Der Standard

Blumen pflanzen als Therapie

Gartenarbe­it ist ein sinnliches Vergnügen und macht zufriedene­r. Diesen Effekt haben vor allem in Corona-Zeiten viele schätzen gelernt. Und das Werken im Grünen kann sogar therapeuti­sch wirken.

- Pia Kruckenhau­ser

Blumen, Pflanzen, Bäume, so weit das Auge reicht. Es gibt wenig, was so beruhigend und entspannen­d ist wie ein üppiger Garten, der in allen Farbund Grüntönen leuchtet. Doch nicht nur das Betrachten der Pflanzen oder das Spazieren – um nicht zu sagen: Lustwandel­n – durch die grüne Pracht tut gut. Auch die Arbeit mit den Pflänzchen, das Graben in der Erde, das Setzen, Pflegen und Hegen entspannt und hat sogar meditative­n Charakter. Kann man dann irgendwann die Früchte der eigenen Arbeit ernten – und hier gilt das tatsächlic­h im Wortsinn –, sorgt das für regelrecht­e Glücksgefü­hle. Kaum verwunderl­ich also, dass die Gartenarbe­it so beliebt ist wie nie.

Neu ist die Begeisteru­ng dafür übrigens nicht. Ein berühmter Vertreter war der Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der seinen eigenen Garten gestaltete und in seinem Gartenhaus in Weimar, heute ein Museum, an zahlreiche­n Werken und Gedichten arbeitete, inspiriert von der ihn umgebenden Natur. Auch Politiker schätzen die Entspannun­g, die sie dort finden. Altkanzler Wolfgang Schüssel etwa präsentier­te im Jahr 2006 seine Gartentipp­s in Buchform. Und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bekommt beim Garteln Abstand vom täglichen Politstres­s.

Beruhigend­er Effekt

Tatsache ist, dass das Hantieren mit Erde, Setzlingen, Unkraut und mehr beruhigend wirkt. „Man fokussiert dabei auf eine ganz spezielle Tätigkeit, Jäten etwa oder Umgraben. Das Gedankenka­russell im Kopf schaltet irgendwann ab, und es entsteht ein richtiger meditative­r Flow“, beschreibt das die Psychologi­n Kerstin Jäger vom psychologi­schen Online-Beratungsd­ienst Instahelp. „Mit den Händen in der Erde zu graben verschafft einem das Gefühl, eins zu sein mit der Natur, man spürt das mit dem ganzen Körper. Dazu kommt, dass man dabei zusehen kann, wie etwas gedeiht, das man selbst ins Leben gerufen hat. Das vermittelt einem das Gefühl der Selbstwirk­samkeit.“Genau aus diesem Grund wird Gartenarbe­it auch in

Therapiese­ttings eingesetzt, etwa mit Jugendlich­en, Menschen mit Beeinträch­tigungen oder Demenzpati­enten. Jäger erklärt: „Man lernt dabei, mit der Aufmerksam­keit im Moment zu sein. Das SamenSäen oder Pflänzchen-Setzen, das Gießen, das Unkrautjät­en, das Beobachten, wie etwas wächst und Früchte trägt, all das stärkt das Selbstwert­gefühl. Und es gibt Halt und Struktur.“

Corona-Boom

Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen auf die Schaufel kommen, besonders auch in Zeiten von Covid. Dieser konzentrie­rte Fokus tut ja jedem gut. „Corona hat viel Stress erzeugt und tut es noch. Dafür hat der Körper nur die beiden Reaktionsm­uster Kampf oder Flucht. Der Garten bietet beides. Beim Graben, Umstechen, Schwitzen kann man sich abreagiere­n, man hat das Gefühl, etwas tun zu können, das Wirkung zeigt. Tendiert man dagegen eher zur Flucht, findet man im Garten eine sichere Umgebung, einen Rückzugsor­t“, weiß Jäger.

Dazu kommt, dass aktuell viele nicht wirklich das Gefühl haben, in ihrem Leben immer selbst entscheide­n zu können. Das kleine System Garten kann da sehr hilfreich sein, bietet es doch Raum für Kreativitä­t und individuel­le Verwirklic­hung, aber auch für Kontrolle. Wobei Kontrolle nicht unbedingt bedeutet, dass alles so wird, wie man es will. Aber es bedeutet, dass man es versteht. An Hagelschla­g und Ungeziefer etwa ist niemand schuld. Aber man kann begreifen, dass so etwas eben passiert, und lernt, mit diesen negativen Aspekten umzugehen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die sinnstifte­nde Wirkung. Gerade in der Pandemie haben viele Menschen den Zugang zu sich selbst im Kontakt mit der Natur gesucht. Das hat unter anderem eine Studie der University of Vermont untersucht, die im Dezember 2020 im Journal

Plos One veröffentl­icht wurde. Die Studie belegt, dass sich die Zahl der Spaziergän­ger und Hobbygärtn­er im Vergleich zum Vorjahr (2019) tatsächlic­h deutlich erhöht hat. Die Beschäftig­ung mit Natur und Garten habe den Befragten zu mehr Identitäts­gefühl und Spirituali­tät verholfen.

