Schwere Mängel bei Kinderrechten in Asylverfahren
Regierungskommission kritisiert System Innenministerium legt eigenen Bericht vor
Wien – Die Kindeswohlkommission hat am Dienstag ihren 454-seitigen Endbericht vorgelegt. Darin analysiert das von der früheren Höchstrichterin Irmgard Griss geleitete Gremium die Lage junger Flüchtlinge in Asyl- und Bleiberechtsverfahren in Österreich. Das Fazit: Kinderrechte seien zwar gut verankert, im Vollzug komme dies aber wenig an.
Zum Beispiel werde die Kinderund Jugendhilfe je nach Bundesland unterschiedlich aktiv, hier brauche es einheitliche Standards. Die Kommission fordert auch klare Richtlinien für die Überprüfung des Kindesrechts für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und für den Verwaltungsgerichtshof, derzeit würden einander ähnelnde Fälle sehr unterschiedlich entschieden. Außerdem bestünden Lücken in der Obsorge, und das System der Altersfeststellungen solle überarbeitet werden. Das interne Controllingsystem für Mitarbeiter des BFA sorgt ebenfalls für Aufregung, da es mehr Punkte für negative Entscheidungen vorsieht.
Justizministerin Alma Zadić (Grüne) lässt den Bericht analysieren. Das Innenministerium präsentierte überraschend einen eigenen Bericht zum gleichen Thema. Die Expertise unter Leitung von Universitätsprofessor Walter Obwexer kommt zum Teil zu anderen Ergebnissen. (red)
Es ist ein Bericht mit politischer Sprengkraft für die türkis-grüne Koalition. Das 454-Seiten-Papier der Kindeswohlkommission unter Irmgard Griss, das am Dienstag vorgelegt wurde, kritisiert so einiges am Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Österreich. Die Kommission unter Vorsitz der früheren OGH-Präsidentin Griss analysierte die Situation junger Flüchtlinge in Asyl- und Bleiberechtsverfahren und bemängelt, dass Kinderrechte in Österreich zwar umfassend verankert seien, im Vollzug bei den Kindern aber nur wenig ankomme.
Außerdem werde die Kinder- und Jugendhilfe je nach Bundesland unterschiedlich aktiv, hier brauche es einheitliche Standards statt des „Fleckerlteppichs“. Die Ressourcen der Kinder- und Jugendhilfeträger seien zudem seit Jahren unzureichend. Die Kommission fordert weiters die Einrichtung einer Institution, die sich um das Monitoring des Kindeswohls im Vollzug kümmert. Ähnliches gebe es bereits in anderen Ländern.
Einander ähnelnde Fälle würden derzeit unterschiedlich bewertet – „je nachdem, auf welche Richterin oder welchen Beamten man trifft“, bemerkte Griss. Die Kommission fordert daher klare Richtlinien für die Überprüfung des Kindesrechts für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und für den Verwaltungsgerichtshof.
Außerdem bestehe eine Lücke zwischen den Antragstellerzahlen und jenen der in Länderquartiere Zugewiesenen. „Da geht es um hunderte Kinder, bei denen man nicht weiß, was mit ihnen passiert“, sagte Kommissionsmitglied Helmut Sax vom Ludwig-BoltzmannInstitut für Menschenrechte. Im Bericht heißt es, aus dem Verschwinden dieser jungen Menschen ergebe sich ein „stark erhöhtes Gefährdungsrisiko für die Betroffenen“, etwa Opfer von Schleppern oder Kinderhandel zu werden.
Für Kritik sorgt auch das System der Altersfeststellungen in Österreich. Viele Länder würden neben biologisch-medizinischen Kriterien wie etwa der Bestimmung der Knochen längst auch psychosoziale Kriterien anwenden, sagte Ernst Berger, Facharzt für Kinderund Jugendpsychiatrie. Österreich solle diesem Beispiel folgen.
Der Bericht thematisiert auch das interne Controllingsystem für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BFA. Darin würden negative Entscheidungen höher bewertet als positive. Griss: „Es hat den Anschein, es ist besser, wenn negativ entschieden wird.“
Aufgeheizte Diskussion
Die Diskussion um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Österreich sei aufgeheizt und finde zwischen der Aufregung um Abschiebungen gut integrierter Kinder auf der einen Seite und um mutmaßlich straffällig gewordene junge Männer aus Afghanistan im Fall der toten 13-Jährigen in Wien auf der anderen Seite statt, sagte Griss. „Die Diskussion ist in vielen Bereichen vergiftet. Meine Hoffnung ist, dass der Bericht dazu beiträgt, dass sie versachlicht wird.“Anfang des Jahres hatte die Abschiebung von Geschwistern aus
Georgien und Armenien hohe Wellen geschlagen. Die Grünen hatten daraufhin die Kindeswohlkommission eingesetzt.
Aus dem Büro der grünen Justizministerin Alma Zadić heißt es, man analysiere den Bericht, Ansatzpunkte im Ressortbereich würden „zügig angegangen“. Im Innenministerium verweist man auf einen kurz nach dem Griss-Termin veröffentlichten weiteren Bericht: Ein Beirat unter der Leitung von Walter Obwexer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Innsbruck, hat ein 72-SeitenPapier erstellt, das „einer sachlichen Diskussion“bei dem Thema dienen soll. In einer Kurzzusammenfassung heißt es, dass dem Kindeswohl „eine besondere Bedeutung bei allen verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Entscheidungen“zukomme, es bestehe aber ein „übergeordnetes öffentliches Interesse an einem funktionierenden Migrationsmanagement“. Manche Anregung in dem Papier deckt sich im Ansatz auch mit jenen der GrissKommission, u. a. die Forderung nach einer klaren Obsorgezuständigkeit.
Zu einem Punkt aus dem Griss-Bericht nahm man direkt im Innenministerium am Dienstag aber doch konkreter Stellung: dem internen Punktesystem, bei dem an Mitarbeiter des BFA für negative Asylentscheidungen mehr Punkte vergeben werden. Es diene lediglich dazu, Aufschluss über die Auslastung von Abteilungen zu erlangen, hieß es dazu. Positive Reaktionen auf den Griss-Bericht kamen von NGOs aus der Flüchtlingsbetreuung, SPÖ und Neos.