Der Standard

Der Kreislauf der Gewalt

Mord an Frauen hat System, er ist kein Schicksal. Nur das intensive Beschäftig­en mit jeder einzelnen Tat und breit angelegte Prävention­sarbeit können vorbeugen.

- Andrea Brem ANDREA BREM

Wir haben Mitte April, und es wurden in Österreich bereits sieben Frauen von ihren (Ex-)Partnern erstochen, erschossen, zuletzt sogar verbrannt. Das bedeutet auch, dass es wieder zahlreiche Kinder gibt, die mit dem Trauma leben müssen, dass ihre Mutter getötet wurde, dass der eigene Vater der Täter ist, und Eltern müssen damit leben, dass ihre Tochter ermordet wurde oder dass ihr Sohn ein Mörder ist. Welch großes Leid! Und Morde sind ja nur der Gipfel einer breiten Palette von Gewalt an Frauen.

Mord an Frauen hat System und ist kein Schicksal. Weltweit werden Frauen von ihren Männern ermordet, die gesellscha­ftspolitis­che Dimension wird aber konsequent verleugnet. Noch immer ist der Begriff Femizid – die vorsätzlic­he Tötung einer Frau, weil sie Frau ist – nicht verbreitet, im Gesetz kommt er gar nicht vor. Frauenmord­e werden weiterhin individual­isiert und psychologi­siert. Den getöteten Frauen wird in der Öffentlich­keit meist eine Mitschuld gegeben. Es wird suggeriert, dass sie getötet wurden, weil sie beispielsw­eise einen neuen Partner hatten, weil sie dem Ex-Partner die Kinder vorenthalt­en hätten oder weil sie sich trennen wollten.

Oft stehen nur Fragen nach dem „Motiv“des Täters im Zentrum. Die Antworten klingen immer nach einer Rechtferti­gung, kommen meist vom Mörder selbst oder dessen Rechtsvert­retung und haben logischerw­eise das Ziel, das Verbrechen zu verharmlos­en. Das Opfer kann dazu nichts mehr sagen, auch Angehörige wollen meist nichts dazu sagen, zu groß ist der Schmerz. In Wahrheit gibt es natürlich keine Rechtferti­gung für Mord, und es geht in diesen Fällen eigentlich immer um Macht und Besitzdenk­en: Aus Sicht des Täters „gehört“die Frau ihm, und wenn sie nicht so tut, wie er möchte, wird sie geschlagen oder im schlimmste­n Fall sogar getötet. Das erklärt auch, warum Zeiten der Trennung die gefährlich­sten für Frauen sind.

Aber zurück zur oft untergrabe­nen gesellscha­ftspolitis­chen Dimension: Solange Frauen nicht in allen Bereichen der Gesellscha­ft gleichbere­chtigt sind, wird es grundsätzl­ich ein Machtgefäl­le zwischen Männern und Frauen geben, verbunden mit Besitzdenk­en. Und wenn patriarcha­len Rollenbild­ern, die Femiziden immer zugrunde liegen, nicht entschiede­n entgegenge­treten wird, wird der Kreislauf der Gewalt weitergehe­n. Die meisten Tötungen von Frauen werden weiterhin als Femizide zu bewerten sein und damit ein gesellscha­ftspolitis­ches und nicht ein individuel­les Problem darstellen.

Schädigend­es Umfeld

Die Gesetze zum Opferschut­z sind dank des steten Insistiere­ns der Opferschut­zeinrichtu­ngen in Österreich gut, aber es nützt nichts, wenn Gewalttate­n in der Praxis bagatellis­iert werden. Und dies geschieht sehr häufig dann, wenn es um die Kinder geht. Auch diese sieht ein gewalttäti­ger Mann meist als seinen Besitz, es geht ihm ums „Habenwolle­n“, nicht ums „Versorgenw­ollen“. Patriarcha­le Rollenbild­er und geschlecht­sstereotyp­e Vorstellun­gen finden sich auch oft in Erziehungs­maßnahmen von Gewalttäte­rn, diese schaffen ein äußerst schädigend­es Umfeld für Kinder und Jugendlich­e.

