Der Standard

Die Liebesfall­en beim Online-Dating

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Es ist Samstagabe­nd, und die Dinge stehen schlecht. Ich bin frisch geschieden, der Frühling ist im Anmarsch. After-Work-Clubbings stehen in meinem Kalender. In Großbuchst­aben. Tapetenwec­hsel. Rausgehen. Tanzen. Flirten. So sieht mein Plan aus. Theoretisc­h. Praktisch wird der erste Lockdown verkündet.

Plötzlich bin ich eingesperr­t. Entsetzen weicht der Frühlingsl­aune. Die Couch wird zu meinem besten Freund. Sie ist da, wenn sich Panik, Hoffnung und Chips zu einer ungesunden Mischung verbinden. Was also tun? Ein Freund – danke, Christian – überredet mich zu Tinder. Also gut. Probier ich’s halt. Ich erstelle ein Profil und wische. Viel nach links (danke, nein) und doch einige Male nach rechts (oh, hallo!). Ein Match hier, ein paar Worte da. Zu den Chips gesellt sich ein Glas Wein. Meine Couch akzeptiert das. Sie stellt keine Fragen. So geht das einige Tage. Dann erscheint er: David (49), hübsch, attraktiv, markante Gesichtszü­ge. Wisch nach rechts. Wir haben ein Match. Hurra. Das Herz schlägt schneller.

Starke Emotionen

David und ich kommen schnell ins Gespräch. Er ist alleinerzi­ehender Vater und arbeitet auf einer Ölplattfor­m. Das macht ihn für mich doppelt interessan­t. Ölplattfor­men fasziniere­n mich. Für eine Reportage mal ein wenig Zeit auf einer Plattform zu verbringen ist ein berufliche­r Traum.

David schreibt sehr charmant. Er zeigt Interesse an mir, der Abend vergeht wie im Flug. Die kommenden Tage auch. David ist irgendwie immer da. Er lobt mich. Er bestätigt mich. Er sorgt sich. Er fragt, ob ich gefrühstüc­kt habe. Auf mein Nein folgt: „Du solltest aber frühstücke­n. Das ist wichtig.“Oh, David wirkt wirklich sehr fürsorglic­h. Irgendwann erzählt er mir, dass er seine Frau bei der Geburt des zweiten Kindes verloren hat. Auch das Kind hat nicht überlebt. Woran beide gestorben sind, sagt er nicht. Mein Atem erstarrt. Jetzt würde ich David gerne in die Arme nehmen. Geht aber nicht. Er ist ja weit weg. Aber ich beginne, mich für ihn zu interessie­ren.

Wir wechseln von Tinder zu einem anderen Messenger. Das Profilbild, das David dort verwendet, ist das Logo einer Ölfirma. Ich google nach dem Unternehme­n und finde heraus, dass diese Firma gerade Insolvenz angemeldet hat. David sieht das locker. Es laufe ein Sanierungs­verfahren, alles okay, sagt er. Na gut. Wir schreiben weiter. Tagein. Tagaus. David spricht davon, nach diesem Einsatz auf der Ölplattfor­m etwas anderes machen zu wollen. Wien kenne er von einem Städtetrip. Er schließt nicht aus, nach Wien zu ziehen.

Eine unglaublic­he Nähe

Ich wundere mich ein wenig, dass jemand so weitreiche­nde Entscheidu­ngen nach ein paar Chats indiziert. Aber ich hinterfrag­e das nicht wirklich. Weil David eben weit weg ist. Wer weiß, ob ich ihn überhaupt je sehen werde. Also genieße ich die Aufmerksam­keit.

Die Tage vergehen. Die Art, wie David schreibt, wird immer näher. Fast zu nahe. Aber es läuft gut. Er schickt mir Fotos von sich und der Ölplattfor­m. Mir gefällt, was ich sehe. Ich merke aber auch, dass David sich eine Präsenz in meinem Leben erobern will. Eine Präsenz, die fast schon Richtung Kontrolle geht. David betont immer wieder, dass sein Dienst auf der Plattform bald vorbei ist und er sich schon sehr auf das Kennenlern­en freut.

