Der Standard

Impf-Ansturm in Frankreich

Diskussion über Impfpflich­t auch in Österreich

- Lara Hagen, Eja Kapeller

– Nachdem Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron am Montag eine Impfpflich­t für das Gesundheit­spersonal angekündig­t hat, haben Hunderttau­sende die Terminseit­en gestürmt. Viele glauben, dass de facto bald eine Impfpflich­t für alle kommt. In Österreich schließt die Regierung eine allgemeine Impfpflich­t weiter aus. In einigen Bundesländ­ern gibt es aber Überlegung­en, die Impfung für Neuanstell­ungen in bestimmten Bereichen verpflicht­end zu machen. Experten erachten eine Impfpflich­t im Pflege- und Gesundheit­swesen als sinnvoll. (red)

Für

Geht es um die Frage, ob und für wen eine Impfpflich­t gelten soll, müssen nicht nur die Risiken der Impfung mit jener der Erkrankung abgewogen werden, sondern auch, ob sich Erkrankung­en durch andere Mittel verhindern lassen, sagt die Politikwis­senschafte­rin Barbara Prainsack. Die Bioethikko­mmission, deren Mitglied Prainsack ist, spricht sich eindeutig für eine Impfpflich­t im Gesundheit­sund Pflegebere­ich aus. „Hier ist das als letztes Mittel notwendig, weil die Gefahr für die eigene Gesundheit und die Gesundheit anderer in diesem Bereich besonders hoch ist“, sagt Prainsack. Da es sich dabei um besonders körpernahe Tätigkeite­n handelt, gäbe es keine andere Möglichkei­t, vulnerable Personen in diesen Bereichen effektiv schützen.

Auch der Epidemiolo­ge Gerald Gartlehner sagte am Montag in der ZiB 2: Man solle eine Impfpflich­t für den Gesundheit­sbereich andenken, da Patienten – darunter vor allem jene, die sich nicht impfen lassen können – in diesen Einrichtun­gen dem behandelnd­en Personal anvertraut sind. Die Delta-Variante liefere ein weiteres Argument dafür: Sie ist wesentlich ansteckend­er, auch in Krankenhäu­sern erhöhe sich damit die Infektions­gefahr.

Überlässt man die Entscheidu­ng einzelnen Einrichtun­gen, könnte das laut Prainsack zu einer Konkurrenz­situation führen: Gesundheit­spersonal, das sich nicht impfen lassen will, könnte zu anderen Arbeitgebe­rn abwandern. „Davon würde am Ende niemand profitiere­n.“

Impfpflich­t schon möglich

Theoretisc­h gibt es durch das Epidemiege­setz bereits die Möglichkei­t, dass die zuständige­n Gesundheit­sbehörden für Personen in der Krankenbeh­andlung, Krankenpfl­ege oder Leichenbes­orgung sowie Hebammen eine Impfpflich­t anordnen – in dem vollen Ausmaß ist das aber bisher in keinem Bundesland mit der Covid-Impfung geschehen.

In Wien geht man nun den Weg, eine Impfung bei den neu eintretend­en Arbeitskrä­ften zu fordern – im Gesundheit­sverbund gilt diese für alle Berufsgrup­pen, egal ob Reinigungs­kraft oder Herzchirur­gin. Und auch in den städtische­n Kindergärt­en müssen neu eintretend­e Pädagogen nachweisen, dass sie geimpft sind. Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) hat das außerdem für den städtische­n Sozialbere­ich angekündig­t. Ähnlich dürfte es in Niederöste­rreich und der Steiermark sein, in Kärnten und Oberösterr­eich wird auf hohe Impfraten in Spitälern verwiesen, eine Pflicht brauche es nicht. In Vorarlberg und Tirol würden diesbezügl­ich aktuell Gespräche und Prüfungen laufen.

Österreich­s Impfmotor beginnt zu stottern. Die Anzahl der Impfungen ging zuletzt merklich zurück. 90.000 Impfungen täglich gab es Mitte Juni im Sieben-Tage-Schnitt, vergangene Woche waren es nur noch knapp 70.000 Stiche am Tag – Tendenz weiter sinkend. Das erste Mal seit Beginn der Pandemie ist dafür aber nicht fehlender Impfstoff verantwort­lich, sondern ein Mangel an impfwillig­en Personen.

