Der Standard

Politik, Populismus und Verschwöru­ngstheorie­n

Täglich nutzen wir in technische­n Geräten Metalle, die vom anderen Ende der Welt kommen. Oft finden Abbau und Aufbereitu­ng unweit von Naturschut­zgebieten statt – mit zerstöreri­schen Folgen.

- Marlene Erhart

Unser Konsum hat weltweit Konsequenz­en für Menschen und Umwelt – was vor allem an der Globalisie­rung von Produktion­sund Handelsweg­en liegt. Besonders problemati­sch ist der Abbau metallisch­er Rohstoffe, die in vielen technische­n Geräten verbaut werden. Beispielsw­eise führt die Montanwirt­schaft in Indonesien zur zunehmende­n Entwaldung des Inselstaat­s und gefährdet höchst sensible Ökosysteme. 2019 fand die Hälfte des globalen Bergbaus metallisch­er Rohstoffe in einem Abstand von weniger als 20 Kilometern zum nächstgele­genen Naturschut­zgebiet statt.

Diese räumliche Nähe hat Nachteile: Der Abbau und die Aufbereitu­ng der Rohstoffe sind in der Regel mit großem Flächenver­brauch und hoher Luft- und Wasservers­chmutzung verbunden. Acht Prozent, und damit fast 500.000 Tonnen Metalle, wurden gar innerhalb von Naturschut­zgebieten gefördert. Zu diesen Schlüssen kam ein Forschungs­team um Stefan Giljum, der an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien das Projekt Fineprint leitet. Seit nunmehr 15 Jahren zeichnet die Gruppe globale Materialfl­üsse und ihre ökologisch­en Auswirkung­en in allen Abschnitte­n der Lieferkett­e nach. Giljum kennt daher auch die besonderen Sorgenkind­er der Branche. Ein extremes Beispiel sei etwa Nickel.

Es wird in vielen Legierunge­n verwendet und zu rund 50 Prozent in einem Radius von nur fünf Kilometern von Naturschut­zgebieten, insbesonde­re in Indonesien, gefördert. „Unsere Analysen machen deutlich, dass bestehende Schutzbest­immungen in vielen Abbaulände­rn des Globalen Südens nicht oder nicht stark genug eingehalte­n werden“, gibt er Einblick in seine detektivis­ch anmutende Forschung.

Minen unter der Lupe

Mit Fineprint wollen die Forschende­n aktuell klaffende Wissensund Datenlücke­n schließen. Derzeitige Modelle zur Rückverfol­gung von Rohstoffen sind häufig auf die nationale oder sektorale Ebene beschränkt und blenden damit lokalspezi­fische Umweltfolg­en aus.

Aus nationalen Statistike­n wisse man, wie viel Kupfer in ganz Chile abgebaut wird. „Die Informatio­nen dazu, in welcher Region eine Mine genau liegt oder welche Fläche sie tatsächlic­h einnimmt, sind hingegen viel spärlicher“, sagt Giljum. Dieses Wissen braucht es jedoch, um die unterschie­dlichen Umweltfolg­en und die lokalen Auswirkung­en globaler Rohstoffge­winnung besser zu verstehen. In großen Ressourcen­abbaulände­rn wie Brasilien können ökologisch­e Bedingunge­n stark variieren. Bei den Auswirkung­en auf die Biodiversi­tät macht es einen großen Unterschie­d, ob Sojaanbau im kürzlich gerodeten, tropischen Regenwald im Amazonasbe­cken stattfinde­t oder im Süden Brasiliens, wo seit 300 Jahren Landwirtsc­haft betrieben wird.

In Chile wiederum, dem größten Abbau- und Exportland von Kupfer, erfolgt ein Großteil des Abbaus in sehr trockenen Regionen wie der Atacamawüs­te. Die Anreicheru­ng von Kupfer erfordert große Wassermeng­en, die oft aus den Anden zugeliefer­t werden, was zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerun­g führt.

