Der Standard

Ausgrabung­en aus den Tiefen der Republik

Die ÖVP will im Ibiza-U-Ausschuss nur alte Hüte gefunden haben, dafür „Skandalisi­erung“und „Unterstell­ung“. Aber kam wirklich nichts raus? Mitnichten. Der penibel geplante Weg der Türkisen an die Macht, diskrete Privatisie­rungsvorha­ben, Details zur Öbag-C

- Renate Graber

Die letzte Befragungs­runde war schnell zu Ende, denn sie konnte gar nicht beginnen. Für Donnerstag hatte der Ibiza-U-Ausschuss einen Ersatztag für letzte Aussagen reserviert – doch niemand kam. An diesem 56. Sitzungsta­g sollte eigentlich der frühere Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache (FPÖ) den Kreis schließen und ein zweites Mal aussagen. Das erste Mal hatte er es am 4. Juni 2020 getan, an diesem Tag gingen im Ersatzquar­tier des Parlaments in der Hofburg die Befragunge­n los.

Der durch Straches Auftritt im IbizaVideo ausgelöste „Untersuchu­ngsausschu­ss betreffend mutmaßlich­e Käuflichke­it der türkis-blauen Regierung“soll die politische Verantwort­ung für Ereignisse zwischen Ende 2017 und Ende 2019 klären. Die Themen, wie Postenscha­cher in staatsnahe­n Betrieben, Glücksspie­l oder vermuteter Gesetzeska­uf, würden wohl vor allem in Richtung der Freiheitli­chen gehen, so die landläufig­en Erwartunge­n. Immer mehr kamen aber die Türkisen in die Ziehung.

Chats und Aussagen

Das lässt sich auch an den Erkenntnis­sen ablesen, die die Mandatare in den stundenlan­gen, oft heftigen und wenig freundlich­en Befragunge­n ausgegrabe­n haben. Was ihnen dabei in die Hände spielte: die Chats vor allem aus dem Handy von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid mit seinen Freunden wie Kanzler Sebastian Kurz oder Finanzmini­ster Gernot Blümel (beide ÖVP), die von der Justiz an den U-Ausschuss geliefert wurden. Auch die Unterhaltu­ngen von hohen Beamten der Justiz – etwa vom inzwischen suspendier­ten Sektionsch­ef Christian Pilnacek und dem Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft (OStA) Wien, Johann Fuchs, sowie Ex-Justizmini­ster und Ex-Verfassung­srichter Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) – boten völlig neue Einblicke in die österreich­ische Justiz.

Offenbart wurde im U-Ausschuss, wie Kurz & Co es angelegt hatten, die alte schwarze ÖVP unter Reinhold Mitterlehn­er auszubrems­en und unter dem neuen türkisen Obmann Kurz im Herbst 2017 in Wahlen zu gehen. Vorbereite­t wurde das minutiös im „Projekt Ballhauspl­atz“, wie bei den Befragunge­n herausgesc­hürft wurde. Da wurden Spender für Partei und Wahlkampf identifizi­ert, Veranstalt­ungen für Unterstütz­er organisier­t und Kandidaten für Schlüsselp­ositionen aufgeliste­t. Wobei: Die ÖVP bestätigte die Echtheit der „Ballhauspl­atz“-Papiere nie.

Als Türkis-Blau dann im Amt war, wurden abseits des Lichts der Öffentlich­keit auch diverse Privatisie­rungsvorha­ben angegangen, wie man nun aus dem U-Ausschuss weiß. Das Projekt Edelstein etwa aus dem Finanzmini­sterium: Offenbar war geplant, das Bundesrech­enzentrum

an die teilstaatl­iche Post zu verkaufen. Gutachten wurden bestellt, Gesetzesän­derungen vorbereite­t, und all das soll an der FPÖ vorbeigesp­ielt worden sein. Pläne, die auch noch unter Kurzzeit-Finanzmini­ster Eduard Müller (davor Sektionsch­ef im Ministeriu­m) betrieben worden sein dürften. Privatisie­rungsideen gab es zudem für die Are, eine für gehobene Immo-Projekte zuständige Tochter der staatliche­n Bundesimmo­biliengese­llschaft (BIG).

Fast-Aufsichtsr­eform

Stichwort Müller: Er ist inzwischen im Vorstand der Finanzmark­taufsichts­behörde (FMA). Dass die zwischen FMA und Notenbank aufgeteilt­e Aufsicht reformiert werden sollte, das wusste man zwar, aus dem U-Ausschuss erschlosse­n sich freilich überrasche­nde Details. So wurde klar, wie sehr FMA-Vorstandsm­itglied Klaus Kumpfmülle­r (ÖVP) in die Reformplän­e des Finanzmini­steriums eingeweiht war und dass wenige Auserwählt­e bereits im Herbst 2018 wussten, dass ein Alleinvors­tand installier­t werden sollte. Der Rest der Welt erfuhr das erst aus dem Gesetzesen­twurf im Frühling 2019: Wäre der umgesetzt worden, wäre FMA-Vorstand Helmut Ettl (SPÖ) per Gesetz abmontiert worden.

Die für die Republik wahrschein­lich bedeutsams­ten Einblicke erhellten sich jedoch aus Unterlagen und Aussagen über die Zustände in der Justiz. Der Streit von Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) mit ihren Vorgesetzt­en aus der OStA Wien und mit Sektionsch­ef Pilnacek war bereits bekannt – die Schilderun­gen der WKStA-Chefin und der in der Causa Casinos/Ibiza ermittelnd­en Staatsanwä­lte zeichneten aber ein drastische­s Bild.

„Störfeuer“in der Justiz

Am deutlichst­en formuliert­e das Christina Jilek, die ihren Job bei der WKStA hingeschmi­ssen hat, nun als Richterin arbeitet und das Volksbegeh­ren „Unabhängig­e Justiz sichern“mitinitiie­rte. Sie berichtete von politische­n Interventi­onen und Störfeuern, die meist über die OStA Wien kämen und die Ermittlung­en behinderte­n. Dazu kam dann noch die Aussage von OStAWien-Leiter Fuchs: Er schilderte, er habe Infos zu einzelnen Causen an Pilnacek weitergele­itet, allerdings war der dafür nicht mehr zuständig. Das und Chats trugen beiden Ermittlung­en ein, es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Besonders viele neue Details gab es zum Kernthema Postenbese­tzungen. Dank der regen Handynutzu­ng Schmids weiß die Öffentlich­keit nun, wie stark er bei der Besetzung des Öbag-Chefposten­s (den er selbst angestrebt hatte, bekam und letztlich aufgab) und des Aufsichtsr­ats die Fäden zog. Schmids Dankeswort­e wurden fast berühmter als er selbst: „Ich liebe meinen Kanzler.“

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