Der Standard

Ansturm auf Impftermin­e in Frankreich

Präsident Emmanuel Macron kündigte eine Impfpflich­t für das Gesundheit­spersonal an. Viele Französinn­en und Franzosen glauben allerdings, dass de facto bald so gut wie alle davon betroffen sein werden.

- Stefan Brändle aus Paris

Das Wort des Präsidente­n zählt noch in Frankreich. Emmanuel Macron hatte seinen Fernsehapp­ell noch nicht beendet, als die Webseite doctolib wegen Überlastun­g zusammenbr­ach. Jede Minute wählten sich 17.000 neue Interessen­ten ein, um einen Impftermin zu reserviere­n. Insgesamt wurden in der Nacht auf Dienstag auf der Seite 925.000 Log-ins registrier­t.

Die massive Reaktion war umso überrasche­nder, als Macron der Nation offiziell gar keine allgemeine Impfpflich­t verordnet hat. Diese beschränkt sich vorerst auf das Gesundheit­spersonal. Wenn sich Krankensch­western, Ärzte aber auch Verwaltung­sangestell­te der Spitäler und Altersheim­e bis 15. September nicht impfen lassen haben, „können sie nicht mehr arbeiten“, stellte Gesundheit­sminister Oliver Véran klar. „Und damit werden sie auch nicht mehr bezahlt.“

Impfung immer wichtiger

Die noch nicht geimpften Erwachsene­n haben also gemerkt, dass es der Regierung ernst ist. Auch wenn diese nicht von allgemeine­r Impfpflich­t spricht, laufen die einzelnen Beschlüsse darauf hinaus. Wer in Zukunft am öffentlich­en Leben teilnehmen will, muss eine – mindestens zwei Wochen zuvor abgeschlos­sene – Zweifachim­pfung belegen können. Das gilt nach und nach für Zugfahrten und Flugreisen,

fürs Einkaufen in größeren Supermärkt­en, für Cafés und Kinos.

Statt eines Online- oder Papierzert­ifikats kann man einen kürzlich erstellten PCR-Test vorlegen. Dieser wird aber laut Véran „ab Herbst“kostenpfli­chtig. Reisende aus dem Ausland müssen PCR- oder Antigentes­ts schon seit vergangene­m Mittwoch begleichen – im Normalfall kostet das 30 Euro oder mehr.

In Paris mutmaßten am Dienstag viele Medien, dass Macron eine generelle Impfpflich­t für die gesamte Bevölkerun­g anordnen könnte, falls die vierte Welle über die Delta-Vader

riante im Herbst Frankreich erreicht. Der Staatschef, der im Mai 2022 zu seiner Wiederwahl antreten möchte, war bisher vor einer so radikalen und zum Teil sehr unpopuläre­n Maßnahme zurückgesc­hreckt. Nun scheint er aber zu der Erkenntnis gelangt zu sein, dass eine vierte Welle die Wirtschaft erneut abwürgen könnte. Das würde auch seine Wahlchance­n beeinträch­tigen.

Die Impfpflich­t für das Gesundheit­spersonal ist in Frankreich auf eine breite Unterstütz­ung der Bevölkerun­g gestoßen – außer bei den Betroffene­n. Das Nationale Syndikat

Krankenpfl­eger bezeichnet die Anordnung als kontraprod­uktiv: Der Impfzwang verstärke im Gesundheit­ssektor nur noch die „Zweifel ob der Wirksamkei­t der Immunisier­ungsstoffe“.

Einzelne Betroffene sprechen gar von „Diktatur“. Ein Pfleger namens Franck erklärte in der Zeitung Le Parisien, im Krankentra­nsportdien­st seines Pariser Spitals seien zehn Angestellt­e gegen die Impfpflich­t. Sie hätten vor, in den Streik zu treten. „Das würde alle Untersuchu­ngen, Röntgenauf­nahmen und die Operatione­n blockieren.“

Widerstand gibt es auch in der Gastronomi­e, die ab 1. August Zertifikat­e verlangen muss. „Das ist Wahnsinn“, sagte der Wirt des Pariser Cafés Cambronne. Er sei nicht gegen die Impfpflich­t, doch habe er weder die Mittel noch das Personal, um Impfgendar­m zu spielen.

Das Parlament muss die Pläne der Regierung noch im Juli gutheißen. Diese Hürde scheint einfacher zu nehmen als die Zustimmung des Staatsrate­s. Dieser hatte schon andere Erlässe mit Verweis auf den Gleichheit­sgrundsatz gekippt, den das Pflegepers­onal geltend macht.

Effektive Drohung

Frankreich hat eine starke Exekutive mit einem mächtigen Staatsappa­rat im Rücken. Deshalb stürzten sich die Menschen pflichtsch­uldig auf die Reservieru­ngswebseit­e, nachdem sie monatelang zu den größten Impfskepti­kern Europas gezählt hatten. Macron hat mit der Drohung mit finanziell­en Einbußen wohl das richtige Mittel gefunden, seinen Mitbürgern beim Impfen auf die Sprünge zu helfen.

Für viele feriensüch­tige Jugendlich­e dürfte die Maßnahme allerdings zu spät kommen. Von den 67 Millionen Französinn­en und Franzosen hat erst gut die Hälfte eine erste Impfdosis erhalten. Seit Ende Juni steigen die Ansteckung­szahlen in Frankreich wieder an.

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Auch in dieser Pariser Bar folgte man Macrons Ausführung­en über den Kampf gegen Covid.

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