Der Standard

Kurz zieht ÖVP noch tiefer in die Krise

Der Kanzler und sein Team haben ein Problem – mit der Justiz und darüber hinaus

- Katharina Mittelstae­dt

Die ÖVP, der Kanzler und seine Leute haben ein Problem. Die Pauke dröhnt unaufhörli­ch, Schlag auf Schlag werden neue unschöne Details bekannt, bedenklich­es Verhalten sichtbar, die Justiz ermittelt mit Nachdruck. Fast wöchentlic­h rutscht die Volksparte­i tiefer in eine Krise, die inzwischen mehr als eine Delle im türkisen Image-Gehäuse ist.

Das Bild, das Sebastian Kurz und seine Vertrauten abgeben: Eine eingeschwo­rene türkise Truppe hievt Günstlinge in hochdotier­te Jobs, zimmert sich die Republik zurecht, demoliert den Rechtsstaa­t, schert sich nicht um Transparen­z. Jetzt ermittelt die Staatsanwa­ltschaft auch gegen den Kanzler. Der Vorwurf: Falschauss­age im Ibiza-U-Ausschuss. Gleichzeit­ig musste der Verfassung­sgerichtsh­of eine Aktenliefe­rung aus dem Kanzleramt an denselben UAusschuss erzwingen. Es wird langsam so richtig unangenehm für die Türkisen.

Kurz selbst sieht sich als Opfer einer intrigante­n Opposition und wildgeword­enen Justiz. Er geht in die Offensive – einmal mehr. Im Untersuchu­ngsausschu­ss sei er „nach bestem Wissen und Gewissen“Rede und Antwort gestanden, verteidigt sich der Kanzler. „Vorsätzlic­h“– und das wäre für eine Verurteilu­ng relevant – habe er ganz bestimmt keine Falschauss­age getätigt, erklärt Kurz nun über alle Kanäle.

Aber was bedeutet das politisch? Kann es ohne Konsequenz­en bleiben, wenn ein Kanzler Beschuldig­ter ist? Ein Blick in die Vergangenh­eit zeigt: ja. Auch gegen Bundeskanz­ler Werner Faymann wurde einst ermittelt – in der sogenannte­n Inseratena­ffäre. Aktuell wird etwa auch Burgenland­s roter Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil der Falschauss­age beschuldig­t, da geht es um die Causa Commerzial­bank Mattersbur­g. Kurz hat also recht – so fatal der Anschein sein mag: Für einen Rücktritt reicht ein Beschuldig­tenstatus auch sonst nicht aus.

Also halb so wild, erst einmal abwarten? Nein. Die neuesten Nachrichte­n aus der Justiz sind bloß der neueste Paukenschl­ag, getaumelt ist die ÖVP schon davor. Es gab kürzlich eine Hausdurchs­uchung beim Finanzmini­ster; vergangene Woche war Gernot Blümel mit einem Exekutions­antrag des Verfassung­sgerichtsh­ofs konfrontie­rt.

Auch zahlreiche andere ÖVP-Politiker stehen im Visier der Justiz. Gleichzeit­ig wettern Vertreter der Volksparte­i gegen Ermittler und den U-Ausschuss. Ihr Verhältnis zu Parlament und Rechtsstaa­t lässt nicht nur viele Juristen schaudern.

In der breiten Bevölkerun­g scheint das alles bisher kaum anzukommen.

Die Vertrauens­werte von Kurz und seinen Ministern sind angeschlag­en, die ÖVP hält in Umfragen dennoch weiter bei deutlich über 30 Prozent. Die große Frage wird also weniger sein, ob es zu einem Gerichtsve­rfahren gegen den Kanzler kommt, als wie die Öffentlich­keit mit den gesammelte­n türkisen Affären umgeht: Was werden ihm die Wähler noch alles nachsehen?

Die Kurz-ÖVP hat sich bisher immer rasch aus Tiefs herausgear­beitet. Krisenkomm­unikation kann sie. Medien, die Opposition, jeder einzelne interessie­rte Bürger, der grüne Teil der Koalition – die informiert­e Gesellscha­ft hat nun einen wichtigen Auftrag: sehr, sehr genau hinzusehen und dabei nicht müde zu werden. Die ÖVP, der Kanzler und seine Leute haben ein Problem – eigentlich. Aber nur solange sich in der Republik keine kollektive Wurschtigk­eit einschleic­ht.

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