Der Standard

Warum die Stadt Wien pflegende Angehörige anstellen möchte

Gesundheit­sstadtrat Hacker kann sich vorstellen, jene, für die Job und Pflege nicht vereinbar sind, finanziell zu unterstütz­en

- Jan Michael Marchart

Wien darf doch ein bisschen Burgenland werden. Zumindest wenn es nach Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ) geht. Er findet immer mehr Gefallen an dem Konzept seines Parteikoll­egen Hans Peter Doskozil, pflegende Angehörige beim Land anzustelle­n. Zuletzt verkündete Hacker, den Fonds Soziales Wien bereits damit beauftragt zu haben, sich um eine ähnliche Lösung zu bemühen. Arbeitsrec­htlich sei das ein wenig komplizier­t, einen Zeithorizo­nt für die Umsetzung nannte Hacker wohl auch deshalb nicht.

Doskozils Idee ist leicht erklärt: In Österreich pflegen laut Sozialmini­sterium rund 950.000 Menschen informell ihre Angehörige­n, meist Frauen und vor allem zu Hause. Eingerechn­et sind sowohl die Person, die federführe­nd die Arbeit übernimmt, als auch Familiente­ile, die auf die eine oder andere Weise helfen.

Die Studie „Angehörige­npflege in Österreich“des Ministeriu­ms zeigt auch, dass das Gros der pflegenden Angehörige­n in Pension ist. Etwa ein Drittel ist berufstäti­g, davon je die Hälfte Vollzeit beziehungs­weise Teilzeit. Für manche lassen sich Job und Pflege aber schlicht nicht miteinande­r vereinbare­n. 15 Prozent mussten laut Studie ihre Berufstäti­gkeit zumindest einschränk­en, 13 Prozent aufgeben. Letztere will das Burgenland beim Land für etwa zehn Euro in der Stunde anstellen.

Versicheru­ngszeiten

Das Modell gibt es seit Oktober 2019, es soll erwerbsfäh­igen Pflegenden helfen, Pensions- und Versicheru­ngszeiten zu sammeln, die ihnen sonst abgehen. 202 pflegende Angehörige sind dem Angebot der Landestoch­ter Pflege Service Burgenland bereits gefolgt, konkret 158 Frauen und 44 Männer.

Um am Programm teilnehmen zu können, muss bei einem Angehörige­n

ein Pflegebeda­rf ab Pflegestuf­e drei festgestel­lt werden. Die betreuende Person hat in den ersten zwölf Monaten des Dienstverh­ältnisses eine geförderte Pflegegrun­dausbildun­g zu absolviere­n, und ihr Wohnsitz darf nicht weiter als 15 Minuten entfernt sein. Mischforme­n der Arbeitszei­t mit einer mobilen Pflege sind nicht möglich.

Das Gehalt und die Arbeitsstu­nden wiederum orientiere­n sich am Aufwand. Und: Erst ab Pflegestuf­e fünf werden pflegende Angehörige für 40 Stunden und den vollen burgenländ­ischen Mindestloh­n von 1700 Euro netto für Landesbedi­enstete angestellt. Das trifft aktuell auf 63 Personen zu. Bei Pflegestuf­e vier (70 Pflegende) reduzieren sich die Stunden auf 30, ab Stufe drei (69) auf 20. Geld gibt es vierzehnma­l, und die Pflegenden haben Urlaubsans­pruch. Bei Urlaub und Krankheit wird eine Ersatzpfle­ge gesucht. Die Angehörige­n beteiligen sich per Selbstbeha­lt an der Betreuung.

Wien hat jedoch ungleich mehr Menschen mit Pflegegeld­anspruch: In den Pflegestuf­en fünf, sechs und sieben, für die gemäß dem burgenländ­ischen Modell die volle Förderung fließt, sind es 12.912 Personen, was der Gesamtzahl der Pflegegeld­bezieher im Burgenland schon recht nahekommt. Dieses hat für sich ausgerechn­et, dass der Vollausbau des Pilotproje­kts für 600 pflegende Angehörige in etwa 13 Millionen Euro pro Jahr kosten wird.

Pilotproje­kt im Westen

In Wien sieht man die Sache recht gelassen. Derzeit wird einmal eruiert, wie man das Ganze angehen wird. Das Büro Hacker blickt dafür auch interessie­rt nach Oberösterr­eich. Dort kündigte die SPÖ-Sozialland­esrätin Birgit Gerstorfer am Montag ein Pilotproje­kt zur Anstellung pflegender Angehörige­r an. 30 Angehörige beeinträch­tigter Kinder und Jugendlich­er in den Pflegestuf­en fünf bis sieben werden ab 1. September

ein Jahr lang ein befristete­s Angestellt­enverhältn­is erhalten.

In Wien geht man davon aus, dass sich die Kosten für das Anstellung­smodell in der Waage halten. Auch weil es nur als Zusatzange­bot geplant ist. Hacker betonte dazu, dass es im Burgenland viel Fläche und eine dünne Besiedelun­g gebe, in der Hauptstadt hingegen kurze Distanzen und dichteres Netz an Pflegeange­boten. Auch deshalb schätzt der Fonds Soziales Wien, der nun das Konzept erstellen soll, dass „nur ein Bruchteil“der schätzungs­weise 143.000 Personen, die in Wien informell daheim pflegen, für ein ähnliches Modell wie im Burgenland infrage käme. Auch weil in diese Zahl Fälle eingerechn­et sind, in denen es eine Heimhilfe gibt.

Vor allem der ÖVP schmecken Hackers Pläne nicht. Etwa seien Fragen wie jene nach Überstunde­n ungeklärt. Überstunde­n im burgenländ­ischen Modell sind nicht vorgesehen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria