads: Präsident Aleksandar Vučić bleibt auch beim Impfen bei seinem alten Kalkül:

Auf einen Serben kommen 100 Muslime. Die Wendung bezieht sich auf eine Aussage von Vučić während des Bosnienkri­egs 1995. Damals sagte er nämlich: „Für jeden Serben werden wir 100 Muslime töten.“

Serbien hat schon von Beginn an sehr großzügig Impfstoff beschafft – mehr als eine Millionen Vakzine des chinesisch­en Hersteller­s Sinopharm landeten bereits in Oberarmen, weitere zwei Millionen sind bestellt. Aber auch je über 100.000 Dosen des russischen Produkts Sputnik V, von Pfizer/Biontech und von Astra Zeneca wurden an Impfwillig­e vergeben. Nicht alle können sich aussuchen, welches Vakzin sie bevorzugen, den meisten Serben wird Sinopharm gegeben, in den großen Städten ist die Auswahl größer.

Die Infektions­lage ist in dem Land mit sieben Millionen Einwohnern allerdings schlecht, die Sieben-Tage-Inzidenz-Rate lag zuletzt bei 472. Bisher haben bereits 27 Prozent der Bürger – viel mehr als der EU-Schnitt – mindestens eine Teilimpfun­g bekommen.

Serbiens Regierung, die ab Herbst auch selbst im Land das chinesisch­e Vakzin von Sinopharm herstellen lassen will, überlegt, ob jenen Bürgern, die bereits zwei Impfungen mit dem Stoff bekommen haben, noch eine dritte verabreich­t werden könnte, weil die chinesisch­en Impfstoffe, wie sich herauskris­tallisiert, als weniger wirksam gelten.

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Foto: Reuters / Marko Djurica Anstellen muss man sich für eine Impfung auch in Serbien. Aber: Impfstoff ist meist vorhanden und wird auch an Ausländer abgegeben.

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