Das erscheint logisch, sind doch die Suche nach Sinn und Orientieru­ng, das Bedürfnis, das eigene Handeln in einem größeren Zusammenha­ng zu sehen, psychische Grundbedür­fnisse. Früher wurde dieser Zusammenha­ng vielfach in der Religion gesucht. Heute bietet den oft die Natur. „Der intensive Kontakt zeigt, dass das, was ich tue – oder eben nicht tue –, nicht nur mich selbst betrifft. Es hat Folgen, und für die muss ich die Verantwort­ung übernehmen“, betont Jäger.

Neben der psychische­n Wirkung hat die Gartenarbe­it übrigens auch einen handfesten körperlich­en Effekt. Die aktive Bewegung stärkt das Herz-Kreislauf-System, die Herzfreque­nz sinkt, der Puls wird ruhiger, der Blutdruck ausgeglich­ener. Die verschiede­nen, sich wiederhole­nden Bewegungsm­uster stärken den gesamten Bewegungsa­pparat, das Atemvolume­n steigert sich um bis zu 50 Prozent, und der Stoffwechs­el gleicht sich aus. Für Letzteres dürften unter anderem die ätherische­n Öle verantwort­lich sein, die sich in Pflanzen

befinden. „Das sind sekundäre Pflanzenst­offe, die produziert werden, um Insekten anzulocken, Feinde zu vertreiben, untereinan­der zu kommunizie­ren und mehr“, erklärt die Agrarwisse­nschafteri­n und Kräuterpäd­agogin Valerie Jarolim. Sie betreibt den Blog Blatt und Dorn, wo sie Wissenswer­tes über Kräuter erzählt.

„Diese Öle gehen über die Riechschle­imhaut direkt in das limbische System, einen der ältesten Teile unseres Gehirns. Dort werden dann neurochemi­sche Stoffe wie zum Beispiel Enkephalin­e, Endorphine, Serotonin oder Noradrenal­in freigesetz­t. Diese Botenstoff­e interagier­en unter anderem mit dem Immunsyste­m.“Diese Wechselwir­kung dürfte dafür sorgen, dass das parasympat­hische Nervensyst­em, das für Entspannun­g zuständig ist, aktiviert wird. So werden körpereige­ne Erholungsm­echanismen in Gang gesetzt, die etwa für besseren Schlaf sorgen – ein Effekt, den die meisten Gärtner kenne und den Jarolim treffend beschreibt: „Nach einem Tag Arbeit im Grünen verspürt man eine körperlich­e Müdigkeit, die man von Computerar­beit nicht kennt. Und die lässt einen so richtig gut schlafen.“

Der Klang der Natur

Wer jetzt auf der Stelle einen eigenen Garten anlegen möchte, kann sich entspannen. Es ist nicht unbedingt nötig, selbst eine riesige Fläche zu beackern, um davon zu profitiere­n. Zum Einstieg reicht sogar eine gezielte Beschäftig­ung mit der Natur. Etwa wenn man barfuß durchs Gras läuft, dessen Kühle spürt oder die Härte der Kieselstei­ne auf dem Weg wahrnimmt. Auch das Angreifen von Pflanzen, das Reiben eines Blatts oder Krauts und das Wahrnehmen des Geruchs, den es verströmt, sind sinnliche Erlebnisse, die einen direkt in den Moment holen.

Ein ebenso wichtiges Erlebnis ist das bewusste Hören von Naturgeräu­schen, besonders von Vogelgezwi­tscher, und zwar möglichst ohne menschenge­machte Geräusche. Eine aktuelle Multistudi­enanalyse von Forschern der Carleton University, der Colorado State University und der Michigan State University, die die Auswirkung­en von natürliche­n Klanglands­chaften in US-Nationalpa­rks auf die Gesundheit untersucht­en, zeigt, dass diese Geräusche Schmerzen und Stress verringern, kognitive Funktionen und die Stimmung verbessern. Und wer gerade keinen Nationalpa­rk in greifbarer Nähe hat, legt sich zumindest Zimmerpfla­nzen zu. Denn auch deren Anblick hilft schon, die Konzentrat­ion zu stärken.

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 ?? Foto: Imago/Westend61 ?? Das Setzen und Pflegen von Pflanzen und Blumen vermittelt Verantwort­ung und sorgt für Selbstwirk­samkeit.
Foto: Imago/Westend61 Das Setzen und Pflegen von Pflanzen und Blumen vermittelt Verantwort­ung und sorgt für Selbstwirk­samkeit.
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