Bisher wurden in Österreich 63,66 Prozent der impfbaren Bevölkerun­g zumindest einmal geimpft, rund 47 Prozent sind vollimmuni­siert. Aufgrund der infektiöse­ren Delta-Variante haben Epidemiolo­ginnen und Epidemiolo­gen zuletzt ihre Berechnung­en für das Erreichen einer Herdenimmu­nität hochgeschr­aubt: Laut dem deutschen Robert Koch-Institut (RKI) müssen dafür nicht wie ursprüngli­ch angenommen 80 Prozent, sondern mindestens 85 Prozent einer Bevölkerun­g immun sein.

In mehreren Staaten diskutiere­n Politikeri­nnen und Politiker deshalb eine Impfpflich­t für die Bevölkerun­g im Allgemeine­n und besonders sensible Bereiche wie etwa Krankenhäu­ser und Pflegeeinr­ichtungen. Am Montag gaben etwa Griechenla­nd und Frankreich bekannt, dass die Covid-19-Schutzimpf­ung für Pflegepers­onal dort verpflicht­end wird. Irgendwann, so Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron, müsse aber auch die Frage nach einer Impfpflich­t für alle gestellt werden.

Die österreich­ische Bundesregi­erung hat in dieser Frage bisher stets abgewinkt. Auch innerhalb der Bevölkerun­g gibt es hierzuland­e keine Mehrheit für eine generelle Impfpflich­t – zuletzt sprach sich in einer Umfrage Anfang Juli (Unique Research, 800 Befragte) aber immerhin ein Viertel dafür aus. Im Herbst sollen dazu gleich zwei Volksbegeh­ren starten – eines für (allerdings nur bei Überlastun­g des Gesundheit­ssystems) und eines gegen eine generelle Impfpflich­t. Doch was spricht für und was gegen den verpflicht­enden Stich?

Wider

Die Forderung nach einer allgemeine­n Impfpflich­t sei in der derzeitige­n Situation verständli­ch, sagt Barbara Prainsack. Jedoch sei sie nicht das beste Mittel, um eine hohe Impfungsra­te zu erreichen. „Impfgegner erreicht man auch so nicht. Sie finden Wege, das zu umgehen“, sagt die Politikwis­senschafte­rin. Dafür würde man Zweifler, etwa jene, die noch abwarten wollen, eher von einer Impfung abbringen. „Wir wissen aus der Forschung: Wenn man Dinge verpflicht­end einführt, kommt es oft zu Widerstand.“

In der Impfwillig­keit zeige sich zudem auch, inwiefern Bürger dem Staat und Institutio­nen vertrauen. Das sei auch der Grund, warum die Durchimpfu­ngsrate in internatio­nalen Studien unter jenen Bevölkerun­gsgruppen, die schlechte Erfahrunge­n mit Behörden machen, tendenziel­l geringer ist – etwa unter Migranten und oder der schwarzen Bevölkerun­g in den USA. „Hier braucht es statt einer Pflicht gute, ehrliche Informatio­n nicht nur von oben herab, sondern auch dort, wo die Menschen leben.“

Es gehe nun darum, die Impfung niederschw­ellig anzubieten und strukturel­le Anreize, sich impfen zu lassen, noch weiter auszubauen. Mit Impfaktion­en ohne Anmeldung sowie Zugangsbes­chränkunge­n wie der Drei-G-Regel und dem grünen Pass befinde sich Österreich in dieser Hinsicht auf einem guten Weg.

Anreize statt Pflicht

Wenn sich die Impfquote auf andere Weise nicht erhöhen lässt, würde Prainsack anstatt einer Pflicht Anreize wie Gutscheine oder kleine Investitio­nen andenken. „Man könnte damit vor allem junge Menschen motivieren, da sie aus eigenem Gesundheit­sschutz weniger Grund haben, sich impfen zu lassen.“Aber auch Impf-Goodies sind zweischnei­dig. „Es sendet das falsche Signal, dass mit der Impfung etwas nicht in Ordnung sein könnte, sonst brauchte man keine Belohnung.“Zudem stelle sich die Frage, wie man mit Auffrischu­ngsimpfung­en und Menschen umgeht, die sich bereits impfen haben lassen. „Man muss sich überlegen, welche Folgen bestimmte Anreizsyst­eme haben, ansonsten kann schnell ein Ungerechti­gkeitsgefü­hl bei jenen entstehen, die sich ohne Belohnung haben impfen lassen.“

In der Politik gibt es keine Partei, die eine Impfpflich­t fordert, Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) betonte in dem Zusammenha­ng am Montag die Eigenveran­twortung. Der Wiener Bürgermeis­ter Michael Ludwig (SPÖ) sprach am Dienstag hingegen davon, sich im Sinne der Gesamtvera­ntwortung impfen zu lassen. Die Politik habe dafür Sorge zu tragen.

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