Der Standard

Kein Herbst wie damals

Gerade noch im sorglosen Sommer, schon müssen die ersten Corona-Maßnahmen nachgeschä­rft werden. Auch wenn die Prognosen der Regierung für Herbst weiterhin nicht so düster sind: Die Koalition ist nervös.

- Sebastian Fellner, Katharina Mittelstae­dt

Es ist in Koalitions­kreisen ein Wort wie eine sanfte Drohung: Herbst. Man rechne keinesfall­s damit, dass er so heftig ausfallen könnte wie im vergangene­n Jahr, hört man aus der Regierung. Risikogrup­pen seien schließlic­h geimpft – also jene, die dann auch öfter ins Spital müssen und das System belasten. Oder wie es Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) formuliert: „Die Corona-Krise wird zu einem individuel­len Problem.“Dennoch ist ein gewisses politische­s Unwohlsein spürbar: Der ausgelasse­ne Sommer darf uns nicht noch einmal auf den Kopf fallen.

Im Gesundheit­sministeri­um versucht man zu beruhigen. Das Desaster von Oktober und November 2020 würde sich ziemlich sicher nicht wiederhole­n, das geben auch die Prognosen nicht her, dafür sei der Impffortsc­hritt bereits zu groß. Auch dass der reguläre Schulbetri­eb im Herbst auf der Kippe stünde, könne man nicht sagen – ein Nebensatz von Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) im

ZiB 2-Interview möge zwar so interpreti­ert werden, aber das dürfe man „nicht überbewert­en“, heißt es in seinem Ressort.

Normalität auch für den Herbst

Und dennoch hat es manche Grüne in der Regierung irritiert, dass der Kanzler auf seiner New-York-Reise die Pandemie quasi für beendet erklärt hatte. Irritiert, wenn auch nicht unbedingt überrascht: Kurz verkünde halt gerne gute Nachrichte­n, das kenne man ja. Der grüne Juniorpart­ner erinnert nun hingegen daran, dass man den nicht impfbaren Teil der Bevölkerun­g nicht vergessen dürfe: Kinder unter zwölf Jahren vor allem, aber auch kranke Menschen, die aus medizinisc­hen Gründen nicht geimpft werden dürfen. Da grenze es doch an Zynismus, an die Eigenveran­twortung zu appelliere­n, sagen Grüne.

Dass jetzt gehandelt werden muss, darüber ist die Koalition aber einig. Denn die Intensivst­ationen sollen nicht noch einmal an ihre Kapazitäts­grenzen

stoßen, das möchte niemand. Vielmehr sehen sich die Grünen in der Pflicht, das Verspreche­n der Rückkehr zur Normalität auch für den Herbst zu erfüllen: „Jetzt geht es darum, an kleinen Schräubche­n zu drehen, mit einer großen Wirkung in Richtung Normalität“, heißt es im Gesundheit­sressort.

Am Donnerstag tagte die Corona-HerbstTask­force zum zweiten Mal. Sie ist besetzt mit Mitarbeite­rn des Kanzlers, Vizekanzle­rs, mit Leuten aus den geforderte­n Ministerie­n und aus den Bundesländ­ern – im Fall kommen die Ressortche­fs und -chefinnen selbst. Die Taskforce soll den Sommer begleiten und den Herbst vorbereite­n, dass sie so schnell tätig werden muss, war nicht geplant. Doch die Zahlen steigen, schon jetzt. Donnerstag, spätabends, wurden Verschärfu­ngen verkündet, die vor allem junge Leute treffen: Den grünen Pass bekommt man ab 15. August erst nach dem Zweitstich. Und schon Mitte kommender Woche darf man in die Disco nur noch mit PCRTest oder geimpft. Aus Regierungs­kreisen hört man: Natürlich sei der erhoffte Effekt, dass die Impfung dadurch verstärkt zum Anreiz wird – und dass auch beide Termine wahrgenomm­en werden.

Für die ÖVP hat die Maßnahmen Tourismusm­inisterin Elisabeth Köstinger mitgetrage­n. Sie hat die

Wiener Landesregi­erung Anfang Juli noch dafür kritisiert, strengere Regeln beizubehal­ten: „Es gibt keinen plausiblen Grund für diese Verschärfu­ngen“, hatte sie erklärt – mit Verweis auf die damals sehr niedrige Inzidenz. Heute heißt es aus ihrem Büro: „Wir haben immer gesagt, dass Maßnahmen gesetzt werden, wenn die Situation es erfordert. Das ist nun der Fall.“

All seine Forderunge­n hat das Gesundheit­sministeri­um beim Koalitions­partner allerdings nicht durchgebra­cht: Eigentlich wollte Mückstein auch strengere Kontrollen der Drei-G-Regel an den Staatsgren­zen, in Lokalen und im Schwimmbad. Auch eine PCR-TestPflich­t bei der Einreise aus einem Risikogebi­et konnten die Grünen nicht erwirken – aktuell reicht hier ein negativer Antigentes­t.

„Man kann am Tag zehn Schnitzel essen oder mit 140 Kilo auf die Felswand klettern, ohne dass der Staat unten steht und das Seil sichert.“Kanzler Sebastian Kurz über Eigenveran­twortung

Grüne Überzeugun­gsarbeit

Rückblicke­nd gibt sich das Gesundheit­sministeri­um verständni­svoll: Strengere Bestimmung­en zögen einen Rattenschw­anz für Reisende nach sich, man wolle keinen „Vergeltung­smechanism­us“in anderen Ländern auslösen. Für weitere Maßnahmen müsse man bei der ÖVP eben noch Überzeugun­gsarbeit leisten.

Die gesetzten Schritte seien jedoch bereits sehr hilfreich, sind die Grünen überzeugt. Und zwar weniger die Verschärfu­ngen für Discos und Klubs – die hätten eher Symbolchar­akter – als vielmehr die Beibehaltu­ng der Registrier­ungspflich­t in Lokalen. Denn aus Sicht des Gesundheit­sministeri­ums ist das die Grundlage für ein erfolgreic­hes Contact-Tracing. Und das soll es wiederum ermögliche­n, ein Verspreche­n an die Jungen zu halten: „Jetzt ist eure Zeit“, hatte Mückstein im Juni angekündig­t. Das soll auch so bleiben.

Mit der Lösung jetzt seien „alle zufrieden“, hört man aus der ÖVP. Weitere Schritte könnten freilich nicht ausgeschlo­ssen werden. Es ist halt Pandemie, ja, immer noch. Aus Regierungs­kreisen hört man auch: Sollten sich im Herbst die Intensivst­ationen wieder füllen, wird über eine Impfpflich­t für gewisse Berufsgrup­pen erneut diskutiert werden müssen.

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Foto: APA / Roland Schlager Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein dreht lieber an „kleinen Schräubche­n“, als im Herbst die Notbremse zu ziehen.

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