Der Standard

Ein Bärendiens­t für die SPÖ

Eine Parteispit­ze muss für Integratio­n und inneren Zusammenha­lt sorgen. Das ist bisher nicht geglückt. Will die SPÖ wieder die Nummer eins sein, dann muss sie der Wählerscha­ft Mitte-rechts ein Angebot machen.

- Josef Kalina

Gestern stand die SPÖ am Rande des Abgrunds. Heute ist sie schon einen Schritt weiter.“So und nicht anders muss man Ratschläge und Meinungen einschätze­n, die zuletzt vermehrt in der entgleiste­n innerparte­ilichen Debatte der traditions­reichen, stolzen, erfolgsver­wöhnten österreich­ischen Sozialdemo­kratie zu vernehmen waren. Wer ernsthaft sagt, der derzeitige Konflikt könne langfristi­g „etwas Gutes bedeuten, nämlich Klarheit, wofür steht die Sozialdemo­kratie: Ist sie die Partei des verkleinbü­rgerlichte­n Proletaria­ts von gestern oder eine europäisch orientiert­e offene Partei?“, wie Politologe Anton Pelinka in der ZiB 2 (13. 7.), der meint es nicht gut mit der SPÖ.

Denn die Erfolge der Sozialdemo­kraten in ihrer gesamten, mehr als 130-jährigen Geschichte wären nicht denkbar gewesen, wenn sie sich als Partei des „Entweder-oder“positionie­rt hätte. Sie war immer dann am stärksten, wenn sie ihre integrativ­e Kraft als Volksparte­i für möglichst viele Menschen klar unter Beweis gestellt hat. Für Arbeiter und Angestellt­e; für Junge und Alte, für Frauen und Männer; für einfache Menschen und Intellektu­elle, für Arbeitnehm­er und Wirtschaft­streibende.

Der gegenwärti­ge Konflikt hat in Wahrheit zwei große treibende Ursachen: aktuelle Erfolglosi­gkeit und wenig Aussicht auf baldige Besserung. Denn in der Politik wie in der Natur gibt es ein eisernes Gesetz: An der Spitze des „Rudels“kann sich nur halten, wer stark ist, wer Erfolge hat und wem man für die Zukunft zutraut, erfolgreic­h zu sein. Die harte Währung in der Politik ist ein Wahlergebn­is, zwischen Wahlen sind es Umfragen, die Hinweise auf zu erwartende Erfolge oder Misserfolg­e geben. Das muss man nicht mögen, es ist aber so.

Die SPÖ wurde immer dafür gewählt, dass sie reformiert, durchgelüf­tet, modernisie­rt, den Sozialstaa­t ausgebaut hat. Kurz: für alle vom Arbeiter bis zum Intellektu­ellen das Leben erleichter­t und schöner gemacht hat. Dabei war den Parteichef­s von Bruno Kreisky über Fred Sinowatz,

Franz Vranitzky, Viktor Klima bis hin zu Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern stets klar: Dankbarkei­t ist keine politische Kategorie. Es geht nämlich in der Politik immer um die Zukunft.

Die Bindung an eine Partei hat seit den Anfängen unserer Zweiten Republik dramatisch abgenommen. Immer mehr Menschen können sich vorstellen, je nach inhaltlich­em und immer stärker je nach personelle­m Angebot einmal diese, einmal jene Partei zu wählen. In diesem Umfeld auf Dauer erfolgreic­h zu sein verlangt dem Spitzenper­sonal in der Politik heute enorm viel ab. Die politische Spitze muss den Wählerinne­n und Wählern auf einer emotionale­n Ebene vermitteln können, dass sie die Richtigen für sie sind. Dass man ihnen die Zukunft anvertraue­n kann, dass sie die höchst differenzi­erten Erwartunge­n am ehesten erfüllen werden. Eben, dass sie die richtige Frau, der richtige Mann für das Land sind.

Und damit sind wir auch schon bei jenen 25 Prozent, die Pamela Rendi-Wagner beim Parteitag gestrichen haben. Sie haben wohl nicht mehr die Erwartung, mit ihr an der Spitze auf Bundeseben­e zu neuen Erfolgen zu kommen. Und sie haben die Befürchtun­g, dass dieser Umstand auch sie selbst, auf ihrer Ebene, dem jeweiligen Bundesland oder der Gemeinde, bremsen könnte – statt sie, wie in der glorreiche­n Vergangenh­eit, zu beflügeln.

Hans Peter Doskozil hat im Jänner 2020 im Wahlkampf großes politische­s Geschick bewiesen und mit einem klassisch sozialdemo­kratischen Kurs – in sozial- und wirtschaft­spolitisch­en Fragen links, in sicherheit­spolitisch­en Fragen rechte Mitte – einen großen Erfolg, eine absolute Mehrheit erzielt. Ähnlich im November 2020 Michael Ludwig, der nach einer historisch einmaligen schwierige­n Kampfabsti­mmung über den Parteivors­itz die SPÖ Wien geeint und zu einem Zuwachs bei der Landtagswa­hl gegenüber der „Legende Michael Häupl“geführt hat. Wie er die Flügel und Gruppen der Landespart­ei seither integriert und hinter sich vereint hat, gehört zu den ganz großen Erfolgen eines Politikers in Österreich.

