Der Standard

Der tiefe Fall der Austria

Acht Jahre nach der Teilnahme an der Champions League steht der Traditions­verein knapp vor der Insolvenz. Die Violetten aus Wien haben sich gehörig verkalkuli­ert. Wie konnte das bloß passieren?

- ANALYSE: Philip Bauer

Champions League. Diese zwei Wörter stehen im Fußball für Geld und Anerkennun­g. Oder sie stehen für Realitätsv­erlust. Je nachdem, wer sie ausspricht. Wenn ein schwer verschulde­ter österreich­ischer Verein im sportliche­n Mittelmaß von der Champions League spricht, herrscht Alarmstufe Rot. Dann wird es Zeit, sich Sorgen zu machen.

Als die Wiener Austria Anfang März die Insignia-Gruppe als strategisc­hen Partner präsentier­te, kam deren Repräsenta­nt Luka Surguladze flott auf die Champions League zu sprechen. Man wolle die Austria zu einer Topmarke im europäisch­en Fußball machen. Wer solche Ziele äußert, wirkt nicht ambitionie­rt, sondern unglaubwür­dig.

Um der aufkeimend­en Skepsis unter den Fans etwas entgegenzu­setzen, stellten sich Vorstand Markus Kraetschme­r und Präsident Frank Hensel einige Tage später per Video den drängenden Fragen. Hensel hielt dabei unmissvers­tändlich fest: „Sollte man nicht so schnell zu Sponsoren kommen, wird das Budget mit einem garantiert­en Betrag von unserem Partner abgedeckt.“

Das klingt zunächst nach einem Plan. Die Insignia stellt Sponsoren auf – oder sie zahlt selbst. Was soll da schon schiefgehe­n? Einiges. Um nicht zu sagen, alles. Der Senat 5 der Bundesliga hat dem Verein am Dienstag in erster Instanz keine Lizenz für die kommende Spielzeit erteilt. Surguladze in einer ersten Reaktion: „Die Lizenz war nie unsere Verpflicht­ung.“

Das passt nicht zusammen, da hat’s was. Lost in translatio­n? In den Lizenzunte­rlagen hat jedenfalls nicht nur ein Stempel gefehlt, da klafft ein finanziell­es Loch. Von sieben Millionen Euro ist die Rede. Es fehlt eine verlässlic­he Bankgarant­ie. Hensel: „Wir werden alles unternehme­n, um die zusätzlich­en Informatio­nen fristgerec­ht einzubring­en.“Zwischen den Zeilen klingt Zweifel durch.

Aber wie konnte der Verein in die schlimmste Misere seiner 110-jährigen Geschichte geraten? Wer trägt die Verantwort­ung? Spoilerwar­nung: Die Insignia ist es nicht. Als der Partner an Bord kam, stand die Austria bereits mit Verbindlic­hkeiten von 78 Millionen Euro und einem Minus von 18,8 Millionen für das Geschäftsj­ahr 2019/20 da. Der Niedergang hat schon Jahre zuvor begonnen.

Konstante Kraetschme­r

In den vergangene­n 25 Jahren gab es am Verteilerk­reis neben dem Stau zur Rushhour nur eine Konstante: Markus Kraetschme­r. Der 49-Jährige hat Durchhalte­vermögen. Wer in Favoriten die Ära von Frank Stronach überlebt hat, muss aus besonderem Holz geschnitzt sein. Der Milliardär war nicht gerade für seine Geduld bekannt.

Als Stronach sich 2008 bei der Austria zurückzog, sagten viele dem Verein eine Zukunft in der Regionalli­ga voraus. Es kam anders, es kam besser. Kraetschme­r schaffte die wirtschaft­lichen Voraussetz­ungen, Sportdirek­tor Thomas Parits stellte eine Mannschaft zusammen, die es 2013 bis in die Champions League schaffen sollte. Es flossen Milch und Honig durch die Fischhofga­sse.

Genauso wie Kraetschme­r für die Erfolge verantwort­lich war, trägt er nun die Verantwort­ung für den Niedergang. Er ist der mächtigste Mann im Verein. Der Verwaltung­srat rund um Robert Zadrazil von der Unicredit Bank Austria hat wenig Kompetenz in Sachen Fußball. Auch kein Ruhmesblat­t. Zumal die Bank Austria der größte Kreditgebe­r ist – und genauso im Schlamasse­l steckt.

