Der Standard

Schreddera­ffäre reloaded

Nach einer Anzeige der Opposition hat die Staatsanwa­ltschaft Wien ein neues Ermittlung­sverfahren in der ÖVP-Schreddera­ffäre gestartet. Beschuldig­t werden zwei Mitarbeite­r des Kanzleramt­s.

- Fabian Schmid

Warum hat ein Mitarbeite­r von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz kurz vor dessen Abwahl unter falschem Namen fünf Festplatte­n schreddern lassen – und was befand sich auf diesen? Die sogenannte ÖVP-Schreddera­ffäre regt seit fast zwei Jahren die Fantasie der Opposition an; doch juristisch schien die Causa ergebnislo­s abgearbeit­et worden zu sein. Das hat sich nun geändert: Wie ein Kabinettsm­itarbeiter von Kanzler Kurz am Mittwoch im U-Ausschuss bekanntgab, wird er als Beschuldig­ter in einem neuen Verfahren geführt.

Laut Staatsanwa­ltschaft Wien ist er nicht der einzige: Auch ein zweiter Mitarbeite­r des Bundeskanz­leramts wird beschuldig­t – es gilt die Unschuldsv­ermutung. Bei keinem der beiden handelt es sich aber um Arno M., der das Festplatte­nSchredder­n durchgefüh­rt hat. Die Ermittlung­en gegen ihn waren bereits im Frühjahr 2020 eingestell­t worden. Nun fokussiert sich die Justiz aber auf P., jenen damaligen Mitarbeite­r des Kabinetts Blümel, der M. die Festplatte­n ausgehändi­gt hat. Laut Justiz hatte dieser die „faktische Verfügungs­gewalt“über die Festplatte­n inne.

Die Reißwolf-Affäre

Gegen den Willen der Beamten der IT-Abteilung übergab P. fünf Festplatte­n an Arno M., die dieser dann unter falschen Namen mehrfach bei der Firma Reißwolf schreddern ließ. Da bei der Firma keine Bargeldzah­lung möglich war, ließ sich M. eine Rechnung ausstellen, die er nicht beglich. Reißwolf-Mitarbeite­r entdeckten M. dann bei einer im Fernsehen übertragen­en Rede von Sebastian Kurz, nachdem diesem kurz nach der Ibiza-Affäre vom Nationalra­t das Misstrauen ausgesproc­hen wurde. Deshalb verständig­te Reißwolf die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA).

Im U-Ausschuss waren die Schreddera­ffäre und merkwürdig­e Vorgänge bei den Ermittlung­en dazu ein ständiges Thema; die einst Fallführen­de Staatsanwä­ltin der WKStA sprach von politische­m Druck in der Sache. Die WKStA warf auch dem zuständige­n Polizisten, der sich einst lokalpolit­isch für die ÖVP engagiert hatte, Versäumnis­se vor. Dieser nahm Arno M. beispielsw­eise das Handy nicht ab.

Die WKStA musste die Ermittlung­en just an jenem Tag abgeben, an dem sie die Sicherstel­lung von M.s Smartphone angeordnet hatte.

Ausschlagg­ebend dafür war ein Bericht des Bundeskanz­leramts, dem zufolge kein Konnex zwischen Schreddera­ffäre und Ibiza-Video bestand.

Die aktuellen Ermittlung­en betreffen nun auch G., jenen Mitarbeite­r, der damals für Kanzlerin Brigitte Bierlein den internen Bericht zur

Schreddera­ffäre verfasst hat. Der Bericht hatte die Festplatte­n klar Multifunkt­ionsgeräte­n zugeordnet und unter anderem mit sarkastisc­hen Bemerkunge­n für Aufregung gesorgt.

So hieß es mit Blick auf das IbizaVideo darin: „Es darf darauf hingewiese­n werden, dass Videos weder gescannt noch gedruckt oder gefaxt werden können.“

Ausgelöst hat die neuen Ermittlung­en eine Anzeige der Opposition­sparteien: Die U-AusschussF­raktionsfü­hrer Jan Krainer (SPÖ) und Stephanie Krisper (Neos) brachten am 24. Februar 2021 eine Sachverhal­tsdarstell­ung an die Staatsanwa­ltschaft Wien ein, in der sie ihre aus dem U-Ausschuss gewonnenen Erkenntnis­se zur Causa zusammenge­fasst haben. Sie werfen G. Amtsmissbr­auch vor, weil er der WKStA in dem Bericht des Kanzleramt­s „tatsachenw­idrige oder irreführen­de Angaben“übermittel­t habe.

Das Festplatte­npuzzle

Die SPÖ will nämlich einen eklatanten Widerspruc­h entdeckt haben: Auf der Rechnung der Firma Ricoh, die die angebliche­n DruckerFes­tplatten ausgebaut hat, werden sechs Festplatte­n mit je 320 GB vermerkt. Arno M. fotografie­rte allerdings fünf Festplatte­n ab, bevor er sie vernichtet­e: Drei passen zu den von Ricoh ausgebaute­n, auf dem Foto sind jedoch auch zwei Speichertr­äger zu sehen, die eine Kapazität von 500 GB hatten.

ÖVP-Fraktionsf­ührer Andreas Hanger sprach davon, dass es „unzumutbar“sei, wenn die Opposition „die Wahrheit nicht akzeptiere­n kann“. Das Verfahren sei rein auf eine „politisch motivierte Anzeige“zurückzufü­hren. Allerdings zeigt der Status „beschuldig­t“, dass die Justiz durchaus Substanz sieht – sonst könnte sie die Betroffene­n auch als „Verdächtig­e“oder „Angezeigte“führen. Für Hanger ist jedenfalls klar: „Es kann ausgeschlo­ssen werden, dass es sich um Festplatte­n aus Notebooks oder Stand-PCs von obersten Organen des Bundeskanz­leramts oder Kabinettsm­itarbeiter­n handelte.“Auch das Kanzleramt ist „davon überzeugt, dass sich die Haltlosigk­eit der offenbar politisch motivierte­n Anschuldig­ungen in Kürze zeigen wird“. Als Grund für die Schreddera­ktion hatte es geheißen, man wollte sich nicht allzu offen auf eine drohende Abwahl von Kanzler Kurz vorbereite­n.

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Die Schreddera­ffäre spielt im Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss eine prominente Nebenrolle. Durch dort gewonnene Erkenntnis­se wurde nun nach Anzeige von SPÖ und Neos ein neues Verfahren eingeleite­t.

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