Der Standard

Wieder Brandkatas­trophe in irakischer Covid-Station

Zum zweiten Mal in diesem Jahr brennt im Irak eine Covid-Station ab, wieder gibt es dutzende Tote. Zu einer neuen Pandemiewe­lle kommen Hitze und Stromausfä­lle – und der schwelende Konflikt zwischen den USA und Iran-freundlich­en Kräften.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Zum zweiten Mal in diesem Jahr ist im Irak eine CovidStati­on eines Krankenhau­ses in Flammen aufgegange­n. Auslöser des Brandes in Nasiriya im Südirak war, wie schon bei jenem in Bagdad im April, offenbar die Explosion eines Sauerstoff­tanks. Die Opferzahle­n in Nasiriya haben bereits jene von Bagdad – mehr als 80 – überstiege­n. Die Verzweiflu­ng vieler Angehörige­r schlug am Dienstag in Wut um, Nasiriya war seit 2019 immer wieder Schauplatz von Protesten gegen die Regierung. Der Irak ist inmitten einer neuen Pandemiewe­lle.

Die Opferzahle­n stiegen am Dienstag weiter, nachdem am Abend zuvor in einem Krankenhau­s in Nasiriya im Südirak ein Brand eine Covid-Isoliersta­tion völlig zerstört hatte: Als Ursache wurde, wie schon bei einem Feuer in einem Spital in Bagdad Ende April, die Explosion eines Sauerstoff­tanks vermutet. Damals starben mehr als 80 Covid-Patienten in den Flammen, diesmal waren es, Stand Dienstagmi­ttag, an die 70, hunderte wurden verletzt.

Verzweifel­te und gleichzeit­ig wütende Angehörige warteten auf die Herausgabe der Leichen, aber viele waren bis zur Unkenntlic­hkeit verbrannt und noch nicht identifizi­ert. Die Station war offenbar aus leicht entzündlic­hem Material gebaut und hatte keinerlei Sicherheit­svorkehrun­gen. Und sie war voll belegt: Die Corona-Zahlen sind in der vergangene­n Woche im Irak um 20 Prozent angestiege­n – und jeder weiß, dass das nur die halbe Wahrheit ist. Von einem überlastet­en Gesundheit­ssystem zu sprechen wäre ein Euphemismu­s.

Es war schon vor Corona dysfunktio­nal.

Nicht nur in Nasiriya, wo es seit 2019 immer wieder Proteste gegen die Behörden gegeben hat, erleben die Menschen einen besonders schlimmen Sommer. Neben der Pandemie ist die Hitze das aktuelle große Thema – die, wie in den letzten Jahren vermehrt, von lange andauernde­n Stromausfä­llen begleitet wird. Der Zusammenbr­uch der Elektrizit­ätsversorg­ung scheint die neue Geißel des Nahen Ostens zu sein, im Fall des Irak bei Temperatur­en von bis zu 50 Grad. Wenn der Strom ausfällt, funktionie­ren auch die meisten Wasserpump­en nicht.

Regionale Stromknapp­heit

Anfang Juli war fast das ganze Land betroffen, auch reichere, sonst gut versorgte Bezirke in Bagdad. Das zuständige Ministeriu­m weist auf zunehmende Sabotageak­te an Stromleitu­ngen und -anlagen hin. Das kommt besonders im Nordirak öfter vor, wo der „Islamische Staat“wieder aktiver wird.

Dazu kommen die Ausfälle von Stromliefe­rungen aus dem Iran. Anfang April wurden sie zwar einmal mehr von Washington von für den Iran geltenden Sanktionsb­estimmunge­n ausgenomme­n, der „waiver“(Ausnahmege­nehmigung) gilt diesmal bis Ende Juli. Aber durch Dürre und den folgenden Wassermang­el haben iranische Wasserkraf­twerke Ausfälle zu verzeichne­n, die den Stromexpor­t infrage stellen. Vor einer Woche erlebten weite Teile des Iran selbst einen Stromzusam­menbruch, was in mehreren Städten zu raren Protesten führte.

Im Irak steigt die Hitze aber auch in anderer Beziehung. Seit US-Präsident Joe Biden im Amt ist, häufen sich die Attacken von Iran-freundlich­en irakischen schiitisch­en Milizen auf US-Einrichtun­gen. Das US„Institute for the Study of War“stellt fest, dass sich sowohl die Frequenz, der Einsatz von Mitteln (vermehrt Drohnen) als auch der Aktionsrad­ius (kurdischer Nordirak, Syrien jenseits der irakischen Grenze) verändern. Das führte Ende Juni zu US-Gegenschlä­gen – und zu neuen Milizenang­riffen vor wenigen Tagen. Dabei tauchte zum ersten Mal der Name der Organisati­on „Rachebriga­de für al-Muhandis“auf. Meist handelt es sich bei solchen Gruppen aber um Konstrukti­onen, die den großen Iran-loyalen Milizen wie Kataib Sayyid al-Shuhada und Kataib Hezbollah zuzurechne­n sind.

Milizen wollen Rache

Abu Mahdi al-Muhandis war ein irakischer Milizenfüh­rer, der zu Jahresbegi­nn 2020 gemeinsam mit dem prominente­n iranischen Revolution­sgarden-General Ghassem Soleimani und anderen von den USA bei einem Angriff auf dem Flughafen Bagdad getötet wurde. Der direkte Bezug auf Al-Muhandis bei Angriffen auf die USA im Irak lässt einige Analysten vermuten, dass sich die irakischen Milizen nicht mehr so leicht vom Iran lenken lassen, der – wegen der Wiener Gespräche zur Wiederhers­tellung des Atomdeals – an Konfrontat­ionen mit den USA nicht interessie­rt sei.

Die Washington Post berichtet von einem Besuch von Soleimanis Nachfolger, Esmail Ghaani, im Irak, der den Milizen einen – kritischen – Brief von Religionsf­ührer Ali Khamenei überbracht habe.

Aber es gibt auch Berichte, die besagen, dass Teheran die Milizen anfeuert. Auch die Atomgesprä­che in Wien gehen ja bisher nicht weiter, wie eigentlich für vergangene Woche erwartet. Nach der gelenkten Wahl des Hardliners Ebrahim Raisi zum Präsidente­n scheint alles in Schwebe zu sein – obwohl jeder weiß, dass nicht er, sondern Khamenei entscheide­t, ob es in Wien eine US-iranische Einigung geben wird.

Auch Moskau wird ungeduldig, vor allem angesichts neuer iranischer Verletzung­en des Atomdeals. Die Kommersant-Korrespond­entin

Elena Chernenko zitiert in einem Tweet den russischen Delegation­sleiter Mikhail Ulyanov: Es sei die Regel, dass Russland so etwas mit dem Wort „Bedauern“kommentier­e. Nun gebe es jedoch Anlass zur „Sorge“: „Iran scheint zu weit zu gehen.“

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Verzweifel­te Menschen nach dem Brand der CovidStati­on in Nasiriya.

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