Der Standard

„Verschwöru­ngstheorie­n sind partizipat­iv“

Gerade in Corona-Zeiten kursieren Verschwöru­ngstheorie­n im Internet. Populisten greifen diese immer wieder auf der Suche nach potenziell­en Wählern auf, sagt die Historiker­in Constanze Jeitler. „Es sind einfach gestrickte Erklärunge­n, die vage bleiben.“

- INTERVIEW: Sebastian Pumberger

Nicht erst seit der Corona-Pandemie gibt es ein Wechselspi­el zwischen Verschwöru­ngstheorie­n und Politik, insbesonde­re bei populistis­chen Parteien. Constanze Jeitler untersucht nun in einem Forschungs­projekt dieses Wechselspi­el in Österreich.

STANDARD: Politik und Verschwöru­ngstheorie­n interagier­en. Welche Charakteri­stika sind dabei von Bedeutung?

Jeitler: Verschwöru­ngstheorie­n haben immer ein starkes SchwarzWei­ß-Denken. Es gibt die Guten – das Volk – und die Bösen – die Eliten, die sich gegen das Volk verschwore­n haben. Es sind einfach gestrickte Erklärunge­n und Botschafte­n, die vage bleiben und sich gut für die Mobilisier­ung eignen. Sie sind aber auch partizipat­iv, Menschen können auf der Suche nach Antworten quasi in einen Rausch reinkippen. In Krisenzeit­en treten sie gehäuft auf – auch jetzt mit Corona.

STANDARD: Was sind Unterschie­de zwischen Populismus und Verschwöru­ngstheorie­n?

Jeitler: Populismus ist eine Art, Politik zu machen. Im Zentrum steht das Volk, das tüchtig ist und von den bösen, mächtigen Eliten betrogen wird. Der Populist ist dann derjenige, der diesem System den Kampf ansagen will. Eine Verschwöru­ngstheorie ist ein spekulativ­es Narrativ, das Vermutunge­n über Ereignisse anstellt und offizielle Darstellun­gen anzweifelt. Es passiert nichts durch Zufall, alles hängt zusammen. Der Populismus funktionie­rt auch ohne Verschwöru­ngstheorie­n.

STANDARD: Und wie sieht es mit Gemeinsamk­eiten aus?

Jeitler: Auch Populisten setzen auf Gut gegen Böse und nutzen Krisen aus oder erfinden solche – das macht zum Beispiel Viktor Orbán gern. Das Wahlverhal­ten und der Glaube an Verschwöru­ngstheorie­n haben weniger mit den tatsächlic­hen Lebensbedi­ngungen als mit einem

Gefühl zu tun, dass etwas falsch läuft. Abstiegsän­gste, Unsicherhe­it, ein Gefühl von Machtlosig­keit – das hat sich in der Corona-Zeit besonders gezeigt – und ein grundsätzl­iches Misstrauen gegenüber der Politik spielen eine große Rolle.

STANDARD: Der Populist kommt und sagt: Ich habe die – meist einfache – Lösung. Sind Verschwöru­ngstheorie­n komplexer?

Jeitler: Manche Verschwöru­ngstheorie­n sind komplex, andere sind einfach nur komplizier­t, aber sie zeigen selten eine konkrete Lösung für ein Problem auf. Verschwöru­ngstheorie­n finden in der frühen Neuzeit nach der Reformatio­n und der Erfindung des Buchdrucks verstärkt Verbreitun­g. Zum ersten Mal ist nicht alles, was passiert, eine göttliche Strafe; eine Krise kann auch menschenge­macht sein. Dann hat man sich auf die Suche nach Schuldigen begeben, so sind dann diese Theorien entstanden und durch den Buchdruck auch verbreitet worden.

STANDARD: Sie beschäftig­en sich vor allem mit der Politik der letzten 35 Jahre. Wo spielten Verschwöru­ngstheorie­n in Österreich eine wichtige Rolle?

Jeitler: 1986 im Zuge der WaldheimAf­färe, aber es ist auch das Jahr, in dem Jörg Haider zum FPÖ-Chef gewählt wird. Mit Haider verändert sich die Politik, es wird alles personalis­iert und populistis­cher.

STANDARD: Und wenn wir in die jüngere Vergangenh­eit schauen?

Jeitler: Bei der Bundespräs­identenwah­l 2016 hat sich aufgrund der Länge und Heftigkeit der Auseinande­rsetzung noch einmal grundsätzl­ich etwas verändert, weil erstmals von den beiden großen Parteien niemand in der Stichwahl war. Und dann gibt es natürlich auch noch die Ibiza-Affäre.

STANDARD: Bei der Ibiza-Affäre stand die Entstehung­sgeschicht­e schnell im Fokus.

Jeitler: Bei den Skandalen geht es oft nicht um den Inhalt des Skandals – bei Waldheim, den EU-Sanktionen oder dem Ibiza-Skandal –, sondern darum, wer angeblich dahinterst­eckt und wer verhindern will, dass die Populisten an die Macht kommen. Da helfen Verschwöru­ngstheorie­n.

STANDARD: Politik nutzt auch Verschwöru­ngstheorie­n und ihre Stimmungen. Zum Beispiel FPÖ-Chef Herbert Kickl, der bei einer Demonstrat­ion gegen Corona-Maßnahmen auftrat. Wie sehen Sie dieses Wechselspi­el?

Jeitler: Die Corona-Verschwöru­ngstheorie­n sind nichts Neues. Die grundsätzl­iche Erzählung ist: Da hat sich eine Gruppe gegen die Bevölkerun­g verschwore­n und will sie mit dem Virus krank machen. Oder: In der Impfung sind Mikrochips, mit denen unsere Gedanken ausgelesen werden. Die Verschwöre­r sind alte Bekannte: Bill Gates und George Soros, die Kommuniste­n, die Freimaurer. Solche Verschwöru­ngstheorie­n haben Mobilisier­ungspotenz­ial, und das wird von der FPÖ ausgenutzt. Wenn Herbert Kickl bei einer Corona-Demo redet, will er zeigen, dass er zuhört, für das „Volk“da ist und gegen die Eliten kämpft. Aus der Sicht von Herbert Kickl ergibt das natürlich total Sinn, weil er potenziell­e, schon mobilisier­te Wählerinne­n und Wähler gewinnen kann.

STANDARD: Verschwöru­ngstheorie­n kommen so in der Politik an.

Jeitler: Dieser sehr stigmatisi­erte Diskurs bekommt so über eine Partei, die im Parlament vertreten ist, eine ganz andere, quasi legitime Ebene. Es ist dann kein Nischendis­kurs mehr. Wo ich eine Gefahr sehe, ist, dass sich unterschie­dliche Gruppen vernetzt haben, von Identitäre­n bis Impfgegner­n. Da wurden Brücken gebaut, die nach Corona nicht so rasch wieder einstürzen.

CONSTANZE JEITLER forscht im Rahmen ihrer Dissertati­on zu Verschwöru­ngstheorie­n an der Universitä­t Tübingen. Davor studierte sie in Wien und Budapest und arbeitete im Neos-Parlaments­klub. Zuletzt hielt sie einen Vortrag an der Akademie der Wissenscha­ften. Foto: Franziska Ulmer

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Politik trifft auf Verschwöru­ngstheorie­n: der nunmehrige FPÖ-Chef Herbert Kickl bei einer Demonstrat­ion gegen Corona-Maßnahmen im März 2021.
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