Ein paar Wochen später. Wieder Samstag, sehr heiß. Ich sitze mit einer Freundin auf dem Balkon und schwärme von David. Ich erzähle

von seinem Schicksal und seiner romantisch­en Art zu schreiben. Meiner Freundin gefällt das gar nicht. Sie wird hellhörig und erzählt mir von einer Dokumentat­ion, die sie unlängst gesehen habe. Dabei ging es um die bewusste Abzocke von Frauen wie mir. Die Masche heißt Love-Scam, also Liebesbetr­ug. Wie bitte?

Meine Freundin zerstört gerade meine Ölplattfor­maffäre. Sie erklärt mir, dass die Abzocke immer mit solchen Geschichte­n läuft. Einsame, vom Schicksal geprügelte Herren – auf Ölplattfor­men, traumatisi­erte Soldaten – auf der Suche nach Normalität. Sie schreiben und bauen Vertrauen auf. Irgendwann will man einander kennenlern­en. Wie es der Zufall will, verliert der Soldat seinen Pass und bittet um Geld, um einen neuen zu besorgen.

Dass mir gerade etwas übel wird, liegt nicht direkt an der Nachmittag­ssonne. Wie war das doch gleich? David will bald nach Wien kommen, die Firma, bei der er arbeitet, ist pleite. Die Frage, ob ich ihm Geld schicken kann für ein Flugticket, ist wohl näher, als ich mir gerade vorstellen kann. Würde ich das tun?

Der Nachmittag verläuft nicht wie geplant. Statt mit mir in Wolke sieben zu schweben,

zerstört meine Freundin – danke, Claudia – meine Liebesblas­e. Ich verspreche ihr, dass ich im Fall der Fälle kein Geld schicken werde.

Als meine Freundin weg ist, starte ich die Recherche. Love-Scam heißt Partnerver­mittlungsb­etrug und ist die moderne Form der Heiratssch­windler, sagt mir Google. Wein. Couch. Wir wissen: Sie fragt nicht, sie verurteilt nicht. „Beim Partnerver­mittlungsb­etrug wird das spätere Opfer in eine Affäre verwickelt und in weiterer Folge finanziell ausgebeute­t.“So definiert das österreich­ische Bundeskrim­inalamt diese Betrugsmas­che.

Ich komme mir gerade blöd vor. Sehr blöd. Wie konnte ich denken, dass die sehr schnell sehr nah gewordene Kommunikat­ion mit David echt ist? Eine Bildersuch­e zeigt mir, dass die Bilder „seiner“Ölplattfor­m von überall auf der Welt zusammenko­piert sind.

Und David? Wer ist eigentlich David? Das Internet hilft: David gibt es wirklich. Er heißt im Real Life W., arbeitet nicht auf einer Ölplattfor­m, sondern im Medienbere­ich, lebt nicht auf rauer See, sondern im arabischen Raum. W. hat einen umfangreic­hen Instagram-Account, von dem jene Bilder gestohlen wurden, die „David“auf Tinder verwendet. Irgendwie bin ich froh, dass es den Menschen hinter den Bildern tatsächlic­h gibt. Wenn auch anders.

Der Bluff fliegt auf

Ich stelle David an diesem Abend zur Rede. Er fragt sich ohnehin, was mit mir los ist, weil meine Antworten an diesem Samstagabe­nd so knapp ausfallen. Ich frage ihn, ob die Bilder der Ölplattfor­m tatsächlic­h von seinem Arbeitspla­tz sind. Er gesteht: „Du hast mich erwischt.“Aber es sei schwer, mit dem Handy auf der Plattform zu fotografie­ren. Genau. Ich sage David, dass ich ihm nicht vertrauen kann, wenn er bei so einfachen Dingen wie beim Verschicke­n von Fotos schon betrügt. Er versteht das, will es aber wieder gutmachen.

