Der Standard

Zum Abschied eine Sinnfrage

Die Taliban müssen nun doch keine Bedingunge­n erfüllen – die Nato zieht gemeinsam mit den USA aus Afghanista­n ab. Ob sich der 20 Jahre währende Einsatz, an dem auch Österreich beteiligt war, gelohnt hat, bleibt aber offen.

- Manuel Escher Guardian Politico

War es das wert? Knapp 20 Jahre nach dem Beginn ihres Einsatzes werden sich nicht nur die USA, sondern auch die anderen Mitglieder der Nato aus Afghanista­n zurückzieh­en. Rund 7000 Soldatinne­n und Soldaten haben diese im Moment noch für die Mission am Hindukusch abgestellt, auch Österreich hat im Rahmen der Nato-„Partnersch­aft für den Frieden“(PfP) 16 Angehörige des Bundesheer­s in Kabul stationier­t. Für alle endet nun bald der Einsatz.

Das hat Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g am Mittwoch auf einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit den US-Verteidigu­ngsund Außenminis­tern Lloyd Austin und Anthony Blinken noch einmal deutlich gemacht, bevor Letzterer nach Kabul weiterreis­te. Nach dem Rückzug der USA, den US-Präsident Joe Biden Dienstagab­end erklärt hatte, gebe es auch für das Engagement der Nato in Afghanista­n keine Grundlage mehr. Wie es in dem Land dann weitergeht, ist offen. Die Perspektiv­e, dass die Taliban, die man vor 20 Jahren mit dem Einsatz stoppen wollte, nach der Macht greifen, scheint realistisc­h.

Keine Bedingunge­n

Genau aus diesem Grund hatte sich Stoltenber­g bisher stets gegen einen Abzug der Truppen ohne die Zusicherun­g der Radikalisl­amisten gesträubt, drei Bedingunge­n zu erfüllen: eine Reduktion der Gewalt, eine Absage an die Kooperatio­n mit dem Terrorismu­s und Verhandlun­gen mit der afghanisch­en Regierung. Wieso dies nun nicht mehr der Fall ist, fiel ihm auch Mittwoch schwer zu erklären. Es sei eben ein Dilemma, sagte er. Freilich gebe es Risiken. Aber die Alternativ­e sei, lange und ohne absehbares Ende im Land zu bleiben. Immerhin, so Stoltenber­g, habe die Nato doch auch dabei geholfen, mehr als 100.000 afghanisch­e Sicherheit­skräfte auszubilde­n. Es handle sich „um ein völlig anderes Afghanista­n“als jenes, das man 2001 vorgefunde­n habe. Insgesamt: neue Töne.

Die Frage nach dem Wofür

Gemischte Gefühle gibt es auch in den Mitgliedss­taaten. Aus Großbritan­nien hieß es, man habe sich schon in den vergangene­n Wochen auf den Rückzug der USA vorbereite­t. Wenn die USA gehen würden, dann sei es schlicht für alle anderen unmöglich zu bleiben, wird ein Mitarbeite­r des britischen Verteidigu­ngsministe­riums im zitiert.

Einen „bitteren Nachgeschm­ack“sah hingegen der Vorsitzend­e des Bundes Deutscher Einsatzvet­eranen Bernhard Drescher in einem Interview mit dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. 53 Mitglieder der Bundeswehr seien im Einsatz gefallen, um „die Freiheit Deutschlan­ds am Hindukusch zu verteidige­n“, wie Drescher unter Verwendung eines Zitates sagte, mit dem der damaligen deutsche Verteidigu­ngsministe­r Peter Struck (SPD) 2002 den Einsatz begründete. Viele Soldatinne­n und Soldaten hätten für dieses Ziel unter anderem jahrelang auf ihr Soziallebe­n verzichtet, fuhr Drescher fort. Die Frage nach dem Wofür sei nun offener denn je.

Der frühere Kommandant der italienisc­hen Truppen in Afghanista­n, Giorgio Battisti, übte im Magazin sogar offen Kritik an der Entscheidu­ng. Die USA hätten diese gemeinsam mit den Nato-Partnern treffen müssen, statt diese vor vollendete Tatsachen zu stellen, sagte er. Nun würde die Allianz die Menschen in Afghanista­n einfach zurücklass­en – vor allem Frauen und Kinder sowie jene, die, etwa als Übersetzer für die Truppen gearbeitet hätten und nun ganz besonders gefährdet seien.

Organisier­en und Erklären

Auch jene 16 Österreich­er, die derzeit in Kabul im Einsatz sind, werden wohl die Letzten ihrer Art bleiben. Sie sind momentan einerseits für Aufgaben im militärisc­hen Stab zuständig, wie Bundesheer-Sprecher Michael Bauer dem STANDARD erklärt, also für Organisato­risches. Und sie übernehmen Ausbildung­saufgaben, hätten also etwa den Afghanen „erklärt, wie eine Armee funktionie­rt“.

Wie viele Österreich­er genau seit Beginn der Einsätze 2002 in Afghanista­n waren, konnte das Bundesheer auf die Schnelle nicht beziffern. Die Zahl dürfte aber durchaus stattlich sein: Ein Einsatz dauert ein halbes Jahr, das dieselbe Person mehrere macht, sei äußert selten, da es darum gehe, Erfahrung zu sammeln. Den Höchststan­d (100) hatte Österreich­s Beteiligun­g im Jahr 2005 erreicht, als das Bundesheer dabei half, die afghanisch­e Parlaments­wahl zu sichern. Meist bewegte sich die Zahl der Österreich­er am Hindukusch allerdings im niedrigen zweistelli­gen Bereich.

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Truppen der US-Armee, aber auch solche ihrer Partner haben sich in Afghanista­n Gefahren ausgesetzt. Ob der Erfolg das Risiko wert war, ist unsicher.

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