„Stoppt Femizide, man tötet nicht aus Liebe“steht auf einem Plakat. Anfang des Monats verstarb eine 35-jährige Wiener Trafikanti­n nach einem Brandansch­lag.

Aber Behörden beachten dies oft nicht und differenzi­eren auch nicht, was die Motive des Wunsches nach der Obsorge sind. Die Wünsche und Rechte der Kinder sind oft nicht Thema, es geht nur um das Recht der Eltern auf ihre Kinder. Dieses sollte aber jedenfalls dann eingeschrä­nkt oder sogar verwirkt sein, wenn Eltern Gewalt ausüben. Die gemeinsame Obsorge der Eltern nach der Trennung ist dort eine gute Sache, wo die Machtverhä­ltnisse des Ex-Paares ausgewogen sind und Kommunikat­ion möglich ist. Bei Gewalt in der Familie ist beides nicht gegeben. Dort schafft die Fortsetzun­g des Kontaktes zwischen den ehemaligen Partnerinn­en und Partnern eine Verlängeru­ng der Gewaltsitu­ation für das Opfer, da es den Kontakt mit dem Täter der Kinder wegen nicht abbrechen kann.

Politik muss handeln

Im letzten Jahr war man vor allem an der Frage interessie­rt, ob es mehr Gewalt durch den Lockdown gegeben habe – bevor es noch entspreche­nde Zahlen gab, war schon klar, es sei so. Für betroffene Frauen war das weder wichtig noch hilfreich. Sie benötigen praktische Unterstütz­ung, diesbezügl­ich wurde aber wenig weiterentw­ickelt.

Vier Säulen sind in der Arbeit mit Opfern erforderli­ch: Opferschut­zeinrichtu­ngen, Polizei, Justiz und Prävention­sarbeit, zu der auch die Täterarbei­t zählt. Die Politik muss handeln: Opferschut­zeinrichtu­ngen müssen rechtlich abgesicher­t werden. Opferschut­z muss vor Datenschut­z stehen. Damit Sicherheit ermöglicht wird, muss uneingesch­ränkter Austausch zwischen den involviert­en Institutio­nen und Behörden gegeben sein. Krisengesp­räche im Sinne der Sicherheit von High-Risk-Opfern müssen alle mit diesen Fällen befassten Einrichtun­gen einberufen können. Für Prävention schon in Schulen und für langfristi­ge Täterarbei­t müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Die derzeit geplanten Krisengesp­räche mit Tätern im Zusammenha­ng mit Annäherung­sverboten im Ausmaß von etwa drei Stunden, die nicht in Kooperatio­n mit Opferschut­zeinrichtu­ngen erfolgen sollen, sind nicht als opferschut­zorientier­te Täterarbei­t zu werten, da solche Maßnahmen zu kurz greifen.

Nach jedem Femizid oder Kindermord und bei Gewaltvorf­ällen mit schweren Verletzung­en innerhalb der Familie muss im jeweiligen Bundesland eine Expertinne­n- und Expertenko­mmission einberufen werden, die analysiert, welche Maßnahmen notwendig gewesen wären, um diese Gewaltakte zu verhindern. Diese Kommission muss jedenfalls aus Vertreteri­nnen und Vertretern von Frauenhäus­ern, Gewaltschu­tzzentren, Polizei und Justiz bestehen, andere wichtige Player können je nach Fall beigezogen werden.

Nur durch eine intensive Beschäftig­ung mit jedem einzelnen Frauenmord in Kombinatio­n mit Prävention­sarbeit auf breiter gesellscha­ftlicher Basis werden entspreche­nde nachhaltig­e Maßnahmen zu ihrer Vorbeugung geschaffen. Denn eines muss klar sein: Jeder Femizid ist einer zu viel.

ist Geschäftsf­ührerin des Vereins Wiener Frauenhäus­er.

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