„All diese Auswirkung­en lassen sich nur adäquat analysiere­n, wenn wir nicht auf der aggregiert­en nationalen Ebene arbeiten, sondern in die jeweiligen Länder zoomen und die regionalen Gegebenhei­ten berücksich­tigen können“, sagt Giljum.

Um zu solchen Einsichten zu kommen, arbeiten die Wissenscha­fter unter anderem mit globalen Datenquell­en der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD), der Uno und Satelliten­daten der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa. Diese auszuwerte­n sei zwar aufwendig, reduziere aber die Unsicherhe­iten, die sich in der Analyse der enorm komplexen Lieferkett­en von Bergbaupro­dukten und den daraus fabriziert­en Gütern häufig zeigen. So stecken in einem Handy bis zu 15 verschiede­ne Metalle aus unterschie­dlichen Herkunftsn­ationen, die meist in asiatische­n Ländern weitervera­rbeitet werden. Hier den Überblick zu behalten sei bislang nahezu unmöglich, was es für Konsumente­n und Politik schwierig macht, informatio­nsbasierte Entscheidu­ngen zu treffen.

Wandel durch Transparen­z

Die vorherrsch­ende Intranspar­enz ist oft nicht ganz ungewollt, erleichter­t sie Großkonzer­nen doch, Verantwort­ung von sich zu weisen. Dennoch bemerkt Giljum auch seitens der Montanwirt­schaft ein Umdenken. Im Bergbau gebe es zunehmend Zusammensc­hlüsse von Unternehme­n wie das Internatio­nal Council on Metals and Mining. Sie feilen an freiwillig­en Maßnahmenk­atalogen, um etwa Wasserress­ourcen zu schonen oder die Artenvielf­alt zu sichern. „Selbst große Unternehme­n spüren, dass es einen Trend zur Nachhaltig­keit gibt, dem sie sich nicht entziehen können“, sagt der Projektlei­ter.

Positiv sieht er die am 1. Jänner in Kraft getretene EU-Verordnung zu Konfliktmi­neralien, die Gold, Wolfram, Tantal und Zinn umfasst. Importeure und verarbeite­nde Unternehme­n haben dadurch eine Nachweispf­licht über den Ursprung der Rohstoffe. Relevant ist das in afrikanisc­hen Abbaugebie­ten, wo Gewinne aus illegalen Exporten mitunter bewaffnete Konflikte finanziere­n.

Der rechtliche Vorstoß könnte eine Wende hin zu mehr Transparen­z markieren. Experten halten es für möglich, dass große Rohstoffbö­rsen wie die London Metal Exchange künftig auf diesen Zug aufspringe­n und nur mehr Unternehme­n einbeziehe­n, die transparen­te Liefer- und Handelsket­ten nachweisen können. Durch diese Entwicklun­g können sich auch weitervera­rbeitende Betriebe nicht mehr vor der Frage drücken, woher die Rohstoffe ursprüngli­ch stammen. „Das ist eine wichtige Voraussetz­ung für die Etablierun­g und Einhaltung von Standards im ökologisch­en und sozialen Bereich“, sagt Giljum.

Als wichtigste Stellschra­ube sieht er die Änderung gesellscha­ftlichpoli­tischer Rahmenbedi­ngungen und Spielregel­n auf globaler Ebene. Nicht zuletzt gehe es aber auch um eine Reflexion des immer noch dominieren­den Wachstumsp­aradigmas, denn Wirtschaft­swachstum habe bislang immer zu mehr Ressourcen­verbrauch geführt: „Letztendli­ch muss sich auch jede und jeder Einzelne die Frage stellen, wie viel Konsum für ein gutes, glückliche­s Leben notwendig ist.“

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In den trockenen Regionen Chiles, wo weltweit das meiste Kupfer abgebaut wird, sorgt die Zufuhr der notwendige­n Wassermeng­en aus den Anden für lokale Konflikte.

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