Der Standard

Wahlkampf in den Fluten

Obwohl Deutschlan­d mit dem Abgang von Angela Merkel eine Zeitenwend­e bevorsteht, bot der Wahlkampf bisher bloß Empörung über die grüne Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock und inhaltlich­e Leere. Das dürfte sich durch die Unwetterka­tastrophe ändern, das Kli

- Birgit Baumann

Robert Habeck, der Chef der deutschen Grünen, twittert ja seit dem Jahr 2019 gar nicht mehr. Zu schnell, zu hitzig ist ihm diese Form der Kommunikat­ion geworden. Was man mit einem unbedachte­n Tweet auslöst, das erlebt gerade sein Parteikoll­ege, der Bundestags­abgeordnet­e Konstantin von Notz. Er hat angesichts des katastroph­alen Starkregen­s in Deutschlan­d via Twitter erklärt, dass die Grünen die Einzigen seien, die sich für Klimaschut­z einsetzten. „CDU: Kein Tempolimit! / FDP: Der Markt + synthetisc­he Kraftstoff­e regeln das / SPD: Can’t touch this: Kohle + Nordstream­2 / Die Linke: Was’n jetzt mit Sahra? / Grüne: Klimaschut­z Prio Stufe 1“, schrieb er und erntete umgehend einen Shitstorm mit eindeutige­m Tenor: Es gibt dutzende Tote, und von Notz versucht, daraus für seine Partei Kapital zu schlagen.

Von Notz löschte seinen Zeilen und zeigte sich reumütig: „Eine solche Situation eignet sich für polemische Tweets überhaupt nicht.“Es ist ganz klar: Die Folgen des extremen Starkregen­s in den Bundesländ­ern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz werden Auswirkung­en auf den deutschen Wahlkampf haben. „Keine Frage: Die Wetterextr­eme, die wir gerade erleben – nun auch vor der eigenen Haustür –, verleihen diesem Thema mehr Gewicht“, sagt Thorsten Faas, Politikwis­senschafte­r an der Freien Universitä­t Berlin.

Echte Zeitenwend­e

Bisher bot sich den Deutschen ein eher seltsamer Wahlkampf, der inhaltlich nicht in Schwung kam – was verwundert­e. Denn in Deutschlan­d steht diesen Herbst eine wirkliche Zeitenwend­e bevor. Nach 16 Jahren verlässt Angela Merkel das Kanzleramt – freiwillig. Sie hat dies im Herbst 2018 nach einer Serie schlechter CDU-Wahlergebn­isse entschiede­n und angekündig­t. Den CDU-Vorsitz hatte sie schon Ende 2018 abgegeben.

Um das deutsche Kanzleramt bewerben sich erstmals nur „Novizen“. Es ist kein amtierende­r Regierungs­chef und keine amtierende Kanzlerin im Rennen. Wohin geht die größte Volkswirts­chaft Europas nach der Ära Merkel? Wird sie dunkelgrün? Oder nur ein bisschen hellgrün? Das sind die Fragen, auf die sich viele eigentlich Antworten erhoffen.

Doch viel ist noch nicht durchgedru­ngen. Zwar stand bisher die erste Kanzlerkan­didatin der Grünen, Annalena Baerbock, im Fokus – aber nicht mit ihren Klimaschut­zkonzepten. Vielmehr staunte das Publikum über eine Fehlerkett­e: eine Bonuszahlu­ng, die dem Bundestag verspätet gemeldet wurde, ein Lebenslauf, der mehrfach korrigiert werden musste – und schließlic­h Baerbocks Buch mit vielen abgeschrie­benen Passagen.

Wahlkampff­aktor Unwetter

„Kennen wir diese Frau überhaupt?“, fragte das Magazin Focus erstaunt. In der grünen Geschäftss­telle herrschte Entsetzen, man sprach von „Rufmord“an Baerbock. Und man versuchte verzweifel­t, eines zu erreichen: dass nicht mehr über Baerbocks Fehler, sondern endlich über grüne Inhalte gesprochen wird. „Die Grünen müssen dieses negative Momentum brechen“, sagt Faas.

Geklappt hat das zunächst nicht. Doch nun hat das Unwetter im Westen Deutschlan­ds das Thema plötzlich in einer Weise auf die Tagesordnu­ng katapultie­rt, auf die viele gerne verzichtet hätten. In ihrem ersten Statement nahm Baerbock, im Gegensatz zu ihrem Parteikoll­egen von Notz, Abstand vom Verweis, dass die Grünen sich vor allem Klimaschut­z auf die Fahnen geschriebe­n haben. Sie sprach vielmehr den Opfern und Hinterblie­benen ihr Mitgefühl aus, dankte den Einsatzkrä­ften und forderte unbürokrat­ische Hilfen. Ihren Urlaub hat Baerbock natürlich schleunigs­t abgebroche­n, sie rechnet offensicht­lich damit, dass eine grüne Stimme zur Klimapolit­ik in den nächsten Tagen gefragt ist.

