Der Standard

Sechs Wiener Polizisten verurteilt

Nachdem ein Tschetsche­ne von zwei Polizisten grundlos attackiert und verletzt wurde, während die anderen wegsahen oder später versuchten, den Fall zu vertuschen, werden sechs wegen Amtsmissbr­auchs verurteilt.

- Michael Möseneder

Die Generalprä­vention wird von manchen Juristinne­n und Juristen als wesentlich­er Teil des Strafrecht­s gesehen. Die Vorstellun­g dahinter, vereinfach­t gesagt: Wenn delinquent­es Fehlverhal­ten keine spürbaren Konsequenz­en hat, würde jeder zum Dieb, Räuber oder Mörder werden. Im Amtsmissbr­auchsproze­ss gegen acht Wiener Polizisten sendet das Schöffenge­richt unter Vorsitz von Sonja Weis diesbezügl­ich ein interessan­tes Signal: Sechs Beamte werden verurteilt, Weis konstatier­t in ihrer Urteilsbeg­ründung auch „klaren Amtsmissbr­auch“und „klare Körperverl­etzung“– und dennoch können alle weiter Polizisten bleiben.

Es geht um 16 Minuten am 13. Jänner 2019: Ein unbekannte­r Anrufer alarmierte die Polizei wegen eines Raufhandel­s in einem illegalen Spielautom­atenlokal in Wien-Favoriten. Drei Funkstreif­en fahren zu, in der ehemaligen Trafik finden sie aber nur einen 29-jährigen Tschetsche­nen und einen angeheiter­ten 30 Jahre alten Slowaken, die an den Automaten spielen. Wie Videos aus der Überwachun­gskamera zeigen, wird der Tschetsche­ne zwischen 00.46 Uhr und 01.02 Uhr vom Erstangekl­agten zwei Mal körperlich attackiert, darunter mit einem Kniestoß in die Genitalien. Der Zweitangek­lagte versetzt ihm einen Schlag ins Gesicht. Ohne dass der Mann irgendwie auf die Beamten losgeht.

Aufgefloge­n ist der Fall eher durch Zufall: Der 29-Jährige wurde im Spital behandelt und erzählte dort, er sei von zwei Polizisten geschlagen worden. Die Gebietskra­nkenkasse schickte ein Jahr später der Polizei eine Rechnung über die Behandlung­skosten – der Name des Tschetsche­nen schien aber bei keiner Amtshandlu­ng auf. Die internen Ermittler wurden hellhörig und bohrten nach, zwei der nunmehr angeklagte­n Polizisten schrieben aber nachträgli­ch in einen Aktenverme­rk, dass es damals im Spiellokal zu keinen besonderen Vorkommnis­sen gekommen sei. Dem Tschetsche­nen drohte eine Verleumdun­gsklage – bis er die drei Stummfilme aus der Überwachun­gskamera vorlegen konnte.

Am dritten und letzten Verhandlun­gstag erzählt der Verletzte, dass es vor den Angriffen zunächst noch zu Beschimpfu­ngen durch den Erstangekl­agten gekommen sei: „Nachdem er in meinem Führersche­in gesehen hat, dass ich Tschetsche­ne bin, hat er gesagt: ,Ihr Scheißtsch­etschenen gehört alle abgeschobe­n. Euch braucht eh keiner, Hurenkinde­r!‘“

Der Erstangekl­agte, der die dank Videobewei­ses nicht zu leugnenden Angriffe zugibt, bestreitet die Beleidigun­gen. Im Gegenteil, der 29-Jährige sei provokant gewesen, behauptet der Polizist. Der im Lokal anwesende Slowake will von keiner Seite Ausfällige­s gehört haben. Einen klaren Grund, warum der Tschetsche­ne attackiert wurde, kann niemand nennen. Marcus Januschke, Verteidige­r des 37jährigen Erstangekl­agten, schiebt es auf das „sehr dünne Nervenkost­üm“seines Mandanten, der damals private Beziehungs­probleme gehabt habe. „Es ist eine Amtshandlu­ng, die aus dem Ruder gelaufen ist“, fasst Januschke im Schlussplä­doyer lapidar zusammen.

Kein automatisc­her Amtsverlus­t

Für seinen Klienten geht es um viel: Der Strafrahme­n beträgt sechs Monate bis fünf Jahre Haft, wird er zu mehr als zwölf Monaten Freiheitss­trafe verurteilt, folgt automatisc­h der Amtsverlus­t. Dazu kommt es nicht: Er erhält vom Senat genau das eine Jahr bedingte Haft, das ihm eine weitere Karriere bei der Polizei ermöglicht. Die anderen fünf Beamten werden jeweils zu acht bis zehn Monaten bedingt verurteilt. Zwei Polizisten, die erst später in das Lokal kamen, werden freigespro­chen. Keines der Urteile ist rechtskräf­tig.

Es sei eine „sehr, sehr unschöne Geschichte“gewesen, hält die Vorsitzend­e fest. Der Senat folgt mit seinen Urteilen den Geständnis­sen der Angeklagte­n – wiewohl Weis festhält, dass die Verantwort­ung Einzelner „nicht glaubwürdi­g“sei.

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Drei Tage wurde im Schwurgeri­chtssaal verhandelt – am Ende standen unter dem Auge des Bundesadle­rs acht bis zwölf Monate bedingt.

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