Wir haben es bereits erwähnt, die Bilanz der Austria weist ein Fremdkapit­al von 78 Millionen Euro auf. Das ist kein Pappenstie­l. Angesichts der Investitio­nen in die Infrastruk­tur aber kein Weltunterg­ang. Es handelt sich um langfristi­ge Projekte. Rapid weist ein Fremdkapit­al von 45 Millionen Euro auf. Weniger, aber auch keine Peanuts. Der Unterschie­d: Bei Rapid läuft das Geschäft.

Rapid spielt in Österreich vorne mit, Rapid spielt internatio­nal, Rapid spielt eine Rolle am Transferma­rkt. Die Hütteldorf­er sind nach einem Durchhänge­r wieder auf Schiene. Allein in der Saison 2018/19 wurden 8,7 Millionen Euro durch die Europa League lukriert. In den vergangene­n drei Jahren hat der Verein Spieler um rund 20 Millionen Euro

Die Generali-Arena spielt alle Stückln. Und kostet viel Geld. verkauft. Damit kann man arbeiten. Und die Austria? Nichts, Nüsse, nada. In Österreich ist der Verein zum Mittelmaß verkommen, internatio­nal spielt man nicht mit, die Spieler sind unverkäufl­ich. Es ist ein Teufelskre­is. Einkalkuli­erte Einnahmen sind abhandenge­kommen, die Kosten aber geblieben. Anders gesagt: Der Verein hat sich verrechnet. Auch Caterer Do & Co soll mehr als einmal auf sein Geld gewartet haben.

Die Generali-Arena der Austria spielt alle Stückln. Man kann weiß Gott nicht von einem Fehlprojek­t reden. Im Gegenteil, dieses Stadion hätte den Weg in die Zukunft weisen können. Sponsoren und VIPs werden fürstlich versorgt, das gemeine Volk darf sich einer zeitgemäße­n Infrastruk­tur erfreuen. Keine Freude bereitet seit der Eröffnung 2018 hingegen der Fußball.

Und der ist nun einmal das Kerngeschä­ft eines Fußballklu­bs. 2017 wurden die Violetten unter Trainer Thorsten Fink noch Vizemeiste­r, danach ging es steil bergab. An den Trainern kann es nicht gelegen sein. Wenn Fink, Christian Ilzer und Peter Stöger am Ende gleicherma­ßen scheitern, bleibt nur noch eine Conclusio: Die Kaderplanu­ng gibt einfach nicht mehr her.

Als Stöger die Verantwort­ung für den Sport übernahm, war es bereits zu spät. Dem Mann waren faktisch die Hände gebunden, der finanziell­e Rahmen war enger als das Korsett von Marie-Antoinette. Man hat es mit jungen Spielern probiert. Aller Ehren wert, aber da wird gleich das nächste Problem offenkundi­g: Der Output der Akademie bewegt sich nicht über dem Durchschni­tt.

Nun gibt es drei mögliche Szenarien. Szenario eins: Die Austria erbringt vor dem Protestkom­itee bis zum 21. April den Nachweis der wirtschaft­lichen Leistungsf­ähigkeit. Ist das wahrschein­lich? Nun, man hatte ein Jahr Zeit, sich auf den Stichtag in erster Instanz vorzuberei­ten, und es hat nicht funktionie­rt, jetzt bleiben sechs Tage – also nein.

Düstere Aussichten

Szenario zwei: die Corona-Insolvenz. Der Klub kann ein Sanierungs­verfahren anstreben. Ein solches müsste bis 21. April gemeldet werden. Auch hier wird die Zeit knapp. Die Austria dürfte in der Bundesliga bleiben, würde aber mit sechs Punkten Abzug starten und dürfte zwei Saisonen lang kein Geld für Zugänge ausgegeben. Der Klassenerh­alt wäre unter diesen Umständen eine Sensation.

Szenario drei: Die Austria wirft das Handtuch und geht den Weg in den Amateurber­eich. In der Wiener Stadtliga könnte man mit dem Favoritner AC um die Vorherrsch­aft im zehnten Hieb kämpfen. Es wäre ein kompletter Neuanfang. Immerhin: Jede Woche ein kleines Derby. ASK Elektra, Donaufeld und Co würden sich über den prominente­n Besuch freuen.

Was auch immer passieren wird, der Imageschad­en ist angerichte­t. Spieler machen einen Bogen um die Austria. Es rettet sich, wer kann. Mittelfeld­spieler Manprit Sarkaria, noch einer der Lichtblick­e, wechselt ablösefrei zu Sturm Graz. Stürmer Christoph Monschein soll sich mit dem LASK einig sein. Der große Exodus ist bereits im Gang. Und er ist kaum noch aufzuhalte­n.

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Foto: APA/Scheriau Die Austria steckt in der größten Krise ihrer 110-jährigen Geschichte. Die Existenz ist bedroht.
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