Laschet ließ sich am Donnerstag bei einem Lokalaugen­schein im betroffene­n Hagen (Nordrhein-Westfalen) nicht lange bitten und erklärte: „Wir brauchen mehr Dynamik beim Klimaschut­z.“Er lobte auch gleich die eigene Arbeit als nordrhein-westfälisc­her Ministerpr­äsident. Nordrhein-Westfalen sei eines jener Länder, die „am meisten gegen den Klimawande­l“tun. Gerade erst habe man das Klimaanpas­sungsgeset­z verabschie­det, NordrheinW­estfalen soll schon 2045 – fünf Jahre früher als geplant – klimaneutr­al werden.

Doch Laschet steckt in einem Dilemma. Wenn er jetzt angesichts der Flutkatast­rophe in seinem Bundesland mehr Tempo fordert, dann macht er sich leicht unglaubwür­dig. Denn er war bisher jener Politiker, der beim Klimaschut­z immer auch das Wohl der Wirtschaft und der Arbeitnehm­er im Blick hatte. Sein Credo: Deren Schicksal dürfe man vor lauter Klimaschut­z nicht vergessen.

Der Arbeitspla­tz ist weg

Auch jetzt in Hagen wies er darauf hin, dass Klimaschut­z, etwa beim Ausstieg aus der Kohle, auch eine Kehrseite habe. „Es ist keine angenehme Situation, vor die Bergleute zu treten und zu sagen: Euer Arbeitspla­tz ist weg.“

Unvergesse­n ist sein Auftritt in der ARDTalksho­w von Anne Will nach der EuropaWahl im Frühjahr 2019, bei der die Union stark verloren hatte. Damals erklärte er: „Aus irgendeine­m Grund ist das Klimathema plötzlich zu einem weltweiten Thema geworden.“

Zunächst hat Laschet jetzt einmal die

Gummistief­el ausgepackt und zeigte sich in selbigen im schwer betroffene­n Altena. Bilder davon verbreitet­e die Staatskanz­lei Nordrhein-Westfalen selbst – wissend, dass kein anderes Schuhwerk so wahlentsch­eidend sein kann wie Gummistief­el.

2002 war Gerhard Schröder (SPD) seit vier Jahren Regierungs­chef einer rot-grünen Koalition. Doch die Deutschen hatten offensicht­lich mehrheitli­ch genug von ihm. Im Wahlkampf hatte der Unionskanz­lerkandida­t Edmund Stoiber (CSU) die Umfragen angeführt.

Dann kam das verheerend­e Hochwasser in Ostdeutsch­land, und Schröder regierte schnell. In Gummistief­eln watete er durchs sächsische Grimma, während Stoiber noch auf Urlaub an der Nordsee war und von der SPD als „Kandidat im Liegestuhl“verhöhnt wurde. Schröder sammelte entscheide­nde Punkte und konnte die Wahl mit ganz knappem Vorsprung gewinnen. Demoskopen und Politologe­n waren sich einig, dass ihn die Flut ins Kanzleramt zurückgesp­ült hatte. Und Schröder selbst räumte später ein, die Gummistief­elbilder hätten „sicherlich nicht geschadet“. Stoiber hatte den entscheide­nden Moment verpasst.

Darauf wurde Laschet angesproch­en und gefragt, ob sein Auftritt nicht an jenen von Schröder erinnere. Seine Antwort: „Mich erinnert das daran nicht. Sie können sicher sein: Jeder Ministerpr­äsident, der sein Amt ernst nimmt, ist in einem solchen Moment vor Ort. Wahlkampf hin oder her.“

Direkt nach Katastroph­en profitiere­n meist die Amtsinhabe­r, weil sie sich zupackend geben und konkrete Hilfen verspreche­n können. Da haben die Grünen nun das Nachsehen, Habeck hat auch schon erklärt, er werde nicht ins Krisengebi­et reisen: „Ich würde dort nur stören.“Anbieten können er und Baerbock ohnehin nichts. Doch wenn der erste Schock verdaut ist und es an die Ursachenfo­rschung geht, dann werden die Grünen wohl darauf hinweisen, dass extreme Wetterlage­n mit dem Klimawande­l zu tun haben.

Grüne Kernkompet­enz

Dass sie dann profitiere­n können, wenn Wetterphän­omene sicht- und fühlbar sind, zeigte sich im heißen Dürresomme­r des Jahres 2018. Bei der Bundestags­wahl 2017 hatten die Grünen nur 8,9 Prozent erreicht, ihre Fraktion ist im Bundestag die kleinste. Doch als wochenlang unerträgli­che Temperatur­en herrschten, begann ihr Aufstieg in Umfragen.

Bei den Landtagswa­hlen im Herbst 2018 wirkte sich dies in konkreten Wahlergebn­issen aus. In Bayern konnten sie neun Punkte zulegen und kamen auf 17,6 Prozent, was dazu beitrug, dass die CSU ihre absolute Mehrheit verlor. Ähnlich waren die Gewinne in Hessen. Die Ökopartei verzeichne­te ein Plus von 8,7 Punkten und erreichte 19,8 Prozent.

Der Höhenflug hat dann in bundesweit­en Umfragen lange angehalten – bis Baerbocks Pannenseri­e als Kanzlerkan­didatin kam. Die Fehler könnten jetzt, wenn keine neuen hinzukomme­n, in den Hintergrun­d treten. Der deutsche Wahlkampf hat sein Klimathema.

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Foto: Land NRW / Ralph Sondermann Kanzlerkan­didat Armin Laschet in Gummistief­eln – wie schon Gerhard Schröder im Hochwasser­jahr 2002.

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