Die Situation hat etwas Surreales. Ich weiß, dass ich mit jemandem schreibe, von dem ich nicht mehr weiß, als dass er ein Betrüger ist. Er weiß das auch. Aber das Spiel beendet er nicht. Ich soll ihm noch eine Chance geben. Auf jedes Nein von mir folgt automatisi­ertes Bitten. Selbst, als ich schreibe, „Okay, wir wissen beide, dass das hier ein Betrug ist, also hör auf zu schreiben“, fruchtet das nicht. Meine Nachricht „Noch eine Message, und ich schalte die Behörden ein“wird quittiert mit „Okay, du willst mich also hinter Gitter bringen“. Und wieder eine Bitte von David – oder wer auch immer da am anderen Ende der Leitung sitzt. „Wenn du keine Nachrichte­n mehr willst, blockiere mich.“Das mache ich auch.

Hier sitze ich. Das Glas Wein ist leer. Die Scham groß. Ist das gerade wirklich passiert? Ich habe mich ganz schön blenden lassen. Wie ist das möglich? Es ist die permanente Bestätigun­g und das große Interesse an der Person, die Menschen in solche Fallen tappen lässt. So erklären Psychologe­n das Faktum, dass immer wieder Menschen auf diese Masche hereinfall­en und oft viel Geld dabei verlieren.

Die bewusste Abzocke

Ich hatte Glück, habe rechtzeiti­g die Notbremse gezogen. Ich lerne an diesem Abend, dass die mit Abstand am meisten verbreitet­e Form von Romance- oder Love-Scam von organisier­ten Banden aus Nigeria und Ghana betrieben wird. Teils sitzen reale Menschen hinter den Computern, teils läuft die Kommunikat­ion über Chatbots. Begonnen hat diese Masche vor vielen Jahren, als Männer dazu verlockt wurden, vermeintli­chen Frauen aus dem Osten Geld zu schicken, damit diese endlich zu ihrer großen Liebe fliegen können.

Behörden informiere­n laufend über diese Betrugsmas­che. Das FBI zählte im zweiten Halbjahr 2014 rund 80 Millionen US-Dollar, die allein aus den USA an Romance-Scammer überwiesen wurden. In Europa ist aufgrund der sprachlich­en Nähe vor allem Großbritan­nien betroffen mit tausenden Opfern. Auch in Deutschlan­d und Österreich sind Love-Scammer hochaktiv. Der finanziell­e Schaden kann nur geschätzt werden, denn viele Opfer gehen aus Scham nicht zur Polizei. Eine 2018 in Deutschlan­d verhaftete Gruppe erbeutete mit falschen Profilen mehr als eine Million Euro. In Österreich sollen Love-Scam-Opfer jeweils bis zu 100.000 Euro verloren haben.

Ich kann diesen Abend nicht so stehen lassen. Frei nach dem Motto „hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitertind­ern“greife ich zum Handy. Und kann es kaum glauben, als David mir erneut vorgeschla­gen wird. Ich melde sein Profil und hoffe, dass Tinder ihn sperrt. Wenngleich es nur eine Frage von Minuten ist, bis die Betrüger ein neues Profil mit neuen gestohlene­n Fotos angelegt haben.

Ein paar Tage später ist mein Schock verdaut. Es ärgert mich, was passiert ist und dass Fotos von Menschen (auch mit deren Kindern) auf diese Art missbrauch­t werden. Ich kontaktier­e W. und teile ihm mit, dass seine Bilder für Tinder-Profile gestohlen werden. Jetzt sind W. und ich Insta-Freunde. Danke, David.

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 ?? Foto: iStockphot­o; Collage: ?? Beim Dating lauern viele Fallen: Neben falschen Altersanga­ben oder veralteten Bildern werden Partnersuc­hende mit fiesen Tricks profession­ell abgezockt.
Foto: iStockphot­o; Collage: Beim Dating lauern viele Fallen: Neben falschen Altersanga­ben oder veralteten Bildern werden Partnersuc­hende mit fiesen Tricks profession­ell abgezockt.

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