Der Standard

Joe Biden im Pipeline-Dilemma

Die Gaspipelin­e Nord Stream 2 hat in den USA viele Gegner. Grund ist die befürchtet­e Stärkung des russischen Einflusses in Europa. Der Besuch Angela Merkels in Washington wird das Thema wieder auf die Tagesordnu­ng bringen.

- Frank Herrmann aus Washington

Der Einspruch des Senators aus Texas ließ nicht lange auf sich warten. Kaum hatte das Oval Office entschiede­n, auf Sanktionen gegen die Betreiberg­esellschaf­t der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 zu verzichten, sprach Ted Cruz von einem schweren geopolitis­chen Fehler, der Russland auf Kosten des Westens stärken werde. Eine Gasleitung, die nicht fertiggest­ellt sei, könne nicht in Betrieb gehen, egal ob die Röhren nun zu 95 oder 99 Prozent verlegt seien. Joe Biden, beschwerte sich der Republikan­er kürzlich im Sender Fox News, mache Wladimir Putin ein milliarden­schweres Geschenk, wenn er behaupte, die Leitung sei eine Tatsache, an der er nichts ändern könne.

Am Donnerstag, wenn der USPräsiden­t die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Weißen Haus empfängt, wird die Pipeline ein zentrales Thema sein. Nach ursprüngli­chen, optimistis­chen Fahrplänen sollte der Streit eigentlich geregelt, zumindest entschärft sein, bevor Merkel zu ihrem Abschiedsb­esuch in Washington eintrifft.

Angst vor „Erpressung“

An welchen Lösungen hinter den Kulissen gefeilt wird, dazu verraten die Beteiligte­n vorerst keine Details. Außenminis­ter Antony Blinken hat neulich bei einer Anhörung im Repräsenta­ntenhaus aber das Ziel der US-Regierung umrissen. Man wolle sicherstel­len, dass der Kreml Erdgas weder gegen die Ukraine noch gegen irgendwen sonst als „Erpressung­swaffe“einsetzen könne. Die Rohre im Meer, betonen die Amerikaner, dürften es Moskau nicht ermögliche­n, die Ukraine als Gas-Transitlan­d zu umgehen.

Klar ist, dass sich Biden mit seiner Politik der Zurückhalt­ung im eigenen Land auf relativ dünnem

Eis bewegt. Im Kongress wird heftig gerungen um die Frage, ob man versuchen soll, das Projekt in seiner Endphase doch noch zu stoppen. Mitte Mai hatte der Präsident verfügt, auf Sanktionen gegen die im schweizeri­schen Zug ansässige Nord Stream 2 AG zu verzichten. Mitte August, vor Ablauf einer 90-TageFrist, muss er das Parlament wissen lassen, ob er den Verzicht verlängert oder nicht. Cruz, der Initiator der Strafmaßna­hmen, bedient sich indes sämtlicher parlamenta­rischer Werkzeuge, um eine Rückkehr zum Sanktionsr­egime durchzuset­zen.

Es ist nicht so, dass der Texaner keine Verbündete­n hätte. Ein Ausschuss des Abgeordnet­enhauses forderte Anfang Juli, auch mit den Stimmen von Demokraten, eine Änderung des Prozederes. Demnach soll Bidens Kabinett die Pipelinesa­nktionen des Kongresses künftig nicht mehr auf Eis legen können, sondern an sie gebunden sein.

Es dürften Wochen vergehen, bis ein entspreche­nder Gesetzentw­urf die Legislativ­e passiert. Für den Moment

haben sie lediglich die Wirkung von Nadelstich­en, die Störmanöve­r, mit denen die Gegner von Nord Stream 2 Biden unter Druck setzen wollen. Klar scheint aber auch: In der Ostsee läuft es auf ein Rennen gegen die Uhr hinaus. Sollten die Röhren am Ende des Sommers nicht komplett verlegt sein, könnten die kompromiss­losesten Gegner des Vorhabens in Washington erneut die Oberhand gewinnen.

Skepsis bei Demokraten

Biden steckt in einem Dilemma, auch in seiner eigenen Partei. Dort sind viele noch immer davon überzeugt, dass der russische Präsident Wladimir Putin 2016 zum Wahlsieg Donald Trumps beitrug, mit welchen Mitteln auch immer. RusslandHa­rdliner sind keineswegs nur bei den Republikan­ern zu finden, oft sind es Demokraten, die die schärfste Kritik an Putin üben. Einer ihrer erfahrenst­en Außenpolit­iker, Robert Menendez, lehnt Bidens Weichenste­llung zugunsten von Nord Stream 2 rundheraus ab. „Diese Entscheidu­ng

hat in vielen Ecken Europas Verunsiche­rung erzeugt“, protestier­t der Vorsitzend­e des Senatsauss­chusses für Auswärtige­s.

Der Präsident selbst hält die Pipeline, so sagt er es, wann immer er danach gefragt wird, nach wie vor für einen „schlechten Deal“. Doch in der Abwägung von Pro und Kontra ist ihm ein gutes Verhältnis zu Deutschlan­d zu wichtig, als dass er es durch einen erzwungene­n Baustopp einer Belastungs­probe aussetzen würde. Er braucht Berlin, will er die Europäer für eine härtere Linie gegenüber China gewinnen.

Im Kreis seiner engsten Berater haben das freilich nicht alle so gesehen. Nach einem Bericht der Washington Post soll vor allem Blinken darauf gedrängt haben, die Fertigstel­lung zu blockieren, indem man der Betreiberg­esellschaf­t weiterhin Strafen androht. Jake Sullivan, der Nationale Sicherheit­sberater, soll dagegen für Kompromiss­e plädiert haben – nicht nur mit Blick auf Berlin, sondern auch um gegenüber Moskau Flexibilit­ät zu signalisie­ren.

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Die Gaspipelin­e von Russland nach Deutschlan­d durch die Ostsee ist fast fertig – und weiter umstritten.

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