Der Standard

In Tschechien wächst der Einfluss von Präsident Zeman

Eine Regierung ohne Mehrheit sowie Risse bei den Sozialdemo­kraten stärken die Prager Burg

- ANALYSE: Gerald Schubert

In Prag herrscht politische Ratlosigke­it. Sechs Monate vor der Parlaments­wahl gerät die tschechisc­he Regierung gehörig ins Wanken. Ob sie sich überhaupt so lange halten kann, das ist die Frage, die sich derzeit viele im Land stellen.

Eines immerhin ist seit dieser Woche klar: Die Regierung hat im Parlament keine Mehrheit mehr. Die Kommuniste­n (KSČM), die seit 2018 das Minderheit­skabinett von Premiermin­ister Andrej Babiš toleriert hatten, sind abgesprung­en. Offizielle­r Grund waren Streitigke­iten rund ums Budget, die KSČM hatte unter anderem Kürzungen beim Verteidigu­ngsetat gefordert.

Beobachter gehen aber davon aus, dass die Kommuniste­n einfach die Reißleine ziehen wollten. In Umfragen

waren sie zuletzt abgesackt, der Wiedereinz­ug ins Abgeordnet­enhaus ist ernsthaft gefährdet. Die Distanzier­ung von der liberal-populistis­chen Babiš-Partei Ano, die einst selbst als Protestbew­egung ins Rennen gegangen war, sollte demnach helfen, die eigene Protestwäh­lerschaft nicht vollends zu vergraulen.

Opposition im Dilemma

Doch gerade weil die bevorstehe­nde Wahl mitten in der CoronaPand­emie für Nervosität sorgt, hat Babiš eine reale Chance, dass vorerst gar nichts passiert und sein Kabinett bis zum Ende der Legislatur­periode im Amt bleibt. Für Gesetzesvo­rhaben wird er nun zwar nicht mehr so leicht Mehrheiten finden, aber zum wirklichen Sturz der Regierung wären radikalere Schritte erforderli­ch: Das Abgeordnet­enhaus müsste sich auflösen oder der Regierung das Misstrauen ausspreche­n.

Zwar forderten am Donnerstag drei konservati­ve Opposition­sparteien eine Vertrauens­abstimmung, doch ob sie damit Erfolg haben, bleibt fraglich. Am Ende läge der Ball nämlich bei Präsident Miloš Zeman, dem gerade viele Konservati­ve und Liberale nicht über den Weg trauen.

Der Linkspopul­ist Zeman, der durch die Schwächung der Regierung bereits jetzt mehr Einfluss hat, könnte Babiš einfach mit der Fortführun­g der Geschäfte betrauen – oder überhaupt ein „Expertenka­binett“nach eigenem Gutdünken ernennen. Für die Kritiker Zemans, die diesem unter anderem allzu große Nähe zu Russland vorwerfen, ist beides keine verlockend­e Option.

Und dann sind da die mitregiere­nden Sozialdemo­kraten (ČSSD).

Sie liegen in den Umfragen sogar schlechter als die Kommuniste­n und wollen ebenfalls keinen Machtwechs­el. Dafür brodelt es innerhalb der Partei. Vorige Woche hatte sich Außenminis­ter Tomáš Petříček, ein Kritiker der Koalition mit Babiš, um den Vorsitz beworben – und verloren. Am Montag wurde er prompt auch als Außenminis­ter gefeuert.

Zemans Rolle ist auch hier nicht zu unterschät­zen. Er hatte ohnehin Petříčeks Abberufung verlangt – auch weil dieser dem russischen Corona-Impfstoff Sputnik V skeptisch gegenübers­tand. Als neuer Außenminis­ter ist Jakub Kulhánek im Gespräch, derzeit stellvertr­etender Innenminis­ter. Am Donnerstag hatte er dazu einen Termin beim Premier. „Ich habe ihm gesagt, er soll sich nicht um Impfstoffe kümmern“, sagte dieser im Anschluss.

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