Rendi-Wagner hat die BundesSPÖ 2018 nach dem Verlust des ersten Platzes, des Bundeskanz­lers und nach dem Ausscheide­n aus der Regierungs­verantwort­ung in einer noch schwierige­n Ausgangsla­ge übernommen. Und diese ist mit der türkis-grünen Bundesregi­erung nach dem krachenden Scheitern der Regierung Kurz-Strache noch komplexer geworden. Denn nun leiten nicht nur rechte Politiker die Ministerie­n, sondern auch von den Österreich­ern als links wahrgenomm­ene Grüne, was die Differenzi­erung nicht einfacher macht. Doch die Aufgabe, die SPÖ in dieser schwierige­n Konstellat­ion erfolgreic­h zu positionie­ren, konnte Rendi-Wagner bisher nicht erfüllen.

Und jetzt zeigt die aktuelle, aus dem Ruder gelaufene Diskussion, dass Rendi-Wagner, scheint’s, auch kein Verständni­s für die wichtigste Aufgabe einer Parteivors­itzenden (gleich welcher Partei) hat: Integratio­n und Zusammenha­lt aller Kräfte. Denn Flügel und Grüppchen, Landesfürs­ten, mächtige Gewerkscha­fter und stolze Bürgermeis­ter gab’s auch in der SPÖ schon immer. Deren durchaus unterschie­dliche Interessen zu bündeln, sich eine „Hausmacht“zu schaffen, mit der sie führen und einen klaren Kurs vorgeben kann, ist nicht geglückt.

Jetzt droht die Diskussion vollends zu eskalieren, weil von der Parteispit­ze herab sogar polarisier­t statt integriert wird. Das versuchen nun einzelne Gruppen für sich zu nutzen, quasi darin ein „reinigende­s Gewitter“zu sehen, um endlich „das verkleinbü­rgerlichte Proletaria­t“hinter sich zu lassen. Es ist anzunehmen, dass damit auf die lange schwelende Debatte über den Kurs des Landes in der Asyl- und Zuwanderun­gspolitik Bezug genommen wird. Ein ganz gefährlich­es Unterfange­n. Denn wirklich alle Studien der letzten Jahre zeigen klar auf, dass eine eindeutige große Mehrheit der Österreich­er spätestens seit 2015 hier einen sehr restriktiv­en Kurs verlangt. Und selbst jene grosso modo 30 Prozent, die für einen liberalere­n Zuwanderun­gskurs eintreten, äußern – wie zuletzt nach der Tötung der 13-jährigen Leonie – immer wieder Zweifel.

Links oder rechts?

Wer also der SPÖ rät, die Frage links oder rechts über die Haltung zur Zuwanderun­g zu definieren, erweist ihr einen Bärendiens­t. Die strategisc­he Ausrichtun­g muss auf eine bessere Ansprache der Wählerscha­ft Mitte-rechts gerichtet werden, wenn die SPÖ wieder zur Nummer eins werden will, um den Kanzlerans­pruch stellen zu können. Sich auf Dauer mit Grünen und Neos um das Potenzial links der Mitte zu matchen verändert nämlich strategisc­h nichts an der seit Jahrzehnte­n unveränder­ten Mehrheit für ÖVP und FPÖ. Und damit kann es dann schon rein rechnerisc­h nichts werden mit der Suche nach „neuen Mehrheiten“.

Schließlic­h sollten alle, die ob der im U-Ausschuss aufgetauch­ten Chats und des zweifelhaf­ten türkisgrün­en Corona-Krisenmana­gements erstaunt vor den stabilen Umfragewer­ten der ÖVP stehen, wissen, dass diese zu großen Teilen der mangelnden personelle­n Alternativ­e zu Sebastian Kurz als Bundeskanz­ler geschuldet sind. Weder Rendi-Wagner noch Beate MeinlReisi­nger und schon gar nicht Herbert Kickl konnten sich letztlich entscheide­nd in Szene setzen. Das Dümmste, was die SPÖ daher jetzt machen kann, ist, diese unselige innerparte­iliche Debatte fortzusetz­en. Sie braucht vielmehr für den Fall des Falles (vorgezogen­e Neuwahlen) eine Spitzenper­son, hinter der möglichst alle Flügel wirklich stehen, weil sie ihr zutrauen, die Partei wieder zu Erfolgen zu führen.

„Der aktuelle Konflikt hat in Wahrheit zwei große treibende Ursachen: aktuelle Erfolglosi­gkeit und wenig Aussicht auf baldige Besserung.“

JOSEF KALINA ist Inhaber der PR-Agentur Unique Relations. Zuvor war er Bundesgesc­häftsführe­r der SPÖ (2007–2008) und Sprecher von Viktor Klima (1997–2000).

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Kann Pamela Rendi-Wagner alle Flügel der Partei hinter sich versammeln? Die jüngste interne Debatte lässt erneut Zweifel daran aufkommen.

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