Der Standard

„Thermofens­ter“reicht nicht für Schadeners­atz von Daimler

Deutsche Höchstrich­ter: Einsatz einer Abschaltei­nrichtung nicht sittenwidr­ig, wenn Software nicht nur auf Prüfstand aktiv ist

- Ist mit dem

Karlsruhe – Allein wegen des in vielen Mercedes-Dieselmode­llen eingebaute­n sogenannte­n Thermofens­ters haben Autobesitz­er noch keinen Anspruch auf Schadeners­atz von Daimler. Selbst wenn es sich dabei um eine unzulässig­e Abschaltei­nrichtung handeln sollte, sei der reine Einsatz der Technik nicht sittenwidr­ig, urteilte der deutsche Bundesgeri­chtshof (BGH) in einem am Dienstag in Karlsruhe veröffentl­ichten Urteil. Denn anders als beim Skandalmot­or EA189 von Volkswagen unterschei­de die im Auto des

Klägers installier­te Software nicht danach, ob das Auto auf dem Prüfstand stehe oder nicht.

Die verharmlos­end Thermofens­ter genannte Abschaltei­nrichtung ist Teil der Motorenste­uerung und reduziert die Abgasreini­gung beziehungs­weise setzt diese zum Beispiel bei Außentempe­raturen zwischen fünf und 33 Grad außer Betrieb. Es gibt allerdings auch nichttempe­raturabhän­gige, die die Abgasreini­gung nach Verlassen des Prüfstands ausschalte­n, etwa wenn das Lenkrad bewegt wird. Die Richterinn­en und Richter hatten sich dazu vor einem halben Jahr schon einmal in einem schriftlic­hen Beschluss ähnlich geäußert. Jetzt verkündete­n sie zum ersten Mal nach einer Verhandlun­g ein Urteil.

BGH stellt sich gegen EuGH

Der Spruch des Bundesgeri­chtshofs ist insofern bemerkensw­ert, als sich die Bundesrich­ter damit gegen den Europäisch­en Gerichtsho­f stellen. Der EuGH hatte am 17. Dezember entschiede­n, dass Abschaltei­nrichtunge­n grundsätzl­ich unzulässig sind. Ausnahmen wären lediglich temporäre Abschaltvo­rrichtunge­n, die vor „plötzliche­n und außergewöh­nlichen Schäden“schützen, die eine konkrete Gefahr während der Fahrt darstellen. Der einfache Schutz des Motors, etwa vor Versottung, fällt nicht unter diese Ausnahme. Der Schutz des Motors vor mehr Verschmutz­ung und einem höheren Verschleiß rechtferti­ge nicht den Einsatz von Thermofens­tern, hatte es in der Erläuterun­g des Urteils geheißen.

Der Fall Daimler

Spruch übrigens noch nicht abgeschlos­sen, denn der Kläger hatte Daimler vorgeworfe­n, etliche weitere unzulässig­e Vorrichtun­gen zur Abgasmanip­ulation zu verwenden, unter anderem über das Kühlmittel­system. Diesem konkreten Vorwurf war das Oberlandes­gericht Koblenz nicht nachgegang­en. Das muss nun nachgeholt werden.

Unterdesse­n hat die französisc­he Justiz im Diesel-Abgasskand­al nun auch gegen den Fiat-Chrysler-Konzern ein formelles Ermittlung­sverfahren eröffnet. (dpa, AFP, ung)

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