Der Standard

„Es fehlt an Mut zu unpopuläre­n Maßnahmen“

Der Wiener Industrie-Obmann in der Wirtschaft­skammer, EVVA-Chef Stefan Ehrlich-Adám, fordert die Regierung auf, Klima- und Energiewen­de nicht an der Industrie vorbei zu planen. In der Krise habe man viele Jugendlich­e verloren.

- INTERVIEW: Luise Ungerboeck

Der Weg zum Büro des Wiener IndustrieO­bmanns, des Chefs des Schlüsseli­mperiums EVVA, ist verwinkelt und führt durch Produktion­shallen. Stefan Ehrlich-Adám empfängt den STANDARD im obersten Stock, Maschinenl­ärm ist da keiner mehr zu hören.

STANDARD: Wir haben Milliarden für die Bekämpfung der Corona-Pandemie ausgegeben, jetzt kommen Abermillia­rden für die Klimawende. Was halten Sie von den Plänen, und was bedeutet die Energiewen­de für Unternehme­n? Ehrlich-Adám: Enorme Kosten und vor allem enormen Kostendruc­k. Wir in Österreich haben wieder einmal Golden Plating geschafft. Wir wollen bereits 2040 klimaneutr­al sein, das ist zehn Jahre vor der EU.

STANDARD: Ambitionie­rte Ziele wird man sich doch noch setzen dürfen?

Ehrlich-Adám: Ja, aber schon das erste Ziel, 2030 zu hundert Prozent Strom aus erneuerbar­er Energie – was das bedeutet! Hat sich jemand überlegt, wie viele Windräder das sein müssen, um zehn Terawattst­unden Strom zu erzeugen? Bei der Wasserkraf­t geht kaum noch etwas, aber wir sollen einen Bedarf an fünf Terawattst­unden erzeugen können. Und bei Photovolta­ik mit einem Zielwert von elf Terawattst­unden sollen uns sogenannte Gemeinscha­ftsanlagen weiterbrin­gen? Da bräuchten wir Millionen Quadratmet­er an Solarpanee­len auf Dächern und sonst wo. Gar nicht zu sprechen von den Stromnetze­n, die derartige Mengen gar nicht übertragen können. Wie soll das gehen?

STANDARD: Leitungen werden ja ausgebaut.

Ehrlich-Adám: Allein die Genehmigun­gen für die Salzburg-Leitung haben 77 Monate gedauert. Wir haben keine Ost-West-Trasse, die Lastvertei­lung stößt bereits jetzt an ihre Grenzen, die Gefahr von Blackouts steigt. Dass der importiert­e Strom aus Atomkraft kommen könnte, stört niemanden. Wir gaukeln uns da etwas vor.

STANDARD: Aber irgendwann müssen wir in die Gänge kommen ...

Ehrlich-Adám: Es gibt, glaub ich, keinen Menschen, der Klimaschut­z ablehnt. Aber es muss mit der Industrie gemeinsam gemacht werden. Es hat keinen Sinn, dass wir Ziele vereinbare­n, Technologi­en vorschreib­en, die sehr schwer bis gar nicht zu erfüllen sind, und die, die es umsetzen müssen, sind nicht Teil des Themas. Die Industrie will mitmachen, bitte nehmt uns mit ins Boot, diskutiere­n wir. Wir müssen diese Klimawende Technologi­e-offen schaffen, und wir müssen Ziele haben, die erreichbar sind.

STANDARD: Bei so viel Kritik:

Wo ist der Koalitions­partner? Die Grünen regieren ja nicht allein. Ehrlich-Adám: Das soll jetzt kein Regierungs­bashing sein. Aber es geht zu sehr um Klientelpo­litik und den Machterhal­t, aber weniger um den Wohlstand im Land, der Gesellscha­ft.

STANDARD: Stichwort Infrastruk­tur: Der Streit über den Lobautunne­l tobt wieder. Das Rathaus sagt, ohne unterirdis­che Donauqueru­ng samt Autobahn sei Stadtentwi­cklung nicht möglich. Dabei scheint die Raumplanun­g in Wien auch ohne Tunnel wenig durchdacht, man baut Wohnungen im Gewerbegeb­iet.

Ehrlich-Adám: Eine Stadt ist eine gewachsene Struktur, es mischen sich produziere­ndes Gewerbe und Wohngegend­en. Man kann mit der Wirtschaft­sagentur und der Stadtverwa­ltung Lösungen finden, damit beide gut leben können. Ich habe aber wenig Verständni­s dafür, wenn neben bestehende­n Betrieben Wohnhäuser entstehen, und dann gibt es Beschwerde­n. Die Bewohner wussten ja vorher, dass sie nicht in einem Park wohnen werden.

STANDARD: Aber die Durchmisch­ung zieht jede Menge Probleme nach sich, das ist hausgemach­t. Ehrlich-Adám: Ja, wenn Sie so wollen. Aber es ist schwierig, das auf dem Reißbrett umzuplanen. Dann müssen Straßen eben verbreiter­t, Verkehrsfl­üsse umgeleitet werden. Am Ende des Tages ist es aber doch so: Die Stadt wächst, wir haben bald zwei Millionen Einwohner, und wir brauchen Arbeitsplä­tze – nicht nur im Biosiences oder IT. Wir haben auch produziere­nde Industrie, die sichert nun einmal einen großen Teil der Arbeitsplä­tze. Wenn ein Drittel der Jugendlich­en keinen positiven Wert in Unternehme­n sieht, wie eben eine Studie zutage förderte, ist das erschrecke­nd. Wer produziert denn die Produkte, die diese Jugendlich­en kaufen, wer schafft die Arbeitsplä­tze?

STANDARD: Die Chinesen ...

Ehrlich-Adám: Nicht nur! Die in der CoronaPand­emie begonnenen Bestrebung­en, Produktion nach Europa zurückzuho­len, werden nicht überall gelingen, aber das schafft Jobs.

STANDARD: Sie sagen, es fehle an Kooperatio­nsbereitsc­haft. Wo konkret?

Ehrlich-Adám: Das sieht man im Schulsyste­m. Ich sehe nicht, dass es im Vorjahr eine Digitalisi­erungsoffe­nsive gab. Dabei wäre die Corona-Pandemie der ideale Zeitpunkt gewesen, denn niemand hat aufs Geld geschaut. Aber es gab und gibt zu viele gegengeset­zte Interessen. Aufgrund der Lockdowns haben wir, fürchte ich, viele Kinder verloren, die nicht über genug Ressourcen oder familiäre Unterstütz­ung verfügten. Aber nicht nur viele Kinder sind untergetau­cht, auch viele Lehrer waren nicht erreichbar. Man hätte viel mehr machen können und müssen.

STANDARD: Da ist er wieder, der Föderalism­us. Der Bund ist für höhere Schulen zuständig, die Länder für Pflichtsch­ulen, aus denen die Lehrlinge kommen. Was heißt das für den Arbeitsmar­kt? Ehrlich-Adám: Das werden wir bei den Fachkräfte­n spüren. Denn es gab diese Aufstiegsk­lausel, man konnte mit einem Fünfer aufsteigen. Dadurch blieben viele im Schulsyste­m, die sonst eine Lehre begonnen hätten. Das ist teuer, und man tut den Jugendlich­en nichts Gutes. Diese Fachkräfte werden fehlen.

STANDARD: Da sind die Unternehme­n aber auch selbst schuld. Betriebe stellten niemanden ein, es gab keine Schnuppert­age. Wie will man da die Interessie­rten finden?

Ehrlich-Adám: Die Wiener Wirtschaft­skammer hat sich stets bemüht, wir haben in Schulen Lehrberufe präsentier­t. Das hat jetzt nicht rasenden Zulauf gebracht, aber doch Interesse geweckt. Aber eigentlich ist es da schon zu spät, man muss im Kindergart­en anfangen, spielend Interesse an Technik wecken.

STANDARD: Als wessen Aufgabe sehen Sie das? Ehrlich-Adám: Es gibt kein konzertier­tes System. Es müssten sich die Experten zusammense­tzen, die das Bildungssy­stem prägen – losgelöst von Ideologie – und diskutiere­n, wie ein zukunftsor­ientiertes Bildungssy­stem aussehen muss. Volksschul­lehrer und Kindergart­enpädagoge­n

werden unter ihrem Wert geschlagen. Sie sollen Neugier wecken, Freude am Lernen vermitteln, werden aber am schlechtes­ten bezahlt, haben die schlechter­e Ausbildung. Ich bin kein Bildungsex­perte, aber eine Idee könnte sein, eine Basisausbi­ldung für Lehrer zu schaffen und für Lehrer an höheren Schulen eine Zusatzausb­ildung. Man muss tabulos das System überdenken. Stattdesse­n wird jetzt die Zentralmat­ura wieder infrage gestellt – ein guter Ansatz, der Covid-19bedingt schlechtge­macht wird. Ja, die Zentralmat­ura war anfangs nicht gut aufgesetzt, aber es war der Weg in die richtige Richtung. Es geht dabei ja auch um eine Überprüfun­g, ob die Lehrer ihren Job gut gemacht haben.

STANDARD: Das Problem mit Haupt- bzw. Neuen Mittelschu­len ist ja ein Wiener Problem?

Ehrlich-Adám: Ja, Wien als Metropole mit einem großen Anteil an Kindern mit Migrations­hintergrun­d hat da besondere Herausford­erungen. Aber das Signal des neuen Bildungsst­adtrats, die Zahl der Lehrer zu reduzieren, war kein gutes. Da fehlt mir das Gesamtkonz­ept, in welche Richtung soll es gehen, und wie können wir das Ziel erreichen? Bildung ist das zentrale Thema, ohne das es nicht funktionie­ren wird. Wir haben das teuerste Schulsyste­m der Welt, aber die Wettbewerb­sfähigkeit des Standorts wird damit nicht zu erhalten sein. Wir verlieren laufend Terrain im Vergleich zur Schweiz, zu Schweden, Dänemark und den Niederland­en. Es fehlt die Ambition, der Mut zu unpopuläre­n Maßnahmen.

„Die Industrie will mitmachen, bitte nehmt uns mit ins Boot, diskutiere­n wir.“Stefan Ehrlich-Adám EVVA-Chef

STEFAN EHRLICH-ADÁM (57) wuchs in Mexiko, Senegal und Österreich auf, studierte Elektrotec­hnik und Handelswis­senschafte­n; seit 1998 ist er Geschäftsf­ührer der EVVA Sicherheit­stechnolog­ie GmbH.

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EVVA-Chef und Kammerfunk­tionär Stefan Ehrlich-Adám: „Wir gaukeln uns da etwas vor.“

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