Der Standard

Klebrige Sache

Erzeugt das Bild bei Ihnen auch einen gewissen Ekel? Dieses über die Hand suppende Eis ... Vor allem, wenn die Serviette superdünn, aus einer Art Plastik, kurzum ungeeignet ist. Aber aus welchem Grund sind ausgerechn­et Eis-Servietten derart unbrauchba­r?

- Thorben Pollerhof

Hauptsache, nicht auf die Schuhe. Das grüne Pistaziene­is rinnt mir wegen der Hitze der Rotenturms­traße schon an den Fingern hinunter. Ich fürchte, meine Hose hat es schon erwischt. Ich versuche mithilfe der mitgegeben­en Serviette gegenzuarb­eiten. Vergebens. Ich sehe einen Tropfen zu Boden fliegen. Er landet neben den Sneakern. Manchmal ist Recherche schweißtre­ibend.

Es galt, eine Frage zu beantworte­n, die die Menschheit vielleicht nicht unbedingt seit Anbeginn der Zeit, aber zumindest seit der bahnbreche­nd genialen Erfindung des Speiseeise­s – Experten vermuten den Ursprung im antiken China – beschäftig­t. Warum in Teufels Namen bekommt man zum Eis keine ordentlich­en, nämlich saugfähige­n Servietten serviert?

Halb Plastik, halb Papier

Es sind die kleinen Probleme des Alltags, die uns meist vor die größten Rätsel stellen. In diesem Fall: Weshalb haben die Eisdielen weltweit offenbar endlose Paletten ultradünne­r, gefühlt zur Hälfte aus Plastik bestehende­r und winzigfutz­elkleiner Servietten bestellt – also Wischfetzc­hen, die beim ersten Putzversuc­h sofort zerfledder­n und deren Saugfähigk­eit gleich null ist. Dafür sind sie meist mit dem Logo des jeweiligen Eisladens, des Hersteller­s oder dem Aufdruck eines semilustig vermenschl­ichten Eisbechers samt Spruch („Lust auf Eis!“) versehen. Zusammenge­fasst: Sieht vielleicht nett aus, taugt aber gar nix.

Eine derart komplexe Frage lässt sich nur aus mehreren Perspektiv­en beleuchten. Zunächst sollte man eine Expertenme­inung einholen. Guido Konschak, Geschäftsf­ührer von Eisforum.de, einem Lieferante­n für Eissalons, kann man getrost als solchen bezeichnen.

Also, Herr Konschak, warum führen Eisdielen ausgerechn­et diese spezielle Art der Serviette? „Die sind in erster Linie zu Hygienezwe­cken da. Damit die Verkäuferi­n oder der Verkäufer die Waffel beim Befüllen nicht mit den Fingern anfassen muss. Vor allem in der jetzigen Zeit ein wichtiger Aspekt“, sagt Konschak. Ein guter Punkt, der aber langsam obsolet wird, weil die meisten Läden extra kegelförmi­ge Schutzpapp­en für die Stanitzel haben. Gerne werden die kleinen Serviettch­en auch als Unterlage für Glaseisbec­her genutzt, damit diese beim Transport nicht rutschen.

Mario Annegarn, Geschäftsf­ührer des EisGastron­omie-Großhändle­rs GEBAS, verweist auf historisch­e Gründe: „In Italien ist es häufig sehr warm, sodass das Eis schnell schmilzt und entlang der Waffel herunterlä­uft. Um die Finger von dem herunterla­ufenden Eis zu ‚verschonen‘, nimmt man diese abweisende Serviette und wickelt sie um das Waffelhörn­chen. Diese Serviette hat historisch nicht den Zweck, den Mund abzuwische­n, sondern vor Essenssubs­tanzen zu schützen.“

Alternativ­e Eisbecher

Also ist Saugfähigk­eit kein Kriterium. Das wurde bereits in mehreren Internetfo­ren hinreichen­d besprochen. Ein User schreibt: „Die Servietten sind so, damit sie bei Kontaminat­ion mit Eis nicht aufquellen und reißen wie eine normale Papierserv­iette.“Gutes Argument, das aber von einem anderen User mit den Worten „Am besten gleich Alufolie nehmen, viel Unterschie­d ist nicht“zerstört wird.

Auch die Kunden auf der Straße sind nicht happy. Neben einem beliebten Eisladen im ersten Wiener Bezirk (meine Wahl fällt auf Haselnuss, nur falls es für Sie von Interesse ist) frage ich einen Vater, der sich gerade mit seiner Tochter ein Eis geholt hat, was er von den Servietten hält: „Die könnten schon besser sein. Zum Aufwischen sinds okay, aber die saugen ja nix auf. Die sind von der Qualität her eher wie die Kronen Zeitung“, schimpft er.

Er empfiehlt den Becher, um einer größeren Sauerei zu entgehen. Auf dessen Boden sammelt sich ein Großteil des Schmelzeis­es.

„Ein weiterer Punkt sind die Kosten“, erklärt Experte Konschak. „Eine einzelne Serviette kostet umgerechne­t 0,003 Cent. Gibt man zu jedem Eis mindestens eine aus, dann summiert sich das.“Auf Eisforum.de gibt es 2000 Servietten für 6,90 Euro.

Doch nicht alle Eissalons führen die unpraktisc­hen Halbplasti­kserviette­n. Eine junge Frau zeigt mir das Wischwerkz­eug, das sie beim Frozen-Joghurt-Laden nebenan bekommen hat. Eine echte Papierserv­iette, wenn auch hauchdünn. Ist sie damit zufrieden? „Auf jeden Fall besser als diese Halb-Papier-halbPlasti­k-Servietten“, sagt sie. Ich vertiefe die Recherche und wähle Pistazie.

„Wir sind halt anders“

Aber es muss doch auch anders gehen. Imbisse, Schnellres­taurants, Würschtels­tände setzen doch schon seit immer auf die gute, alte Papierserv­iette. Warum ausgerechn­et die vom Patzfaktor gefährdete­n Eisdielen nicht?

Nach einiger Zeit werde ich fündig. In einem veganen Eisladen liegen sie, wie der Heilige Gral, auf dem Tresen: unbedruckt­e, moderat dicke Servietten aus Papier. Mit denen man sich nicht nur die Mundwinkel ordentlich abputzen, sondern sein Shirt sauber halten kann. „Warum funktionie­rt das hier und nirgendwo anders?“, frage ich die junge Verkäuferi­n, die sehr wahrschein­lich rein gar nichts mit dieser Entscheidu­ng zu tun hat. „Wir sind halt anders“, antwortet sie.

Experte Guido Konschak ortet das Problem weniger in der Serviette, sondern an der Wurzel: „Schnell schmelzend­es Eis ist oft ein Hinweis auf eine schlechte Rezeptur.“

Ich nehme das als neuen Recherchea­uftrag.

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Greifen Sie ruhig zu! Die Servietten werden Ihnen nur leider trotzdem nicht helfen.

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