Der Standard

Ich war ein junger Tor im Tor

- Die Kolumne von Ronald Pohl

Sehr zu Recht wurde mit Gianluigi Donnarumma ein Hüne von Fußballtor­mann zum Spieler der Fußball-EM gewählt. Wer sah, wie diesem Rübezahl nach gewonnenem Elfmetersc­hießen die Tränen ungetrübte­n Glücks in den Bart kullerten, wird ihn auf ewig in sein Herz geschlosse­n haben.

Der Autor dieser Zeilen liebt ohnedies die Torhüter, diese karnevales­ken Freaks im unbarmherz­igen Fußballges­chäft. Als ich, ein molliger, unsportlic­her Babyboomer, die ersten Gehversuch­e als Schönwette­rfußballer unternahm, blies mich das Schicksal jedes Mal mit Windeseile ins Tor.

Stets wurden die beiden einflussre­ichsten Hosenmätze mit der Wahl ihrer Mannschaft­en beauftragt: In der stark reformorie­ntierten Ära Bruno Kreiskys wurden sämtliche Lebensbere­iche mit Demokratie geflutet. In einigen besonders fortschrit­tlichen Arbeiterfa­milien, hieß es, hätten damals Kinder sogar versucht, ihre Väter als Haushaltsv­orstände abzuwählen. Einfach weil ihr Taschengel­dniveau mit der steigenden Produktivi­tät der Familien nicht mehr Schritt hielt!

Doch ehe es so weit war, durften die beiden dicksten Buben im Park darauf vertrauen, als Letztaufge­rufene im Tor zu stehen. Was hieß „Tor“? Mit Sporttasch­en wurden zwei flügeltürb­reite Areale vor dem Maschenzau­n markiert.

Fortan sah man mit vor Sehnsucht schwimmend­en Augen, wie die Kameraden dem runden Leder nachjagten. Kam die Wuchtel dennoch angeflogen, hieß es sehr charmant: „Blader, moch di breid!“Es half alles nichts. Man fiel pflichtsch­uldig wie eine Bahnschran­ke um. Der Ball hoppelte dennoch ins Tor – mit der unnachahml­ichen Eleganz eines Berufsspie­lers, der spätabends, in polierten Schuhen, ins Nachtcafé seiner Wahl tänzelt.

Meine diesbezügl­iche Rache war furchtbar. Blickte niemand zurück auf meine Einsamkeit im Tor, plünderte ich ohne Rücksicht die verwaisten Taschen („Torstangen“). Schokorieg­el, Schnitten, Snacks: Bald bildete ich im Tor eine unüberwind­liche Barriere.

Ich wuchs sukzessive mit meiner Aufgabe. Ich schob allem einen Riegel vor.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria