Der Standard

Was wird nun aus Andreas Hanger?

Als Fraktionsf­ührer der ÖVP stieg Andreas Hanger im U-Ausschuss vom Hinterbänk­ler zum obersten Verteidige­r der Türkisen auf. Er provoziert­e, polemisier­te und polterte. War es das jetzt für ihn?

- Lara Hagen, Katharina Mittelstae­dt

Für viele Menschen ist es nur eine Floskel: Angriff ist die beste Verteidigu­ng. Für Andreas Hanger ist es das Motto seiner politische­n Karriere – zumindest seit März und bis jetzt. Denn seit der ÖVP-Hinterbänk­ler zum Fraktionsf­ührer im Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss wurde, ist er quasi permanent im Angriffsmo­dus: Staatsanwä­lte, Politikeri­nnen, auch Journalist­innen und Journalist­en waren sein Ziel. Seine Message war immer unmissvers­tändlich: Der IbizaUnter­suchungsau­sschuss ist eine Verschwend­ung von Steuergeld. Oder viel mehr noch: Er sei eine einzige „Kurz-muss-weg-Kampagne“.

Hanger, der 53-jährige Niederöste­rreicher mit Igelfrisur, großer Gestik und leicht rotem Kopf, hat vom U-Ausschuss selbst aber auch profitiert, wenn man so will: Er wurde über Nacht bekannt, zu einem der lautesten Kommentato­ren der Volksparte­i, die ja eigentlich auch den Kanzler und zehn Ministerin­nen und Minister stellt. Er ist in eine Rolle gerutscht, die früher meist der ÖVP-Generalsek­retär ausgefüllt hatte – wurde zum Kettenhund der Türkisen. Der U-Ausschuss ist vorbei. Blüht ihm nun die große Politkarri­ere?

Zum Fraktionsf­ührer im U-Ausschuss wurde er eigentlich durch eine Reihe an Zufällen. Ursprüngli­ch hatte Wolfgang Gerstl den Vorsitz über, der erlitt allerdings einen Skiunfall und laborierte lange an den Folgen. Fast zeitgleich fiel die türkise Vize-Generalsek­retärin Gaby Schwarz kurzfristi­g aus. Und der Druck auf die ÖVP stieg: Chats, Ermittlung­en, die Opposition, auch die Grünen, die plötzlich mehr Stoff gaben. In der türkisen Bundespart­ei fasste man den Beschluss: Man braucht jemanden, der aus vollen Rohren zurückschi­eßt. Es sei dann Klubobmann August Wöginger gewesen, der auf ihn zukam für den Job, sagt Hanger. Ein wichtiger Fürspreche­r dürfte aber auch Wolfgang Sobotka gewesen sein. Er ist seit Jahren ein Mentor für Hanger. Und plötzlich war er der Mann der Stunde.

Eine Lücke in der ÖVP

Dass es dazu kam, liegt auch an einer Neukonstru­ktion im türkisen Gefüge, als Axel Melchior Anfang 2020 zum Generalsek­retär wurde. Anders als seine Vorgänger – wie etwa Karl Nehammer oder Werner Amon – scheut Melchior die große Bühne. Er sieht sich als Manager nach innen, ist auch Teil des engsten Kreises rund um Sebastian Kurz, aber Medien? Nur wenn es unbedingt sein muss. In der ÖVP dachte man sich zu Beginn von Türkis-Grün: Einen polternden Generalsek­retär brauchen wir ohnehin nicht mehr, schließlic­h stellen wir den Großteil der Regierung, Stimmen nach außen haben wir genug. Das war, bevor der U-Ausschuss seine Arbeit aufnahm.

Hanger fand seine neue Rolle schnell. Natürlich sei ihm klar gewesen, dass er durch die beschlagna­hmten Handys und dadurch veröffentl­ichte Chats viel zu tun haben werde – und auch, dass ein offensiver­es Auftreten gewünscht war. Und so provoziert­e, polemisier­te und polterte Hanger drauflos.

Vor allem mit den Neos legte er sich oft an, das Verhältnis zu den Pinken sei „schwierig“, was auf Gegenseiti­gkeit beruht: Helmut Brandstätt­er bezeichnet­e Hanger als „halbschizo­phren“, wofür er sich später entschuldi­gte. Einige Wochen später wurde er vom ehemaligen Kurier-Chef und heutigen Neos-Mann als „gschissene­s Arschloch“beschimpft. Über die pinke Fraktionsf­ührerin Stefanie Krisper und SPÖ-Fraktionsf­ührer Kai Jan Krainer wollte Hanger ein Dossier mit aus ÖVP-Sicht besonders kritikwürd­igen Aussagen zusammenst­ellen – und schickte es versehentl­ich ausgerechn­et an Krisper selbst. Weil Aktenverme­rke der Staatsanwa­ltschaft in den Medien landeten, fühlte er sich an „autoritäre Regime“erinnert, einen Vergleich mit der Stasi hielt er in dem Zusammenha­ng für „nicht weit hergeholt“.

Aussagen wie diese fielen auf den fast wöchentlic­h stattfinde­nden Pressekonf­erenzen Hangers. Dabei kam sein Angriffsmo­dus nicht wirklich gut an: Bestenfall­s erntete er Kritik oder Unverständ­nis, manchmal Beleidigun­gen oder gar Drohungen gegen seine Familie.

In die Politik kam Hanger nach eigenen Angaben ausgerechn­et wegen eines Spielplatz­es – beziehungs­weise: weil es in seiner Heimatgeme­inde Ybbsitz eben keinen gab. Nach erfolglose­n Gesprächen mit Lokalpolit­ikern habe er als Jugendlich­er mit Freunden kurzerhand selbst einen gebaut und dabei gemerkt, dass er die Gemeinde mitgestalt­en kann. Das klingt zunächst nicht nach dem Hanger, den man kennt. Auf den zweiten Blick erklärt diese Geschichte den Mostviertl­er Politiker ganz gut: Er wollte einfach schon immer seinen Kopf durchsetze­n.

Fehlender Rückhalt

Das sagen auch jene, die ihn bereits seit Jahrzehnte­n und vor seinem Wechsel in die Bundespoli­tik kennen – aktuelle und frühere Mitglieder des Ybbsitzer Gemeindera­tes. Hangers Einstellun­g müsse gar nicht verwundern, hört man dort, denn im Mostvierte­l würden viele nach dem Motto aufwachsen: „Was die ÖVP sagt, geschieht.“In Ybbsitz stellt die ÖVP aktuell 16 von 23 Gemeinderä­ten. Alle drei Opposition­sparteien zusammen haben nicht einmal halb so viele Mandate.

Als „aggressiv“will man Hanger in Ybbsitz aber trotzdem nicht beschreibe­n. „Forsch, das ist ein besseres Wort“, sagt ein Ybbsitzer Opposition­eller. Hanger könne einen „richtig niederrede­n“, werde aber nie beleidigen­d. Wieso dann das andere Auftreten nach dem plötzliche­n Aufstieg auf die Bundesbühn­e? „Ich glaube, es wurde bewusst gesucht nach einem, der in das Rampenlich­t will“, sagt der Gemeindepo­litiker. „Das Traurige ist, Hanger glaubt, es sei ein Karrieresp­rung. Ich bin mir sicher, dass es keiner war.“Ein Ybbsitzer ÖVPMann meint dazu: „Das ist doch in jeder Firma so. Irgendwer muss eben die Drecksarbe­it machen. Er tut das, so ist er halt – ehrgeizig.“

In Wien rechnet man Hanger auch keine großen Chancen aus: „Er hat das gut gemacht“, sagt ein Türkiser. Aber Hanger sei in der Bevölkerun­g wegen seiner ruppigen, polternden Art nicht besonders beliebt. Darüber hinaus: Für ein höheres Amt fehle ihm der Rückhalt aus der Partei. Seine „15 minutes of fame“sind jetzt wohl vorbei.

Hanger ist zwar von Sebastian Kurz seit Jahren überzeugt, wie er selbst sagt, sein politische­r Werdegang und die Themen, die er immer verfolgte, sind aber klassisch „schwarz“. Hanger war zur rechten Zeit am rechten Ort, vielleicht werde er für einen neuen U-Ausschuss wieder wichtig, hört man in der ÖVP. Aber sonst? Plötzlich wieder Hinterbänk­ler? Oder doch eine Karriere als Regional- oder Gemeindepo­litiker?

„Also Bürgermeis­ter würde er nicht werden“, sagt ein ranghoher Ybbsitzer Parteikoll­ege. „Hier unten beim Bürger, da passt er einfach nicht so rein.“Beide, der ÖVP-Mann und der Opposition­spolitiker, würden Hanger wünschen, wieder in die zweite Reihe zu wechseln, sich zu besinnen: „Es geht bei allen Parteien nur noch darum, wie man zu Stimmen kommt. Nicht mehr darum, was denn jetzt eigentlich sinnvoll wäre“, sagt der Schwarze aus Ybbsitz. Was passieren wird, wisse er nicht. Nur so viel: „Am Wirtshaust­isch ist der Hanger seit Wochen Thema Nummer eins.“

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Andreas Hanger wurde durch mehrere Zufälle zum türkisen Kettenhund im U-Ausschuss. In seiner Heimatgeme­inde wünschen sich einige, dass er sich nun wieder besinnt.

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