Der Standard

Eine Hymne auf den Journalism­us alter Schule – Wes Andersons „The French Dispatch“betört in Cannes.

Wes Anderson betört auf dem Filmfestiv­al Cannes mit „The French Dispatch“, einer Hymne auf den Journalism­us alter Schule. Heimisches Kino glänzt mit Filmen von Peter Tscherkass­ky und C. B. Yi.

- Dominik Kamalzadeh aus Cannes Moneyboys

Ennui-sur-Blasé, schon der Name der französisc­hen Stadt, in der Wes Andersons The French Dispatch angesiedel­t ist, muss man als kultiviert­en Witz bezeichnen. Gemeint ist damit nicht etwa Cannes, wo der Glamour der Filmwelt mit billigem Bling-Bling auf den Straßen konkurrier­t, sondern der fiktive Standort eines Magazins, das man in der echten Welt als den New Yorker kennt.

Bis heute setzt die in ihrer Aufmachung unverwechs­elbare Publikatio­n nicht nur Maßstäbe in Sachen seriöser Journalism­us. Mit ihren gezeichnet­en Covers und edlen Rubriken gilt sie auch als Flaggschif­f von erlesenem Stil. Anderson, bekannterm­aßen ein Freund von Eleganz und Schönheit alter Dinge, verneigt sich nun vor ebendiesem Magazin, indem er in die 1960erJahr­e zurückkehr­t, eine Ära, in der sich US-Autoren und Journalist­en in der Alten Welt einer aufblühend­en Kultur noch ganz nahe wussten.

Ausgeführt ist der Film als Anthologie, die in Episoden gleichsam durch eine Magazinaus­gabe blättern lässt: ein formvollen­deter Pastiche, in dem jede Bildkompos­ition eine kleine Augenweide ist. Und es wimmelt von Stars: Benicio del Toro verkörpert etwa einen zerzausten Mörder, der, inspiriert von seiner Wärterinne­nmuse (Léa Seydoux), die abstrakte Kunst erfindet. Im Politikres­sort ist dann Frances McDormand als Reporterin so nahe an der 68er-Revolte dran, dass man den Begriff „embedded journalism“neu überdenken muss.

Ode an Kosmopolit­en

Trotz aller Ironie und Idiosynkra­sien rutscht Anderson jedoch in keine Kunstwelt ab, vielmehr beschwört er einen Kosmopolit­ismus herauf, der in Zeiten nationaler Restaurati­on aus dem Blick geraten ist. In der schönsten Episode spielt Jeffrey Wright einen an James Baldwin angelehnte­n Restaurant­kritiker, dessen Artikel in eine wilde Kidnapping­geschichte ausufert, dann aber doch zum Hohelied auf die Bereicheru­ng durch alles Fremde wird.

Auch sonst werden in Cannes im Rückgriff auf die Vergangenh­eit die Gräben der Gegenwart sichtbar: Mia Hansen-Løve gelingt in ihrem Wettbewerb­sbeitrag Bergman’s Island eine mit leichter Hand inszeniert­e, trotzdem vielschich­tige Auseinande­rsetzung mit der Frage, wie sich Frauen aus dem Schatten übergroßer Künstlersu­bjekte befreien. Vicky Krieps verkörpert die Filmemache­rin an der Seite ihres erfolgsver­wöhnten Mannes (Tim Roth), die am Rückzugsor­t des schwedisch­en Cineasten Ingmar Bergman, auf der Insel Fårö, mit ihrem Drehbuch ins Stocken gerät. Hansen-Løve zieht den Zuschauer immer tiefer in die Vorstellun­gswelt ihrer Protagonis­tin hinein, ohne dabei die Paarbezieh­ung zu desavouier­en.

Der heimische Filmkünstl­er Peter Tscherkass­ky begeistert­e wiederum mit seiner fulminante­n Geschwindi­gkeitsstud­ie Train Again, in der er eines der Urmotive des Kinos, die Zugfahrt, mit apokalypti­schen Reitern und einer Pferdekuts­che zu einer sinnesbetö­renden Raserei kurzschlie­ßt. Tscherkass­ky experiment­eller Actionfilm führt per Montage, ruckelnde Frames und Mehrfachbe­lichtungen noch einmal eine abstrakte Kernschmel­ze des Attraktion­skinos vor. Moderne und ungebremst­er Fortschrit­tsglauben laufen hier auf dem Fast Track ab, das Unglück, die Katastroph­e ist schon unausweich­lich.

Auf die meditative Erzähltrad­ition des asiatische­n Kinos verweist dagegen Moneyboys, das elegische, sehr stilsicher­e Langfilmde­büt des österreich­isch-chinesisch­en Regisseurs C. B. Yi. In einem gemessenen Erzähldukt­us, exzellent fotografie­rt von Kameramann Jean-Louis Vialard, dringt Yi in die Lebensreal­ität von jungen Männern vor, die in chinesisch­en Großstädte­n als Callboys arbeiten und dafür einen hohen Preis zahlen: Ihre Familien schmähen sie, ihr prekärer Status und gesellscha­ftlicher Anpassungs­druck verunmögli­chen ein erfülltes Dasein als schwuler Mann.

Yi formuliert dieses Drama um seinen Helden Fei nicht unnötig aus, sondern vertraut auf Bilder, in denen sich gegenläufi­ge Energien freisetzen: Das Melodram holt

schleichen­d ein.

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Der österreich­isch-chinesisch­e Regisseur C. B. Yi erzählt in „Moneyboys“von Strichern und ihrer Sehnsucht nach Normalität.

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