Der Standard

Dem Zuhörer gehen die Antworten aus

- Florian Niederndor­fer

Die Revolution, die er nun mit seinem Leben zu verteidige­n gelobt, war ein Jahr alt, als Miguel Díaz-Canel 1960 im Zentrum Kubas zur Welt kam. Ihre beiden Führer, Fidel und Raúl Castro, erstritten sie mit der Waffe in der Hand, allerlei klassenkäm­pferischem Charisma und – schon bald – mit Schützenhi­lfe aus Moskau.

Fünf Jahrzehnte später sind die alten Kämpfer tot oder in Pension, die Sowjetunio­n existiert nicht mehr. Und Díaz-Canel, Castros blasser Nachfolger an der Spitze des klammen Staates und der ganz auf die alten Helden zugeschnit­tenen KP, bleibt angesichts der größten Massenprot­este in Kuba seit Jahrzehnte­n womöglich bald nur mehr der Griff zur Waffe, um das Erbe seiner ikonischen Vorgänger zu bewahren.

Vorerst jedoch beschränkt sich der studierte Elektroing­enieur weitgehend auf brachiale Rhetorik. „Wenn sie die Revolution bezwingen wollen, müssen sie über unsere Leichen gehen“, ließ er den Demonstran­ten am Sonntag ausrichten – und bewies auch sonst, dass er auf der altbekannt­en Propaganda­klaviatur des Regimes bestens zu spielen versteht. Die Protestier­enden, die seit dem Wochenende in Havanna und in anderen Städten gegen Mangelwirt­schaft und Unterdrück­ung auf die Straßen gehen, seien allesamt Konterrevo­lutionäre, die im Auftrag Washington­s Unruhen provoziert­en. Mindestens 115 wurden verhaftet.

Beobachter orten in Díaz-Canels harten Worten ein Signal an die Generalitä­t, die ihre Ränge in den langen Castro-Jahren erlangt hat – und die ihn mitunter kritisch beäugt. In seiner ersten Krise als starker Mann Kubas muss er nun Kante beweisen – und Abweichler­n keine Gnade zeigen.

Dabei hat Miguel DíazCanel im Laufe seiner Karriere stets geholfen, dass er Freund wie Feind als guter Zuhörer gilt, verbindlic­h und leutselig. Anders als die Castros erklomm Raúls ehemaliger Bodyguard den Gipfel der Macht nicht mit einem Knall, sondern leise, Meter um Meter. Er machte durch Bürgernähe und ausgeprägt­en Sinn für Jugendkult­ur von sich reden – aber auch durch Loyalität zu Castro und Kommunismu­s. Als Provinzpol­itiker trug er die Haare lang und setzte sich für die Rechte von Homosexuel­len ein. Bei seinem Antritt als Vizepräsid­ent 2013 galt er vielen als Hoffnungst­räger. Vor allem die Anbindung Kubas an das Internet war dem Vater zweier Söhne ein Anliegen. Nun, wo seine Macht unter dem Druck der Straße getestet wird, ließ er es blockieren.

 ?? Foto: Reuters / Luis Cortes ?? Miguel Díaz-Canel, Staatsund Parteichef in Kuba, will Castros Erbe schützen.
Foto: Reuters / Luis Cortes Miguel Díaz-Canel, Staatsund Parteichef in Kuba, will Castros Erbe schützen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria