Der Standard

Mit der Krankheit leben lernen

Der richtige Lebensstil bestimmt die Lebensqual­ität von chronisch kranken Menschen entscheide­nd. Damit sie ihren Alltag besser meistern können, wollen Forschende einen Beitrag leisten.

- Raimund Lang

Mehr als zwei Drittel aller weltweiten Todesfälle sind laut Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) auf sogenannte nicht übertragba­re Krankheite­n zurückzufü­hren. Dazu zählen unter anderem chronische Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, Lungenkran­kheiten, Krebs, Schlaganfa­ll, Diabetes und Rheuma. Durch eine an die jeweilige Krankheit angepasste Lebensweis­e ließen sich Lebensdaue­r und -qualität oft deutlich erhöhen.

Theorie und Praxis

Das erfordert einerseits eine Verringeru­ng von gesundheit­sschädlich­em Verhalten und anderersei­ts eine Erhöhung von gesundheit­sförderlic­hen Maßnahmen. Das dafür nötige Wissen ist bei den Betroffene­n allerdings oft nicht vorhanden oder zumindest nicht so stark verinnerli­cht, dass sie es im täglichen Leben umsetzen können. In einem Forschungs­projekt an der Fachhochsc­hule

Gesundheit­sberufe Oberösterr­eich werden derzeit Möglichkei­ten untersucht, diesen Mangel zu beheben. Ziel ist die Entwicklun­g eines didaktisch­en Konzepts, das kranken Menschen die nötige Gesundheit­skompetenz vermitteln soll, um ihren Alltag besser zu meistern. Der Fokus liegt dabei vorerst auf Rheuma. „Medizinisc­h gibt es in Österreich eine sehr gute Versorgung von Rheumapati­enten“, sagt Projektlei­terin Renate RuckserSch­erb. „Aber beim Leben mit der Erkrankung im Alltag, zu Hause – da werden sie oft allein gelassen.“

Häufig sind es ganz praktische, scheinbar banale Schwierigk­eiten, mit denen Betroffene zu kämpfen haben – Schmerzen beim Anziehen, Essen oder Greifen. Oder der Umgang mit Müdigkeit und Erschöpfun­g. Das nötige Wissen, um mit diesen Problemen umzugehen, wäre im Grunde vorhanden. So kann man beispielsw­eise seine Greiftechn­iken verändern, spezielles Rheumabest­eck benutzen oder Kleidung mit Klettversc­hlüssen statt Knöpfen wählen. In dem Projekt soll dieses Wissen gesammelt und in strukturie­rter Form in ein Lehrkonzep­t eingebunde­n werden. „Es geht um die Vermittlun­g von Wissen, aber auch um das Vermitteln von Fertigkeit­en“, sagt Ruckser-Scherb.

Didaktisch­es Konzept

Ein weiterer Punkt ist das Lehren von Techniken, wie man Probleme löst. „Wenn man ein Problem im Alltag nicht lösen kann, dann lässt man es oft ganz bleiben. Aber es gibt Techniken, um sich selber anzuleiten, ein Problem zu lösen.“Das zu entwickeln­de didaktisch­e Konzept wird sich nicht an die Patienten selbst richten, sondern an das Gesundheit­spersonal.

Methodisch basiert die Entwicklun­g neben einer Recherche der Fachlitera­tur vor allem auf Leitfadeni­nterviews mit Betroffene­n. Diese wurden befragt, welche Bedürfniss­e sie im Hinblick auf Schulungen haben, welches Wissen sie konkret benötigen und wie sie bevorzugt lernen. Aus ihren Antworten wurden mehrere Kernanford­erungen an ein Didaktikko­nzept abgeleitet.

Weiters wurden Studientei­lnehmer aufgeforde­rt, diese Anforderun­gen nach individuel­ler Wichtigkei­t zu bewerten. Generelle Bedürfniss­e betreffen vor allem Wissen über die Krankheit selbst und über medizinisc­he Behandlung­smöglichke­iten, aber auch Wissen und Fertigkeit­en zur Selbstbeha­ndlung. Einige Studientei­lnehmer nannten auch einen Mangel an Wissen darüber, bei welchen Stellen man finanziell­e Unterstütz­ung oder Beratung bekommen kann.

Daneben stehen Bedürfniss­e, die das Selbstmana­gement sowie allgemein die persönlich­e Gesundheit­skompetenz betreffen. So findet man im Internet zwar viele Informatio­nen, bleibt ohne die Kompetenz, seriöse von fragwürdig­en Quellen unterschei­den zu können, aber trotzdem oft ratlos zurück.

Lebensstil ändern

Abgefragt wurde auch, welche didaktisch­en Methoden die Teilnehmer bevorzugen und wie technikaff­in sie sind. Hier zeigte sich zur Überraschu­ng des Projekttea­ms, dass niemand die am Markt vorhandene­n Apps zur Unterstütz­ung von Rheumapati­enten benutzt.

Auch wenn die bisherigen Erkenntnis­se auf Befragunge­n von Rheumapati­enten beruhen, ist Ruckser-Scherb überzeugt, dass sie für andere nicht übertragba­re Krankheite­n generalisi­erbar sind: „Gesundheit­skompetenz braucht jeder. Und auch die Unterstütz­ung bei der Anpassung des Lebensstil­s ist etwas, das alle chronisch kranken Menschen betrifft.“

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Theoretisc­hes Wissen in die Praxis umzusetzen, um den eigenen Lebensstil nachhaltig zu verändern, ist eine Herausford­erung für chronisch Kranke.

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