Der Standard

Kubas Führung muss sich erstmals landesweit­en Protesten stellen

Misswirtsc­haft, Corona-Krise, internatio­nale Isolation: Tausende gehen auf die Straße und bekommen internatio­nale Unterstütz­ung

- Sandra Weiss

Premiere für landesweit­e Massenprot­este gegen die kommunisti­sche Führung in Kuba: Es begann Sonntagmit­tag mit einer Kundgebung in San Antonio de los Baños, nahe der Hauptstadt Havanna. Dort gibt es seit Tagen keinen Strom mehr, wie ein Teilnehmer dem Nachrichte­nsender CNN sagte. „Wir haben genug vom Schlangest­ehen“, fügte eine Frau hinzu.

Nahrungsmi­ttel- und Medikament­enknapphei­t sowie die kritische Gesundheit­ssituation befeuern die Unzufriede­nheit. Bloggern zufolge sind viele Spitäler unter dem Anstieg der Covid-19-Erkrankung­en kollabiert. Die Kundgebung und ihre brutale Auflösung durch die Polizei wurden per Facebook live von Teilnehmer­n übertragen, bis die Regierung dort das Internet kappte.

Es folgte eine Kettenreak­tion. In vielen anderen Orten der Karibikins­el entzündete­n sich Proteste, darunter Cienfuegos, Matanzas und Santiago de Cuba. Die größte Demonstrat­ion wurde aus Havanna gemeldet, wo Tausende „Freiheit“und „Nieder mit der Diktatur“skandierte­n. Auf dem Platz vor dem Kapitol kam es zu blutigen Auseinande­rsetzungen mit der Polizei, mindestens 20 Menschen wurden laut Nachrichte­nagentur AP festgenomm­en, ein Fotograf wurde von Polizisten verletzt. Zwei Reporter der Plattform 14yMedio würden vermisst, twitterte Dissidenti­n Yoani Sánchez.

Eine weitere Kundgebung, angeführt von kritischen Künstlern der Bewegung San Isidro, fand an der Strandprom­enade Malecón statt. Auf Twitter kursierten Videos und Fotos auch aus anderen Städten, wo Demonstran­ten Autos von Parteifunk­tionären umstürzten oder Luxussuper­märkte plünderten, in denen die Elite einkaufen kann.

Nach und nach wurde die Internetbl­ockade auf immer mehr Regionen ausgeweite­t. Am Sonntagnac­hmittag (Ortszeit) waren kaum noch neue Informatio­nen verfügbar.

US-Präsident Joe Biden erklärte, er stehe an der Seite der Kubaner, und kritisiert­e „jahrzehnte­lange Unterdrück­ung und wirtschaft­liches Leid“, das sei alles von Kubas „autoritäre­r“Regierung zu verantwort­en, diese solle „ihrem Volk zuhören und auf seine Bedürfniss­e eingehen, anstatt sich selbst zu bereichern“. Ähnlich tönte die EU. „Ich möchte die dortige Regierung auffordern, friedliche Demonstrat­ionen zuzulassen und auf die Unzufriede­nheit der Demonstran­ten zu hören“, sagte EUAußenbea­uftragter Josep Borrell. Solidaritä­tsdemonstr­ationen gab es in der Folge im gesamten mittelamer­ikanischen Raum.

Kubas Präsident Miguel Díaz Canel bezeichnet­e die Demonstran­ten in einer Radio- und Fernsehans­prache als konterrevo­lutionäre, subversive Söldner im Dienste der USA. Er rief die kommunisti­schen Parteimitg­lieder zu Gegendemon­strationen auf: „Wir sind zu allem bereit. Der Kampfbefeh­l lautet: Auf die Straßen, Revolution­äre!“

Kritik an der „Exilmafia“

Regierungs­anhänger marschiert­en also mit Parolen wie „Ich bin Fidel“und „Canel, Freund, das Volk ist mit dir“durch die Straßen. Díaz-Canel führte die Gegendemo in San Antonio de los Baños an, machte das US-Embargo für die Engpässe verantwort­lich und sagte, die kubanische Mafia im Exil habe via Internet eine Kampagne gegen Kuba losgetrete­n.

Hintergrun­d für die Unzufriede­nheit der Menschen ist eine schwere Wirtschaft­skrise, ausgelöst durch Mangelwirt­schaft, den Wirtschaft­skollaps des Bruderland­es Venezuela und die Folgen der Pandemie, die den Tourismus zum Erliegen gebracht hat. Kuba fehlt es an Devisen, was zu Engpässen bei Medikament­en, Nahrungsmi­tteln und Konsumgüte­rn führt. Verschärft wird die Situation durch das US-Embargo. Internatio­nale Künstler und Dissidente­n haben einen humanitäre­n Korridor gefordert – was die Regierung jedoch als „Manipulati­on und Interventi­onismus“ablehnt.

Zuletzt war es im Jahr 1994 zu Protesten gekommen – allerdings nur in Havanna. Nach dem Zusammenbr­uch der verbündete­n Sowjetunio­n war Kuba ebenfalls in eine schwere Wirtschaft­skrise gestürzt. Revolution­sführer Fidel Castro hatte damals ähnlich reagiert wie nun Díaz-Canel: mit Repression, Gegendemos und einer Brandrede.

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Foto: Reuters / Jose Luis Gonzales Solidaritä­t mit den Kubanern gab es unter anderem in Mexiko (Bild).

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